Taunusgier. Osvin Nöller
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Taunusgier - Osvin Nöller страница 2
In ein paar Minuten würden sie den Einsatzort erreichen. Ihr Blick wanderte zum Rückspiegel. Die Kollegen Holger Liebig und Fred Spiegel hielten die oberhalb der Türen angebrachten Haltegriffe fest und wirkten völlig gelassen. Sie hatten ihre Sturmhauben übergezogen, Helme und vier Maschinenpistolen lagen neben ihnen. Auf dem Beifahrersitz saß Erik, Melanies Partner und Lebensgefährte. Seine Finger flogen über das Display des Smartphones, die Haube steckte im Schutzhelm, den er zwischen den Füßen eingeklemmt hatte.
Melanie durchfuhr es wie bei einem Stromstoß, als der Wagen in einer langen Linkskurve ausbrach. Sie ging kurz vom Gas, tippte das Bremspedal an, lenkte gegen und beschleunigte erneut. Der Audi schleuderte, fand aber zurück in die Spur.
„Scheiße!“ Eriks Stimme. „Mein Handy liegt im Fußraum! Kannst du nicht anständig fahren?“, zischte er ihr zu, öffnete den Sicherheitsgurt und tauchte ab.
Sie amüsierte sich. Erik hing mit dem Kopf abwärts, Rumpf und Beine befanden sich irgendwo zwischen Fußmatte und Seitenfenster. Die plötzlich auftauchende Bewegung vor dem Wagen ahnte Melanie mehr, als sie sie erkannte. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie wie gelähmt. Auf dem Bürgersteig tanzte ein Mädchen mit Kopfhörern auf den Ohren in Richtung eines Zebrastreifens, der wenige Meter vor ihnen über die Straße führte. Die Erstarrung löste sich schlagartig, Melanie stieg mit ihrem gesamten Gewicht aufs Bremspedal, lenkte gleichzeitig blitzartig gegen die Laufrichtung der Kleinen. Das erschrockene, kindliche Gesicht verschwamm und verwandelte sich in Eriks, der Melanie anlächelte. Nein, er schien sie zu verhöhnen!
***
Melanies Herz raste, der Schlafanzug klebte am Körper, als sie langsam aus dem Bett kroch. Sie griff nach einem Umhang, den sie am Abend auf den Stuhl gelegt hatte, als habe sie den Traum erwartet. Der Digitalwecker auf dem Nachttisch zeigte 2:13 Uhr. Sie schlurfte in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und nahm sich eine Flasche Almdudler. Es war die Vorletzte, sie musste daran denken, das Fach aufzufüllen. Sie entfernte den Deckel mit dem am Kühlschrank befestigten Flaschenöffner und trank die Kräuterlimonade in einem Zug aus.
Ihre Gedanken rotierten wie in einem Karussell. Immer wieder tauchten Fetzen der Traumszene auf. Wie sehr hatte sie gehofft, die Albträume hinter sich gelassen zu haben. Dr. Randke hatte ihr bei der abschließenden Sitzung vor ziemlich genau drei Monaten doch Hoffnung gemacht! Leider hatte er sich wohl geirrt. Das ganze Elend war zurück.
Erik und sie hatten heiraten wollen. Der Termin hatte bereits festgestanden. Es hätte einer ihrer letzten gemeinsamen Einsätze sein sollen, da er in ein anderes Team versetzt werden sollte. Als Ehepaar wäre eine dermaßen enge Zusammenarbeit unmöglich gewesen. Sie seufzte und schlurfte ins Wohnzimmer, dessen Möbel vom Stil her völlig unterschiedlich waren, aber dennoch zusammenpassten. Melanie nahm den Laptop und einen schmalen Schnellhefter vom Schreibtisch und trug beides auf den winzigen Balkon, den ein Strandkorb fast ausfüllte. Die umliegenden Häuser im Hamburger Schanzenviertel lagen wie ausgestorben vor ihr, nur eine getigerte Katze schlich auf der Straße umher.
Melanie ließ sich in den Korb fallen, legte die nackten Füße aufs Balkongeländer und öffnete den Computer auf ihrem Schoß. Sie fröstelte einen Moment, doch die für April deutlich zu milde Nachtluft hielt sie im Schlafanzug und mit dem Umhang problemlos aus. Die Datei mit dem angefangenen Abschlussbericht zu ihrem letzten Auftrag erschien auf dem Bildschirm. Es ging um eine Beobachtung, die sie für einen Ehemann durchgeführt hatte, der vermutete, dass seine Frau ihm untreu war. Die werte Dame vergnügte sich tatsächlich regelmäßig mit einem Arbeitskollegen.
Sie überflog ihre Notizen und las sich den bisherigen Bericht durch. Dann überarbeitete sie einen Abschnitt und korrigierte ein paar Schreibfehler, bevor sie ihre Finger über die Tastatur tanzen ließ und den Text fertig schrieb. Die letzten Zeilen fielen ihr zunehmend schwer, ihre Augen drohten zuzufallen und sie musste sich zwingen, zu Ende zu schreiben. Schließlich schaltete sie den PC aus und schlief sofort ein.
***
„Verflucht!“, entfuhr es ihr, als Sonnenstrahlen sie weckten. 8:44 Uhr! Eigentlich war es nicht schlimm, verschlafen zu haben, sie hatte keine Termine und ihre Wohnung lag direkt unter ihrem Büro. Dennoch schoss sie hoch und konnte gerade noch verhindern, dass der Computer in hohem Bogen über das Geländer flog. Der Tag fing ja prima an!
Nach einer Kurzdusche verzichtete sie wie fast immer auf Make-up und schlüpfte in ihre Lieblingsjeans und eine Bluse. Den Kaffee stürzte sie im Stehen hinunter und bereute dies, als der Gaumen schmerzhaft zu bitzeln begann. Sie hasste es, wenn der Tag hektisch startete, und ärgerte sich vor allem, weil es an dem blöden Traum lag.
Endlich schnappte sie sich Laptop und Schnellhefter, glitt in ihre braunen, abgewetzten Sneakers und zog beim Verlassen der Wohnung die Tür ins Schloss. Sie stieg die Holztreppe hoch und stutzte, als sie den Treppenabsatz vor ihrem Büro erreichte. Auf den Stufen zur oberen Etage saß ein ihr unbekannter Mann, der aufsprang.
„Guten Morgen, Frau Gramberg, nehme ich an.“
Wer denn sonst? Er wartete schließlich vor dem Eingang mit der Aufschrift Detektei Melanie Gramberg.
Sie musterte ihn. „Moin, mit wem habe ich das Vergnügen?“ Er war in etwa so groß wie sie selbst, Mitte vierzig, wirkte gepflegt und trug das gewellte, blonde Haar kurz geschnitten. Seinen Anzug gab es sicherlich nicht von der Stange.
„Pascal Wolter.“ Er hielt ihr die Hand entgegen, die sie zögernd ergriff. Sein Händedruck war fest und angenehm.
Melanie schloss die Bürotür auf und schaltete die Beleuchtung an. „Folgen Sie mir bitte.“
Sie ging geradeaus auf eine Glastür zu, die sie aufstieß. Mit einer Handbewegung bedeutete sie dem Besucher, einzutreten. Sie zeigte auf eine Sitzgruppe mit vier Holzstühlen, die sie auf einem Flohmarkt gefunden hatte.
Wolters Blick schweifte durch den Raum. Seine Mimik sprach Bände.
Melanie deutete auf einen Sekretär und den zwei Meter breiten Schreibtisch. „Die Möbel sind Erbstücke meiner Großeltern. Bisschen renovierungsbedürftig, dafür antik und von ideellem Wert.“ Warum rechtfertigte sie sich für ihre Einrichtung?
Wolter nickte wie gedankenverloren. Sein Blick blieb an einem weißen Ikea-Regal mit unzähligen Ordnern und Büchern hängen. Er runzelte kurz die Stirn und setzte sich.
„Kaffee, Tee, Wasser?“ Sie überlegte, ob er auf sie sympathisch wirkte.
„Nein, danke.“ Er sah sie an und lächelte. „Ich habe Sie mir älter vorgestellt.“
„Aha.“ Der Kerl bewarb sich unverblümt um das Prädikat eines aufgeblasenen Fatzkes.
„Weshalb?“ Melanie legte den Laptop auf die Arbeitsplatte, den Hefter daneben und nahm ihm gegenüber Platz.
„Nur so, dachte, Sie wären eher um die fünfzig. Man hat Sie mir als besonders erfahren beschrieben.“ Er stockte, als würde ihm in diesem Augenblick bewusst, wie unhöflich er sich verhielt. „Sorry, wollte nicht ungehobelt wirken“, schob er hastig nach.
Zu spät, Bürschchen, schoss es Melanie durch den Kopf.
„Ich benötige Ihre Hilfe.“ Wolter öffnete sein Jackett und entnahm der Innentasche eine schmale Mappe, die er vor ihr ablegte und glattstrich. „Sie sollen meinen Bruder finden. Es muss ihm etwas passiert sein!“ Er deutete auf die Unterlagen. „Hier drin sind Informationen, die Ihnen