Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

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Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky

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du mit, ein Brötchen essen?“, fragte Johnny, der ebenso gut Deutsch spricht wie ich Englisch.

      „Kann ich machen, ich habe mächtigen Hunger.“ Ich ging mit Cloward in den Keller hinunter, obwohl ich nicht den geringsten Appetit verspürte und am liebsten allein gewesen wäre. Aber ich durfte mir den Amerikaner nicht verärgern – ich brauchte ihn noch; er war eine sehr wichtige Figur in meinem Spiel.

      Nachdem mir Opa Melzer verraten hatte, wohin Ziegenhals verzogen war, hatte ich mich kurzerhand aufgemacht und sein neues Domizil unter die Lupe genommen. Im Feinkostgeschäft gegenüber hatte man mir gesagt, Muttchen Braatz habe noch ein weiteres Zimmer zu vermieten – und ich hatte sofort begriffen, welche Trumpfkarte mir da plötzlich in die Hand gespielt worden war: Cloward suchte seit Wochen nach einer angemessenen Unterkunft ...

      Eine halbe Stunde später hatte ich das Zimmer in seinem Namen gemietet. Der frei gewordene Raum – mit Küchen- und Badbenutzung – war von einem Ehepaar bewohnt worden, das ins Altersheim gegangen war. Ich ließ mir zwei Hausschlüssel von Muttchen Braatz geben, händigte Cloward später aber nur einen aus; den andern behielt ich.

      Cloward sah ich fast jeden Tag, und meist gelang es mir, ihn geschickt auszufragen, sodass ich immer aufs Genaueste wusste, was sich bei Ziegenhals zugetragen hatte. Einen besseren Spion als den Amerikaner konnte ich mir gar nicht wünschen. Und wenn Ziegenhals wirklich merkte, dass ich mit Cloward befreundet war, dann schadete es auch nichts: Es würde ihn höchstens unsicher machen, und das konnte mir nur recht sein.

      Endlich waren wir an der Reihe und konnten unsere Wurstbrötchen in Empfang nehmen. Wir kauften uns noch jeder eine Flasche Florida Boy und suchten uns einen Tisch am Ende des lang gestreckten Raumes.

      Behutsam lenkte ich dann das Gespräch auf Clowards Wirtin, indem ich mich erkundigte, ob er hier in Berlin immer noch so viel Erfolg bei den Mädchen habe wie damals in Evian am Genfer See.

      „Danke, ich kann mich nicht beklagen ...“ Dann erzählte er mir in aller Ausführlichkeit von Muttchen Braatz und ihren Schrullen; dann erst kam er endlich auf Ziegenhals zu sprechen: „Der Mann ist völlig durcheinander – leidet offenbar unter Halluzinationen, Verfolgungswahn, was weiß ich ... Eine richtige Arbeit hat er auch nicht.“

      Ich muss gestehen, dass ich diese Ausführungen mit innerem Frohlocken vernahm. Wenn das schon die Reaktion auf das gefälschte Statement von Charles Emery war, dann konnte ich wieder hoffen. Schön, er hatte den Trick schließlich durchschaut; er schien aber nichtsdestoweniger in eine nervliche Krise geraten zu sein.

      „Ich hab mich ein bisschen mit ihm angefreundet“, sagte Cloward, „aber er ist irgendwie – scheu, ja? Scheu und verstört ... Er muss ein Problem haben, mit dem er nicht fertig wird. Ich möchte wetten, irgendwann dreht der mal durch und wirft sich vor die U-Bahn.“

      Vieles, was ich daraufhin in den nächsten Tagen und Wochen tat, scheint auf den ersten Blick albern und kindisch und höchst absurd zu sein; doch es hatte Methode. Meine Strategie war klar: Ich musste Ziegenhals zum Selbstmord treiben.

      Mit jeder Selbstmordhandlung wird ein Rückzug aus einer unerträglichen Situation angestrebt. Und ich wollte Ziegenhals so unsicher machen, so ängstigen, so isolieren, dass das Leben unerträglich für ihn wurde – jeden Tag eine kleine, vergiftete Injektion ... Um ein präsuizidales Syndrom in ihm aufzubauen, musste ich an sich belanglose Scherze, Streiche und Gags zu psychologischen Kampfmitteln umfunktionieren, musste ich ihm die Sinn- und Ausweglosigkeit seines Tuns klarmachen, ihn zwingen, sich in eine starke und ohnmächtige Aggression gegen mich hinein zu wühlen, musste ich in ihm den Wunsch nach Ruhe übermächtig werden lassen.

      „Dieser Ziegenhals ist schon ein armer Hund“, sagte ich nachdenklich zu Cloward und seufzte ein wenig. „Er kann einem wirklich leidtun. Ich kenne ihn von früherer, saß mal bei mir im Seminar. Dann ist er irgendwie verschollen ... Jetzt will er wohl sein Studium wieder aufnehmen – aber es ist sinnlos, dass er es tut.“

      „Wieso?“

      „Ein Freund von mir ist Arzt, und Ziegenhals ist bei ihm in Behandlung. Na ja, und wie das so kommt – durch irgendeinen Zufall erfährt man’s dann ... Ziegenhals leidet an Leukämie. Nichts mehr zu machen ...“

      9. Kapitel

      ZWISCHENSPIEL MIT EINEM MÖRDER

      Er kam vom Fußballplatz und war völlig durchgefroren; hin und wieder fluchte er, weil es beim Spiel auf dem alten Kasernenhof wenig zu sehen gegeben hatte. Vorüberhuschende Mädchen mit Stiefeln und kurzen Röcken, die kräftige Schenkel erkennen ließen, lenkten seine Gedanken schnell in eine andere Richtung, aber einmal hatte die grimmige Kälte sein Blut allzu sehr ins Körperinnere getrieben, sodass er ein Versagen befürchtete, und zum andern hielt er es für besser, wenn man ihn mal eine Zeit lang nicht in der Gesellschaft leichter Mädchen sah.

      Es war der zweite Advent, und die Kerzen, die er vom Bürgersteig aus brennen sah, stimmten ihn wehmütig und zornig zugleich. Trotz aller Bemühungen war es ihm noch immer nicht gelungen, eine feste Freundin zu finden. Manchmal kam es ihm so vor, als könnten es ihm alle vom Gesicht ablesen, dass er ein Mörder war. Das war natürlich Blödsinn, aber ... Die Erwachsenen, ja: die Erwachsenen, seine Mutter, die Trainer, die Fürsorger, die Wärter und die Lehrer – die waren schuld. Weil sie es nicht geschafft hatten, einen normalen Menschen aus ihm zu machen ... jetzt jagten sie ihn; jetzt war es zu spät. Er hatte gemordet. Im Rausch gemordet.

      Er bereute es nicht; es gab viel zu viele Menschen auf der Welt, und wenn da plötzlich einer fehlte, fiel das gar nicht weiter ins Gewicht. Er fühlte sich nur von unerbittlichen Feinden umzingelt und fürchtete die Zelle, die ihn für lange Jahre erwartete. Das Grab für einen Lebenden ... Er war kein Philosoph, doch eine Frage ließ ihn nicht mehr los: Warum bin ich ausgerechnet Karl-Heinz Prötzel – warum nicht Udo Jürgens, Tom Jones, Roy Black, Thomas Fritsch oder Franz Beckenbauer?

      Er hatte es nicht getan. Andere hatten es durch ihn getan; andere ließen ihre Verbrechen durch ihn begehen. Damals im Heim in Ruhleben hatte er immer gesagt, Ralf ist es gewesen, wenn die Schwester am Morgen sein nasses Bett entdeckt hatte. Ralf hatte eine Etage über ihm gelegen.

      Prötzel stieß die Tür zur Heißen Ecke auf und begrüßte Theo, den stämmigen Wirt, mit einem devoten Kopfnicken. Vor ihm, dem ehemaligen Catcher, hatte er einen höllischen Respekt.

      „’ne Bockwurst mit Salat, ’n Pils und ’n Korn ...“, bestellte er.

      Er bekam das Verlangte, doch es schmeckte ihm nicht, denn inzwischen war die langbeinige Babsy hereingekommen, und Babsy hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Frau, die er in Hamburg erwürgt hatte ... Warum hatte sie nicht tun wollen, wofür er vorher bezahlt hatte? Jedenfalls, er hatte den Ärger davon. Gemeines Aas.

      „Willste nich rübakommen?“ Er winkte Babsy zu, die ohne Miezi recht verloren wirkte.

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