Fabelmacht Bundle. Kathrin Lange

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Fabelmacht Bundle - Kathrin Lange

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sagte Luc.

      Nicholas deutete in die Richtung, in der die Luftballons verschwunden waren. Dann dorthin, wo eben noch der Keyboardspieler gestanden hatte und sich in diesem Moment zwei junge Männer auf einen Steinsockel setzten und Händchen haltend die Leute beobachteten. »Der Clown, die Luftballons, die Musik. Es stimmt alles, Luc.«

      Luc schüttelte den Kopf. »Unmöglich!«, wiederholte er. »Ein Zufall! Nicholas, das ist nur ein bescheuerter Zufall!« Er packte Nicholas an den Schultern, schüttelte ihn. »Ich meine: Du warst damals wie alt? Dreizehn? Du bist nie im Leben so mächtig, dass du …« Er stockte. »Verdammt!«, fluchte er.

      Nicholas bohrte die Fingernägel in das Holz der Bank. »Tja«, sagte er. »Sieht ganz so aus, als sei mein Leben soeben ein bisschen interessanter geworden.«

      Luc starrte ihn an. »So kann man es natürlich auch formulieren.«

      Nicholas zuckte mit den Schultern.

      Eine Weile schwiegen sie beide.

      »Was wirst du jetzt tun?«, fragte Luc.

      »Ich muss zum Gare de l’Est. Ich muss wissen, ob ich recht habe.«

      Luc fuhr hoch. »Es ist nur eine Geschichte, Nicholas! Nichts weiter!«

      »Wir werden sehen«, murmelte Nicholas. Er stand auf und zog fröstelnd seinen Mantel um sich zusammen.

      Wenn ich wirklich recht habe, dachte er, dann ist es jetzt Zeit zu sterben.

      »Sind Sie zufrieden?«

      Wieder riss der alte Mann Mila aus ihren Gedanken. Leicht verwirrt schaute sie zu ihm auf, weil es sie beim Schreiben immer Anstrengung kostete, in die Realität zurückzukehren. »Wie bitte?«

      Der TGV war langsamer geworden und schlängelte sich durch das Schienengeflecht in Richtung Gare de l’Est, einem der großen Bahnhöfe von Paris.

      Der alte Mann deutete auf ihr Notizbuch. »Das, was Sie eben geschrieben haben: Sind Sie zufrieden damit? Besonders viel haben Sie ja nicht geschafft.«

      Ja, dachte Mila verdrossen. Weil ich andauernd unterbrochen werde!

      Sie ließ ihren Blick über das Geschriebene huschen. Viel hatte sie tatsächlich nicht geschrieben, dabei war die Geschichte zuerst ganz gut in Gang gekommen. Ohne viel darüber nachzudenken, hatte sie eine kurze Szene verfasst, in der der Eiffelturm vorkam und ein kleines Mädchen mit Namen Marie-Claire, das mit einer viel geliebten und zerschlissenen Stoffpuppe spielte und ihr aus Versehen den Kopf abriss. Ein Junge kniete sich zu ihr und tröstete sie. Es war derselbe Junge, über den Mila schon oft geschrieben hatte, eigentlich seit sie ihre ersten Schreibversuche gemacht hatte.

      Früher hatte sie in ihrer Fantasie mit ihm zusammen Abenteuer erlebt – sie waren gemeinsam auf die höchsten Bäume geklettert und hatten dort die Beine baumeln lassen. Sie hatten alte Abrisshäuser und verlassene Fabriken durchstreift und dort gegen imaginäre Gegner gekämpft. Später dann, als Mila kein Kind mehr gewesen war, sondern schon ein Teenager, war auch Nicholas in ihren Geschichten älter geworden. In ihrer Vorstellung war er ungefähr so alt wie sie. Er sah auf unaufdringliche Art gut aus – groß, breite Schultern, schwarze Haare. Und er strahlte diese Lässigkeit aus, die sie auch in echt faszinierte. Sie mochte es, wenn jemand sich nicht so leicht durchschauen ließ.

      Der alte Mann wartete noch immer auf eine Antwort auf seine Frage.

      Mila ließ den Blick über ihren letzten Satz schweifen.

      Sollte er?, hatte sie geschrieben. Und: Noch während er sich das fragte, tastete seine Hand schon

      Jetzt fügte sie rasch noch ein in die Tasche seines schwarzen Mantels hinzu und nickte dem alten Mann zu.

      »Darf ich es lesen?«, fragte der.

      Wie kommt er auf diese absurde Idee?, durchzuckte es sie. Sie wollte ihn schon anfahren, was ihm einfiele, aber dann sah sie in seine hellen, von unzähligen Falten umrahmten Augen.

      Plötzlich kam es ihr gar nicht mehr so blöd vor, ihm ihre Texte zu zeigen.

      Der alte Mann schien wirklich begierig darauf zu sein, etwas von ihr zu lesen. Und es gab nicht allzu viele Menschen, die sich für ihre Texte interessierten.

      »Ich weiß nicht«, erwiderte sie trotzdem. Das gerade Geschriebene schien ihr zu intim, immerhin schrieb sie über Nicholas, als würde er tatsächlich existieren. Und der Stil hatte etwas Schwärmerisches, das ihr plötzlich fast ein bisschen peinlich war. Dieser Mantel zum Beispiel, den Nicholas trug. Mehr Klischee ging ja wohl eigentlich nicht. Aber sie mochte die Vorstellung, dass er mit einem langen schwarzen Mantel herumlief, dessen Kragen er im richtigen Moment aufstellte oder dessen Schöße hinter ihm herwehten, wenn er mit energischen Schritten durch die Straßen von Paris ging.

      Mila blätterte zurück zu einer Szene, die sie vor einigen Wochen geschrieben hatte.

      Ein namenloser Mann kam darin vor. Er war alt. Sehr alt, vermutlich noch älter als ihr Gesprächspartner. In der Szene lag dieser Mann auf dem Sterbebett, eine ebenfalls namenlose junge Frau saß neben ihm und empfand einen so tiefen, grauenvollen Schmerz, dass Mila davon beim Schreiben die Tränen gekommen waren.

      Sie zögerte kurz, aber dann gab sie sich einen Ruck und schob dem Alten das Notizbuch zu. Er drehte es um.

      Las.

      Seine Miene blieb völlig ausdruckslos dabei, aber als er fertig war, seufzte er tief. »Sie haben großes Talent, wissen Sie das?«

      Das Kompliment freute sie mehr, als sie zugeben wollte. Sie spürte förmlich, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.

      »Das hier«, der Alte tippte auf ihren Text, »erinnert mich an eine alte Liebesgeschichte, von der ich einmal gehört habe«, erklärte er. »Eine sehr traurige Liebesgeschichte.«

      Jetzt fing er schon wieder damit an. Mila bemühte sich, nicht allzu genervt auszusehen. Er schien wie besessen von der Liebe.

      Aber dann meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Was, wenn seine Frau vor nicht allzu langer Zeit verstorben war? Bei seinem Alter wäre das nur naheliegend. Und sie zeigte ihm ausgerechnet eine Geschichte über ein Paar am Sterbebett.

      Für einen Moment war sein Blick nach innen gerichtet, dann besann er sich. Mit einem Blinzeln schaute er wieder hoch und schob Mila das Notizbuch zurück über den kleinen Tisch. »Genug geredet«, verkündete er überraschend energisch. »Wir sind da.«

      Im selben Moment knackte der Lautsprecher über Mila.

      »Meine Damen und Herren«, verkündete die Ansage, »in Kürze erreichen wir den Gare de l’Est.«

      Mila machte sich daran, ihre Sachen zusammenzupacken. Sie schob Notizbuch und Handy in ihre Umhängetasche und griff nach der Jacke, die sie an den Haken neben dem Zugfenster gehängt hatte.

      Der alte Mann sah ihr dabei zu.

      »Soll ich Ihnen mit Ihren Sachen helfen?«, fragte sie.

      »Nicht nötig.« Er lächelte jetzt wieder. »Ich habe kein Gepäck.«

      Sie

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