Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane. A. F. Morland
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Читать онлайн книгу Arztroman Sammelband: Drei Romane: Ihre Verzweiflung war groß und andere Romane - A. F. Morland страница 16
„Ich ruf dich morgen an“, versprach Sven und eilte den Sanitätern hinterher.
12
Iris weinte. Warum konnten sich Vati und Mutti nicht vertragen? Warum mussten sie immerzu streiten? Hatten sie sich denn gar nicht mehr lieb? Sie sahen einander ohnedies nur ganz selten. Konnten sie sich nicht wenigstens da zusammennehmen und nett zueinander sein?
Sie wissen nicht, wie sehr ich darunter leide, dachte Iris unglücklich. Sie ahnen nicht, wie weh sie mir damit tun. Ich liebe sie doch alle beide. Ich möchte nicht, dass sie so böse aufeinander herumhacken.
Vati schrie, und Iris zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Sie dachte daran, ihren Eltern Kummer zu bereiten. Weglaufen wollte sie, aber sie wusste nicht, wohin. Und würden ihre Eltern es überhaupt bemerken, dass sie nicht mehr da war? Sie kümmerten sich ja so wenig um sie.
Wer weiß, wann es ihnen auffallen würde, dass ich weg bin, ging es dem Mädchen durch den Sinn. Vielleicht überhaupt nie. Ach, ich wollte, ich würde nicht mehr leben. Mich mag ja doch keiner – Vati nicht, und Mutti auch nicht. Sie werden wahrscheinlich nicht einmal um mich weinen, wenn ich tot bin. Oh, ich bin ja so traurig, so unendlich traurig.
Unten schrie ihr Vater wieder. Und die Mutter schrie zurück.
Iris presste das Kissen auf ihre Ohren. „Hört auf!“, schluchzte sie. „Hört bitte, bitte endlich auf!“
Doch ihre Eltern hörten sie nicht.
13
Dr. Kurt Liebig, ein schüchterner, sympathischer Mann Ende dreißig, hatte in der Seeberg-Klinik Nachtdienst. Er begrüßte Dr. Kayser und veranlasste, dass der Herzpatient sofort auf die Intensivstation gebracht wurde.
Thomas Winter zerrte die Sauerstoffmaske von seinem Gesicht. „Dr. Kayser! – Dr. Kayser! Sagen Sie meinem Bruder und meiner Schwägerin nicht, dass ich hier bin! Ich möchte nicht, dass sie mich so sehen!“
Sven Kayser nickte. „Ich werde Ihre Verwandten nicht informieren, wenn Sie es nicht möchten, Herr Winter. Sie können sich auf mich verlassen.“
Thomas Winters EKG sah nicht sehr ermutigend aus. „Sehen Sie sich das an“, forderte Dr. Liebig seinen Grünwalder Kollegen auf.
Ein Blick auf die schwarzen Zacken, die der Elektrokardiograph auf den breiten Papierstreifen geschrieben hatte – die einzelnen Ausschläge und Abschnitte wurden mit Buchstaben bezeichnet, es gab die P-Zacke, die PQ-Strecke, die Q-, R- und S-Zacke, die ST-Strecke, die T- und die U-Welle –, ließ Sven erkennen, wie schlecht es noch immer um den Patienten stand. Sämtliche lebenserhaltende Maßnahmen waren von Dr. Liebig inzwischen veranlasst worden, doch der Patient würde sehr viel Glück brauchen, um die Nacht zu überleben.
Eine junge, hübsche Krankenschwester übernahm die Sitzwache. Schwester Sabine. Sven kannte sie. Sie war noch nicht; lange an der Seeberg-Klinik, doch es hieß allgemein von ihr, dass sie sehr tüchtig und zuverlässig war.
Selbst Charlotte Besserdich, die Oberin, hatte das schon gesagt, und das wollte einiges heißen, denn ein Lob aus ihrem Mund bekam man nicht alle Tage zu hören.
Da Dr. Liebig und Dr. Kayser für den Patienten nichts mehr tun konnten, verließen sie das Krankenzimmer. „Sind Sie Herrn Winters Hausarzt?“, erkundigte sich der Internist.
„Das war ich, bis er München verließ“, antwortete Dr. Kayser. Er erzählte ein wenig mehr über den Patienten und über die Familie Winter.
„Trinken wir eine Tasse Kaffee zusammen?“, fragte Dr. Liebig.
„Sehr gern.“
Im Ärztezimmer fragte Sven dann: „Wie geht’s zu Hause?“
„Oh, danke, jetzt ist wieder alles bestens.“
Dr. Kayser horchte auf. „Gab’s denn irgendwelche Probleme?“
„Annemie litt eine Zeitlang an ziemlich stärken Depressionen, aber dieses Tief ist glücklicherweise überwunden.“ Annemie war Dr. Liebigs Frau. Er hatte mit ihr einen Sohn namens Olaf und eine Tochter, Michaela. Und da war noch Felicitas, ein Adoptivkind. „Vor allem die Kinder haben ihr sehr geholfen, aus der Krise rauszukommen“, erzählte der Internist. „Ich bin wahnsinnig stolz auf sie.“
Dr. Kayser nickte zustimmend. Er kannte die Kinder des Kollegen. „Das können Sie sein“, sagte er.'
„Kinder sind eine echte Bereicherung des Lebens“, behauptete Dr. Liebig und nahm einen Schluck vom Kaffee. Er trank ihn schwarz mit Süßstoff. „Hatten Sie nie den Wunsch, Kinder zu haben?“
„Ich liebe Kinder“, gab Dr. Kayser zurück, „aber es hat sich irgendwie nicht ergeben, zu heiraten und eine Familie zu gründen.“
Dr. Liebig sah ihn scheu an. „Wenn ich zu neugierig bin, müssen Sie das entschuldigen.“
Sven schüttelte lächelnd den Kopf. „O nein, nein, das ist schon in Ordnung. Es macht mir nichts aus, darüber zu sprechen.“
„Sie sind fünfundvierzig, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Dr. Sven Kayser.
„Nun“, meinte Dr. Kurt Liebig, „dann sind Sie ja noch nicht zu alt ...“
„Also, das wird wohl nichts mehr werden.“
Dr. Liebig hob die Schultern. „Kann man’s wissen?“
„Nein, mit Sicherheit wissen kann man es natürlich nie, aber nach menschlichem Ermessen ...“ Sven leerte seine Tasse. „Vielen Dank für den Kaffee. Es ist Zeit für mich, zu gehen.“
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