Hanseschwestern - Historical Romance Sammelband 6020: 3 Romane. Alfred Bekker
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Als Johann eintrat, sah er seinen Vater zwar über den Schreibtisch gebeugt, weil er mit irgendwelchen Papieren beschäftigt war, aber Georg Wetken blickte sofort auf und lehnte sich langsam zurück, dabei seinen Sohn musternd.
Eben mit dieser überraschenden, weil ungewohnten, Gelassenheit, wie Johann fand.
Er blieb natürlich artig im Nachbarraum stehen und wartete auf das nötige Zeichen.
Georg Wetken hob nur die Hand. Das genügte. Johann trat langsam, wie vorsichtig, näher, bis vor den Schreibtisch hin.
„Na, wie ist das Gespräch mit Gordula Schopenbrink gelaufen?“, wurde er ruhig gefragt, anstelle irgendeiner Begrüßung, die sich der überaus mächtige Hansekaufmann Georg Wetken auch diesmal ersparte.
Johann wich dem sengenden Blick seines Vaters auch dieses Mal nicht aus. Er doch nicht! Obwohl Georg Wetken trotz aller zur Schau gestellten Gelassenheit immer noch dermaßen viel Autorität ausstrahlte, dass sie förmlich spürbar war. Als würde sie es schaffen, nachhaltig die Luft im Raum zu erhitzen.
„Gordula war zunächst entsetzt, als ich ihr erzählte, was geschehen ist.“
„Weswegen denn genau? Dass es herauskam mit ihrem verbotenen Fest oder was?“
„Das natürlich auch. Aber nicht nur. Sie fürchtet jetzt, dass sie auf Grund dessen keine weiteren Feierlichkeiten mehr heimlich ausrichten kann.“
„Wie kommt sie bloß darauf? Meint sie etwa, ich würde ihrem Vater Bescheid geben lassen oder wie?“
„Überhaupt wegen alledem“, beeilte sich Johann zu sagen und fragte sich im Stillen bereits, ob er vielleicht die falsche Strategie gewählt hatte. Aber es war jetzt zu spät, sie wechseln zu wollen. Er musste auf dieser Schiene bleiben.
„Und was sagt sie zu Adele Brinkmann?“, hörte er wie aus weiter Ferne.
Er musste es schaffen, sich besser zu konzentrieren:
„Es hat sie noch mehr entsetzt, denn sie hat offenbar gar nicht gewusst, dass diese damals überhaupt eingeladen war. Wie schon vermutet. Aber sie wusste dafür, dass ich gar nicht mit ihr hätte zusammen kommen können, weil ich beinahe die ganze Zeit über bei ihr gewesen war, also bei Gordula. Und es hat sie gekränkt, dass es jetzt heißt, ich hätte mich statt mit ihr eben mit Adele Brinkmann getroffen in den letzten Wochen.“
„Aha? Und was ist nun dein Fazit von alledem, mein Sohn? Lass hören!“
Johann senkte den Blick und tat so, als würde es ihn Überwindung kosten, die folgenden Worte auszusprechen, und dann tat er es trotzdem, ohne dabei jedoch den Blick wieder zu heben:
„Sie sagte mir, dass unter diesen Umständen ihr Vater es niemals zulassen würde, dass aus uns beiden ein richtiges Paar werden wird.“
„Aha? Dann hast du also auf der ganzen Linie doch noch verloren?“
Es war schon ein wenig beängstigend, dass sein Vater bei dieser Frage so ruhig blieb. Oder war diese Ruhe und Gelassenheit tatsächlich nur gespielt, wie Johann es gleich vermutet hatte, schon beim Eintreten? Wenn ja, wozu eigentlich?
Ja, was wollte sein Herr Vater damit jetzt erreichen?
„Keineswegs!“, widersprach Johann der Vorhaltung seines Vaters und hob zugleich wieder den Blick. „Gordula ist nach wie vor ganz auf meiner Seite. Es geht ja lediglich darum, dass sie Sorge hat, was ihren Vater betrifft.“
„Eine Sorge, die du nicht teilst?“
„Doch, ich teile diese Sorge, allerdings nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Es war mir sowieso schon klar, dass ich viel Zeit benötigen werde, um meine Absicht in die Tat umsetzen zu können. Ich habe Gordula ganz für mich gewinnen können. Jetzt erst recht. Allerdings nur als platonische Freundin. Vorerst. Mehr ist derzeit noch nicht möglich, wie es sich erwiesen hat. Aber wir haben uns andererseits wirklich noch nie so gut verstanden wie ausgerechnet jetzt in dieser Krisenzeit.“
„Eine Krisenzeit? So nennst du das also? Nun gut, für dich vielleicht, aber doch nicht für alle anderen, genauer betrachtet.“
Mit scheinbar nur noch mühsam gezügelter Leidenschaft erklärte ihm sein Sohn daraufhin:
„Hast nicht du selbst mir immer wieder klar gemacht, dass wir eine hohe Verantwortung tragen, nicht nur für uns selber, sondern vor allem in unserer Rolle für die Gilde, also im Grunde genommen sogar für ganz Hamburg?
Und wenn ich Krisenzeit sage, dann meine ich tatsächlich nicht nur mich, denn dieses infame Intrigenspiel des Hauses Brinkmann hat mit Sicherheit auch noch Auswirkungen auf alles, wofür wir einstehen, wofür unsere Vorfahren dermaßen viel gekämpft und gelitten haben.
Allein der ehemalige Bürgermeister damals von Hamburg, dein Urgroßvater, der mir nicht nur seinen guten Namen hinterlassen hat: Nachdem zunächst verschiedene Strömungen der Reformation eine Einigung verhindert hatten, war genau er es gewesen, der Martin Luther im Jahre 1528 höchstselbst um die Entsendung von Bugenhagen bat – und sich damit sogar durchsetzte. Damit nämlich unter dessen Leitung eine Kirchenverfassung entstand. Deshalb nur wurde Hamburg bereits ein Jahr darauf evangelisch. Ein wahrer Meilenstein in der Geschichte der Hansestadt Hamburg, fürwahr!
Es war ja nicht der einzige Meilenstein in der Geschichte unserer geliebten Stadt, bei dem ein Wetken zumindest eine wichtige Rolle spielte. Wenn also ein Wetken in der heutigen Zeit in eine persönliche Krise gerät, wirkt sich das halt zusätzlich aus auf das Wohl der Stadt. Zumal diese Krise nicht von mir selbst verursacht wurde, sondern eben durch jene schändlichen Verleumdungen aus dem Hause Brinkmann.“
Es war mal wieder eine lange Rede gewesen, der Georg Wetken geduldig beigewohnt hatte. So geduldig war er für gewöhnlich niemals. Aber es schien für ihn ganz besonders wichtig zu sein, wieder mit seinem Sohn ins Reine zu kommen.
Vielleicht vertraute er Johann noch nicht völlig, doch er kannte ja selber die Machenschaften von Margarethe Brinkmann, also musste er durchaus in Betracht ziehen, dass er falschen Informationen aufgesessen war. Wobei, wie Johann es ihm geschickt beigebracht hatte, ja nicht unbedingt seine ansonsten anscheinend hundertprozentig verlässliche Informationsquelle schuld daran war, sondern möglicherweise war eben sogar seine Informationsquelle selbst betrogen worden.
Und das gab er jetzt sogar auch noch zu, zur größten Überraschung seines Sohnes:
„Ich kämpfe gegen Margarethe Brinkmann an, solange ich denken kann. Noch habe ich mich an der Spitze behaupten können, aber es ist durchaus in Betracht zu ziehen, dass sie mit dieser Vorgehensweise endgültig einen Keil zwischen uns beide treiben wollte. Letztlich nicht nur, um dich zu vernichten, sondern vor allem, um mir zu schaden, indem sie mich dadurch schwächt in meiner Rolle.
Aber es bedeutet für mich auch, dass meine bislang so überaus verlässliche Informationsquelle von ihr erkannt wurde. Denn wie anders wäre es möglich, dass Margarethe Brinkmann sie missbrauchen könnte, um mir solch schändliche Scheininformationen zuspielen zu lassen?
Mit anderen Worten: Ich muss in Zukunft noch viel vorsichtiger sein als ich es ohnedies längst schon bin!“
Johann dachte unwillkürlich, dass er das selber in seinem eigenen Sinne nicht besser hätte formulieren können.
Und