Fabelmacht Bundle. Kathrin Lange

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Fabelmacht Bundle - Kathrin Lange

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ein wenig unangenehm zu sein. Nervös kratzte er sich mit dem kleinen Finger den Nasenflügel. Seine Nägel waren ein bisschen zu lang für einen Mann und sorgfältig gefeilt. Auch an seinen Händen erkannte man sein Alter: dürr, knotig waren sie, mit faltiger Haut. Mila musste bei ihrem Anblick an den Geruch von Pergament und altem Leder denken.

      Der Mantel, den der Alte trotz der stickigen Luft im Zug nicht ausgezogen hatte, war von einem unauffälligen Grau, was insgesamt zu ihm zu passen schien. Irgendwie wirkte er, als sei er nicht richtig existent.

      »Woher wissen Sie, dass es ein Er ist?«, fragte Mila.

      »Ich habe nur geraten. Seit Straßburg haben Sie vier Nachrichten erhalten und keine davon beantwortet. Dafür haben Sie mindestens zwanzigmal geseufzt.« Er schürzte die Lippen zu einer Art Kussmund, dann zog er sie ein, als müsse er seine Zähne davon abhalten, ihm aus dem Mund zu fallen. »Das lässt mich auf Liebeskummer tippen.«

      »Kein Liebeskummer, nein.« Sie drehte ihren Bleistift zwischen den Fingern.

      »Nicht?« Der alte Mann schien überrascht. »Ich finde, Sie sehen aus, als hätten Sie Liebeskummer.«

      Wenn du selbst mal Liebeskummer gehabt hast, dachte Mila, dann ist das vermutlich schon ziemlich lange her.

      Obwohl, was wusste sie schon? Plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen. Er war so alt und vermutlich wollte er einfach nur nett sein. Sie legte den Bleistift auf das Notizbuch. »Wie sieht denn jemand aus, der Liebeskummer hat?«

      »Na, wie eine hübsche, junge Dame, die allein im TGV nach Paris sitzt, stundenlang grübelnd aus dem Fenster starrt und dabei ab und zu seufzt.«

      Das Kompliment freute Mila. Aber ihr war es auch unheimlich, dass er sie die ganze Zeit so genau beobachtet hatte.

      »Sie sind von Ihrem Freund kürzlich erst verlassen worden.« Er formulierte das nicht als Frage, sondern wie eine Feststellung.

      Mila hatte keine Ahnung, wie er darauf kam, aber er lag richtig. »Und wenn?«, murmelte sie.

      Da lächelte er. »Wie hieß er?«

      Sie überlegte kurz, ob sie es ihm sagen sollte, doch dann entschied sie sich dagegen. In dieser Geschichte hier, das hatte sie sich geschworen, würde ihr Ex keine Rolle spielen. Sie zuckte mit den Schultern.

      Das Lächeln des alten Mannes vertiefte sich. »Ah. Er braucht keinen Namen in dieser neuen Geschichte, nicht wahr?«

      Das lag so dicht an dem, was sie gerade gedacht hatte, dass sie ihn erstaunt musterte. »Können Sie Gedanken lesen?«

      »So was Ähnliches.«

      Mila bemerkte, dass ihre Fingerspitzen nervös auf das dicke Notizbuch trommelten. Irgendwann war es einmal rot gewesen, aber die Farbe war schon lange verblasst. Kinokarten, Prospekte und allerlei Zettel steckten zwischen den Seiten und damit sie nicht herausfielen, hatte Mila ein regenbogenfarbenes Haarband um den Umschlag geschlungen.

      »Aber er hat Ihnen wehgetan.« Wieder eine Feststellung.

      Und sie ging Mila zu weit. Small Talk im Zug war in Ordnung, aber mit dem Mann über ihren Exfreund zu reden, da hörte es auf. Denn ja, es tat noch immer weh, wobei der Schmerz weniger in ihrem Herzen saß, sondern eher ein Stück höher, in ihrer Kehle, wie ein bitterer Geschmack, den sie nicht loswurde. Ein klarer Fall von gekränkter Eitelkeit, hatte ihre Freundin Isabelle neulich am Telefon gut erkannt.

      Milas Handy kündigte eine weitere Nachricht an. Diesmal schaute sie gar nicht erst nach. Ob ihre Mutter diesmal zu ihren Fragezeichen einen Fluch hinzugefügt hatte?

       Wo zum Teufel bist du???????

      Mila war gestern Abend im Streit von zu Hause abgehauen. Sie hatte ihrer Mutter nur gesagt, dass sie bei einer Schulfreundin übernachten würde, und das hatte sie auch getan. Davon, dass sie heute Morgen ziemlich kurz entschlossen in einen Zug gestiegen war, um zu Isabelle nach Paris zu fahren, hatte ihre Mutter nicht die geringste Ahnung.

      Isabelle war eine Freundin, die Mila schon kannte, seit sie sich auf einem internationalen Jugendfreizeitcamp für junge Künstler in Riga getroffen hatten. Damals war Mila vierzehn gewesen, Isabelle schon achtzehn. Und obwohl Mila schrieb und Isabelle malte, hatten sie sich auf Anhieb gut verstanden und waren in Kontakt geblieben.

      Gestern nach dem Streit mit ihrer Mutter hatte Mila Isabelle eine SMS geschrieben und sich bei ihr ausgekotzt. »Helena ist mal wieder unmöglich«, hatte sie geschrieben. Sie nannte ihre Mutter oft beim Vornamen, besonders, wenn sie sauer auf sie war. Isabelles Antwort hatte aus genau zwei Sätzen bestanden: »Komm her! Bleib, so lange du willst.«

      Also hatte Mila die Nacht bei ihrer Schulfreundin verbracht, deren Mutter glaubte, dass Helena Bescheid wusste, wo sie war. Heute Morgen dann hatte sie sich ganz früh über das Internet eine Fahrkarte nach Paris besorgt und weil sie einfach nur wegwollte, hatte sie sich für die erste, längere Verbindung über Karlsruhe entschieden.

      Der alte Mann schaute sie immer noch erwartungsvoll an. Offenbar erwartete er irgendeine Antwort. Betont demonstrativ wechselte sie das Thema. »Ich besuche jemanden in Paris.«

      Wie, um sie für ihre Unhöflichkeit zu tadeln, begann ihr Handy jetzt auch noch zu klingeln. Mila drehte es wieder um.

      Auf dem Display war ein Bild zu sehen, das sie zusammen mit ihrer Mutter zeigte. Es war das einzige Foto, das sie hatte, auf dem ihre Mutter lächelte.

      Mila starrte die beiden Gesichter an, ihr eigenes, das von einer leichten Urlaubsbräune überzogen war, die gut zu dem sonnigen Blond ihrer Locken und zu ihren hellblauen Augen passte. Die paar Sommersprossen, die sie immer im Sommer bekam, wirkten wie mit einem feinen Haarpinsel auf ihre Nase getupft.

      Und daneben das Gesicht ihrer Mutter, ihrem eigenen ähnlich, aber ausgezehrter. Schon immer hatte Milas Mutter gewirkt, als koste es sie zu viel Kraft, Gefühle zuzulassen. Was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass Milas Vater und ihr älterer Bruder kurz vor ihrer Geburt gestorben waren. Helena, die Schriftstellerin war, hatte mehrere Bücher über das Thema Tod und Verlust verfasst, die allesamt nicht besonders erfolgreich gewesen waren. Und gleichzeitig war der Tod der beiden natürlich auch der Grund, warum Helena so sehr an Mila klammerte, dass sie manchmal kaum Luft bekam.

      Seufzend drückte Mila den Anruf weg, dann zog sie ihr Notizbuch ein wenig dichter zu sich heran. »Seien Sie nicht böse, aber ich würde jetzt gern weiterschreiben.«

      Der Mann nickte. »Natürlich. Bitte entschuldigen Sie! Ich bin wieder einmal viel zu aufdringlich.«

      Mila lächelte ihn schwach an. Dann nahm sie ihren Bleistift und setzte ihn auf das fast leere Blatt.

      Liebe auf den ersten Blick, dachte sie und las den einzigen Satz, den sie von ihrer neuen Geschichte bisher zustande gebracht hatte.

      »Nicholas kniete auf dem Rasen vor dem Eiffelturm«, lautete er.

      Nicholas kniete auf dem Rasen vor dem Eiffelturm und blickte das kleine Mädchen an, das vor ihm stand und ihn anstarrte. Die Kleine weinte. In der einen Hand hielt sie den Körper einer bunten Flickenpuppe, in der anderen deren abgerissenen Kopf. Die Haare dieser Puppe waren aus gelben Wollfäden geflochten. Schaumgummi quoll aus dem Hals und der Stoff, aus dem der Körper genäht war, wirkte ausgefranst und zerschlissen. Nicholas war auf das Mädchen aufmerksam geworden, weil er ihr verzweifeltes Schluchzen gehört

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