Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

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Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky

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grinsend und triumphierend, als Sieger. Und diesen Sieg gönnte ich ihm nicht. Wenn ich jetzt starb, dann sollte auch er sterben, den gesellschaftlichen Tod sterben!

      Fieberhaft suchte ich nach einem Kugelschreiber, nach einem Stück Papier. Aber ich hatte nichts bei mir.

      „Dann kann ich also auch noch nicht sterben“, sagte ich laut.

      Allmählich hatte wohl auch das Sedativum zu wirken begonnen; jedenfalls klang meine Erregung so weit ab, dass ich wieder denken konnte. Und mit der Assoziation Kolczyk und Tod kam mir schlagartig die Erkenntnis, dass die Erklärung dieses Emery auch eine raffinierte Fälschung sein konnte: Womöglich war der Mann schon längst tot und konnte sich nicht mehr wehren? Oder Kolczyk hatte das alles einfach ganz ohne Emerys Wissen eingefädelt – wer wollte das wissen?

      Ich wollte es wissen!

      Ich riss den Schlauch vom Auspuff, warf ihn ins Gebüsch, wendete und raste den Hüttenweg entlang, bis ich auf die Clayallee stieß. Keine fünf Minuten später hatte ich die Universitätsbibliothek in der Garystraße erreicht. Unmittelbar gegenüber, in der Hittorfstraße, fand ich auch ohne längeres Suchen einen Parkplatz. Ich schloss den Wagen ab und lief ins erste Stockwerk hinauf, wo, wie ich wusste, im Durchgang zum Henry-Ford-Bau ein dicker Wälzer mit den Anschriften aller amerikanischen Verlage stand.

      Es dauerte auch nicht lange, dann hatte ich Ort und Telefonnummer der Duke University Press gefunden. Ein schneller Blick in meine Brieftasche zeigte mir, dass ich über 150 Mark bei mir hatte. Das langte garantiert für ein kurzes Gespräch nach North Carolina.

      In höchster Spannung, aber eher beschwingt als deprimiert fuhr ich zum Postamt am S-Bahnhof Lichterfelde West. Der junge Beamte dort sah mich etwas erstaunt an, sagte aber nichts. Und keine zwanzig Minuten später hatte ich die Duke University in Durham, North Carolina, an der Strippe.

      „Please, give me Mr. Charles Emery!“, sagte ich und war ziemlich sicher, dass ich mich ungeschickt ausdrückte.

      Aber die Telefonistin kapierte, was ich wollte, und verband mich mit dem Personalbüro, wenn ich recht verstand. Und dann, nachdem ich meinen Wunsch vorgebracht hatte, sagte eine Männerstimme:

      „I can’t help you, I’m afraid. Mr. Emery died last year.“

      Emery war tot. Im vergangenen Jahr gestorben ...

      „Hello ...?“, quäkte der Hörer. „Is there anytbing else.

      Ich legte wortlos auf.

      Kolczyk hatte geblufft ... Ich achtete nicht darauf, was mir der Beamte auf meinen blauen Hunderter herausgab; ich sah nur, dass zwei Groschen beim Wechselgeld dabei waren, und stürzte wieder in die Zelle. Erst wählte ich die Nummer der Universität, 76 90, dann Kolczyks Apparat.

      „Ja, Kolczyk ...“

      „Meinen herzlichsten Glückwunsch, Herr Dr. Kolczyk! Sie sind der erste Mensch, der Tote dazu bringen kann, Erklärungen abzugeben ... Haben Sie Charles Emery wenigstens ein paar Blumen aufs Grab gelegt?“

      Er schien nach Luft zu schnappen, blieb aber beherrscht. „Nein, die spare ich mir für Ihre Beerdigung auf.“

      „Da müssen Sie sich schon was Besseres einfallen lassen!“

      „Ach, wissen Sie, Ziegenhals – es gibt auch hier in Berlin genügend Leute, die für Geld alles tun ...“

      „Dann bin ich ja wohl im Gefängnis am besten aufgehoben. Vielleicht treffen wir uns mal beim Rundgang auf dem Hof ...“

      8. Kapitel

      Tagebuchaufzeichnungen von Prof. Dr. Rüdiger Kolczyk.

      Anhand aufgefundener Fragmente vom Autor rekonstruiert.

      Wieder klappte die Tür, und das war nun schon der zehnte Student, der den Hörsaal 108 verließ. Wenn es mir nicht bald gelang, die störenden Gedanken an Ziegenhals zu unterdrücken und mich wieder zu konzentrieren, dann konnte ich meine Vorlesung ‚Die amerikanischen Gewerkschaften‘ aus dem Verzeichnis streichen lassen.

      „Wir kommen nun ... äh ... Wir wollen uns nun den theoretischen Grundlagen der amerikanischen Gewerkschaften zuwenden, den Grundlagen und Leitsätzen, die sie hervorgebracht ... Also, die sie entwickelt haben. Wohl haben der Unternehmerindivida ... der Unternehmerindividualismus und die gleichzeitige ... und die gleichzeitige Laissez-faire-Haltung der Regierung zwischen Bürgerkrieg und New Deal oftmals in eine bedauernswerte ... die Arbeiter oftmals in eine bedauernswerte Lage gebracht ...“

      Irgendwo wurde Gelächter laut, ich griff zum Wasserglas, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Der Anruf vorhin hatte mich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Da hatte ich nun das Florett so brillant geführt, und dennoch war der Stoß pariert worden! Ich hatte niemals geglaubt, dass Ziegenhals diesen Trick durchschauen würde.

      Darum tröstete es mich nur wenig, dass mir Rannow meinen Anzug zurückgeschickt hatte, ohne Sperma, Speichel oder herausgerissene Fasern gefunden zu haben.

      Doch damit hatte er mich noch längst nicht von der Liste der Verdächtigen gestrichen ...

      Als Cloward, der meine Schwierigkeiten bemerkt haben musste, das Fenster aufgestoßen hatte, ging es wieder besser. Allmählich konnte ich meine Fassung zurückgewinnen.

      „... und die amerikanischen Arbeiter hatten also niemals institutionell verfestigte Formen der Unterdrückung kennengelernt. So konnte ein echtes Klassenbewusstsein ebenso wenig entstehen wie der Glaube an die Überlegenheit der Arbeiterklasse oder des Arbeiters in der Gesellschaft. Folglich konnte das Ziel einer Gewerkschaftsbewegung auch nicht die Verewigung eines Klassenzustandes sein ...“

      Die Krise war vorüber, ich konnte aufatmen.

      Während ich weitersprach, nun wieder ruhig, sicher und prononciert, kam mir ein Vers von Rückert in den Sinn: Schlägt dir die Hoffnung fehl, nie fehle dir das Hoffen! Ein Tor ist zugetan, doch tausend sind noch offen ... Es gab noch so viele Möglichkeiten für mich, das Duell mit Ziegenhals endgültig zu meinen Gunsten zu entscheiden!

      Am Ende der anderthalb Stunden, als meine Studenten erleichtert auf den breiten Flur hinausströmten, erwartete mich Cloward an der Tür.

      „Hallo, Rüdi!“

      „Hallo, Johnny!“

      Wir hatten uns im September 1966 beim 6. Weltkongress für Soziologie in Evian kennengelernt, und ich hatte ihn von Anfang an sehr sympathisch gefunden. Er war zwar schon dreißig Jahre alt, aber ich hätte es trotzdem gern gesehen, wenn er sich um meine Tochter beworben hätte. Doch Ginny hielt ihn für einen Playboy und er sie für ein tugendhaftes

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