Fabelmacht Bundle. Kathrin Lange
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»Also dann, auf Wiedersehen«, sagte sie und erhob sich.
Draußen vor den Fenstern tauchte das Bahnhofsgebäude auf und der Zug bremste ab. Mila stand schon im Gang, da beugte sich der alte Mann noch einmal zu ihr. »Worte, junges Fräulein«, raunte er. »Worte können sehr mächtig sein. Wenn die richtigen Menschen sie benutzen, sogar mächtig genug, die Welt zu verändern.«
Als Mila den Bahnsteig betrat, klopfte ihr Herz unerwartet stark. Sie lebte in Berlin, war also die Großstadt gewöhnt, dennoch fühlte es sich gleichzeitig aufregend und beängstigend an, ganz allein hier zu sein. Zum Teil lag das bestimmt daran, dass die letzten Tage ihr so zugesetzt hatten. Und daran, dass ihre Mutter keine Ahnung davon hatte, wo sie steckte.
Sie schüttelte sich. Die letzte Stunde im Zug mit dem alten Mann hatte sie ziemlich durcheinandergebracht und seine merkwürdige Verabschiedung noch viel mehr.
Als sie zusammen mit den anderen Reisenden in Richtung Zugtür gegangen war, hatte ein junger Mann mit Pferdeschwanz den Alten vorgelassen. Jetzt sah Mila den jungen Mann aus dem Zug steigen, doch der Alte war nirgends zu sehen. Vielleicht hatte er noch einen kleinen Abstecher auf die Zugtoilette gemacht.
Der Bahnhof war bei Weitem nicht so groß, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, und mit seinen vielen schmiedeeisernen Pfeilern und den marmornen Säulen wirkte er viel altmodischer als der moderne Hauptbahnhof von Berlin. Auf dem Bahnsteig herrschte ein unfassbares Gedränge. Eine Großfamilie mit hoch aufgetürmtem Gepäckwagen drängelte sich ganz in der Nähe durch die genervte Menge. Die Frau, eine dicke Blondine, schnatterte dabei auf ihren Mann ein, der jeden ihrer Sätze mit einem resignierten Nicken beantwortete. Geschäftsleute eilten mit ihren Laptoptaschen an Mila vorbei und ein paar Polizisten mit Maschinengewehren musterten prüfend jeden, der ankam. Der Jingle, mit dem die Lautsprecheransagen angekündigt wurden, ertönte, aber das, was durchgesagt wurde, ging in dem Getöse unter, mit dem ein Schnellzug aus der Schweiz auf dem Gleis nebenan einfuhr.
Milas Blick fiel auf ein eisernes Gitter, das direkt an der Bahnsteigkante in den Boden eingelassen war. Aus dem Reiseführer, den sie im Zug zwischen Berlin und Karlsruhe gelesen hatte, wusste sie, dass sich unter einigen Bahnsteigen alte Bunker befanden, die im Zweiten Weltkrieg zum Schutz vor Bomben gedient hatten. Der Gedanke, in einem winzigen, unterirdischen Keller zu hocken, während ringsherum Feuer und Verderben wüteten, bereitete ihr Beklemmungen. Gleichzeitig aber fiel ihr eine Szene ein, in der sie und Nicholas sich gemeinsam in einem solchen Keller befanden.
Sie schob den Gedanken von sich, griff nach ihrem Rucksack und hob ihn auf den Rücken. Zeit, dass sie loskam. Ihre Freundin Isabelle würde sie nicht abholen, weil sie noch arbeitete, aber es war einfach, zu Isabelles Wohnung zu kommen. Mila musste nur vom Gare de l’Est die Metro Richtung Porte de Clignancourt nehmen und an der Station Château Rouge aussteigen. Isabelles Wohnung lag dank ihrer reichen Eltern mitten im Künstlerviertel Montmartre. Um sie zu erreichen, musste Mila zwar zu Fuß den gesamten Hügel erklimmen, aber das war ihr egal. So konnte sie sich gleich ein bisschen in den vielen bunten und interessanten Geschäften dort umsehen – und vielleicht sogar schon einen Abstecher zur berühmten Kirche Sacré-Cœur machen.
Eine Gruppe von halbwüchsigen Jugendlichen kam kreischend und lärmend auf sie zu. Zwei von ihnen, die damit beschäftigt waren, sich gegenseitig in den Schwitzkasten zu nehmen, rempelten sie aus Versehen an und Mila taumelte auf eine der orangefarbenen Bänke zu.
»Hoppla«, sagte jemand. Ein schlanker Junge, ungefähr in ihrem Alter und mit dunklem Haar, grinste sie an. Er saß auf der unbequemen Bank und sie wäre fast über seine ausgestreckten Beine gestolpert. Inmitten des Chaos auf dem Bahnhof strahlte er eine so seltsame Ruhe aus, als hätte er alle Zeit der Welt. Hatte er vielleicht auch. Er hatte jedenfalls kein Gepäck dabei.
»Tut mir leid«, sagte Mila. Sie sah ihm in die Augen, die milchkaffeebraun waren und in denen etwas lag, das sie nicht recht einordnen konnte.
»Kein Problem«, sagte der Junge.
Der Zug auf dem Nachbargleis löste seine hydraulischen Bremsen mit einem hässlichen Zischen und hüllte sie in einen Schwall stinkende Luft. Irgendwo begann ein kleines Kind zu weinen.
»Na, hab ich dir die Sprache verschlagen?« Der Junge zwinkerte Mila zu und sie riss sich zusammen. Den Spruch hatte sie sich verdient. Was stand sie auch herum und starrte fremde Jungs an?
Die Großfamilie hatte offenbar nicht gefunden, wonach sie suchte. Jedenfalls kam sie denselben Weg zurück. Die dicke blonde Frau redete noch immer auf ihren Mann ein.
Mila wollte die Worte des Jungen nicht auf sich sitzen lassen.
»Ja, hast du«, erwiderte sie und grinste. »Deswegen kann ich dir auch meine schlagfertige Antwort auf deine blöde Frage leider nicht verraten.« Sie packte ihre Umhängetasche fester und lief in Richtung Haupthalle. Es wurde Zeit, dass sie zu Isabelle kam und sich diese Reise mit einer kalten Dusche von der Haut spülte.
Liebevoll rückte Maréchal seine Bücher zurecht. Er war Buchhändler, einer der sogenannten Bouquinisten, und betreute wie jeden Tag seinen Stand am Ufer der Seine, wo er den Großteil seines Tages verbrachte. Er war nicht mehr jung, an die sechzig. Er trug Cordhosen und eine ausgebeulte Strickjacke und er hatte Falten um die Augen, die aussahen, als kämen sie vom vielen Lächeln. Sein Bart war weiß und dicht, ebenso wie der schmale Haarkranz, der ihm geblieben war.
Die Bouquinistenstände mit den grünen Dächern bildeten einen der berühmtesten und romantischsten Büchermärkte der Welt unter freiem Himmel und Maréchal war stolz darauf dazuzugehören. Noch viel stolzer allerdings war er darauf, dass es an seinem Stand, im Gegensatz zu denen vieler Kollegen, ausschließlich Bücher gab. Während Maréchals Standnachbar Jean und auch viele der anderen Bouquinisten sich ganz auf ihre Haupteinnahmequelle, die Touristen, eingestellt hatten und ihnen Posterdrucke, Kataloge und sogar Kühlschrankmagneten verkauften, gab es bei Maréchal wie in den guten, alten Zeiten nur Bücher. Und die meisten davon waren sehr alt. Rücken an Rücken standen sie unter dem hochgeklappten Holzdach, sorgfältig nach Größe und Einbänden sortiert. Ganz rechts die kleineren im Quartformat und nach links hin immer größer werdend, bis ganz an der Seite schließlich die dicken und schweren Folianten standen. Es gab Bücher über Schlachten, die vor vielen Jahrhunderten geschlagen worden waren, Bücher über Paris, Bücher über Schriftsteller und Künstler. Gedichtbände von berühmten französischen Autoren wie Baudelaire genauso wie moderne Taschenbuchbändchen völlig unbekannter Schriftsteller, die im Selbstverlag herausgegeben und Maréchal überlassen worden waren.
Mit einem Lächeln zog er eines dieser dünnen Bändchen heraus, schlug es auf und sog den Geruch von Papier und frischer Druckerschwärze ein. Wenn er seinen Stand aufklappte, roch es normalerweise eher nach Leder und Staub, trotzdem mochte er es genauso gern, an den frisch gedruckten Worten junger Dichter zu riechen.
Es war ein sonniger, für den Frühsommer angenehm warmer Tag und die Stadt war voller Touristen, die die Sonne ausnutzten und den Tag am breiten Strom genossen, der sich majestätisch durch Paris zog.
Maréchal setzte sich auf die Ufermauer und beobachtete die Leute. Ab und an kam jemand zu ihm an den Stand geschlendert, stöberte durch sein Angebot, kaufte aber nichts. Maréchal störte sich nicht daran.
Er zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche seiner alten Strickjacke, schlug es auf und begann zu schreiben. Gleich darauf ließ er das Büchlein jedoch wieder sinken, denn ein junges Paar Mitte zwanzig trat an seinen