Taunusgier. Osvin Nöller
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Читать онлайн книгу Taunusgier - Osvin Nöller страница 4
Melanie lachte und drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Psst!“ Sie trank den Rest ihrer Limonade aus und stellte sich einen Augenblick vor, mit ihm zusammen zu sein. Sie mochte Fred und hätte sich in einem anderen Leben, vor allem unter besseren Umständen, vielleicht in ihn verliebt. Er war allerdings Erik so unglaublich ähnlich. Wäre er nicht eine billige Ersatzlösung?
Sie verdrängte die Gedanken und wandte sich ihm erneut zu. „Es gibt noch einen Grund“, erklärte sie. „Ich verspüre keinerlei Lust, wer weiß wie lange in einer langweiligen Kurstadt zu verbringen.“
„Warum? Wird doch prima bezahlt. Wäre eine nette Abwechslung für dich. Du musst das nur mit deinen sonstigen Klienten vereinbaren können.“
Melanie seufzte. „Sind gerade keine am Start. Den letzten Auftrag habe ich gestern abgerechnet.“
Er breitete seine Hände aus. „Na also, worauf wartest du?“
Ihr Smartphone klingelte. Nach einem schnellen Blick auf das Display drückte sie den Anruf weg.
„Nichts Wichtiges?“, erkundigte sich der Freund. „Geh ruhig dran.“
Sie schüttelte den Kopf. „Meine Schwester. Die kommt wieder.“ Wie auf Kommando läutete ihr Telefon erneut. Melanie stieß den Atem aus und nahm das Gespräch an.
„Anja, es passt im Moment nicht. Ich ruf dich …“
Die Anruferin unterbrach sie. „Mel, Vater hatte einen Schlaganfall und liegt auf der Intensivstation im Mathilden-Hospital. Sieht übel aus. Ich glaube, du solltest kommen!“
***
Obwohl das Foyer weit und luftig war, waberte ein Geruch aus Krankheit und Desinfektion, durch die Halle. Melanie sah sich um und knetete ihre Hände, bis sie in einer Sitzecke Anja entdeckte, die aufsprang. Die kalkweiße Gesichtsfarbe bildete einen scharfen Kontrast zu ihren geröteten Augen.
„Super, dass du da bist“, begrüßte sie Melanie. „War mir unschlüssig, ob du ihn überhaupt sehen willst.“ Sie zögerte. „Nach dem, was zwischen euch war.“
Melanie verzog das Gesicht. „Mach dir keinen Kopf. Er bleibt ja unser Vater. Obwohl er das mir gegenüber in den letzten Jahren kaum gezeigt hat.“ Ihr Körper straffte sich. „Sag, wie schlimm ist es?“
„Ziemlich! Ich habe ihn heute im Bett gefunden. Er ist auf einer Seite gelähmt und außerstande zu sprechen. Bin nicht sicher, ob er alles wahrnimmt. Die Ärzte haben mir wenig Hoffnung gemacht. Vermutlich hab ich ihn zu spät entdeckt.“
Anja schluchzte, worauf Melanie sie in den Arm nahm und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte. Unwillkürlich wurde sie wieder zu der Beschützerin, die sie früher oft gewesen war.
Sie fuhren mit dem Lift zur Intensivstation. Anja lief zielstrebig voraus, um schließlich vor einer Tür zu stoppen.
„Mel, du darfst nicht erschrecken. Er sieht aus wie der Leibhaftige persönlich und sein Gesicht ist völlig verzerrt.“ Sie klopfte, öffnete die Tür und ließ Melanie den Vortritt.
Ulrich Gramberg lag in einem Einzelzimmer. Glücklicherweise hatte Anja sie gewarnt, denn von dem einst charismatischen Hanseaten war rein äußerlich nichts mehr übrig. Dort lag ein todgeweihtes Häufchen Elend mit aschfahler Haut, das an einen Tropf angeschlossen war und dessen letzte Lebenszeichen von rhythmisch blinkenden Geräten begleitet wurden. Zum Glück hatte man den akustischen Überwachungston abgeschaltet.
Melanies Kloß im Hals, der sich beim Betreten der Klinik gebildet hatte, schien ihr allmählich die Kehle zuzudrücken.
Seine schielenden Pupillen orientierten sich in ihre Richtung. Aus dem Augenwinkel registrierte sie, dass sein Pulsschlag sich rasant beschleunigte und die Anzeige bei 135 Schlägen einpendelte. Gramberg versuchte, zu sprechen, was in ein paar gurgelnden Geräuschen mündete.
„Papa, ich bin es. Mel.“
Der Herzschlag näherte sich der Marke von 150. Anja war im Hintergrund geblieben, während Melanie einen Stuhl nahm und sich neben das Bett setzte. Vorsichtig ergriff sie die rechte Hand ihres Vaters und streichelte sie. Er beobachtete sie, wobei sein Puls unverändert galoppierte. Sie drehte den Kopf. „Würdest du uns einen Augenblick allein lassen?“
Anjas Blick fixierte Melanie. „Hältst du das für eine gute Idee?“
„Bitte!“
Anja verzog das Gesicht, wandte sich jedoch ab und verließ den Raum. Melanie blickte ihrem Vater direkt in die Augen. „Es tut mir sehr leid. Das hast du nicht verdient.“ Sie überlegte kurz, ob es richtig war, sich mit ihm auszusprechen. Es konnte eigentlich keine Aussprache geben, trotzdem war es ihr wichtig, denn möglicherweise bedeutete das heutige Treffen den endgültigen Abschied. Sie gab sich einen Ruck.
„Es ist für mich furchtbar traurig, dich unter diesen Umständen wiederzusehen. Ich möchte dir etwas sagen, was ich zu lange mit mir herumschleppe.“ Der Pulsschlag erhöhte sich auf 160.
Sie zögerte und strich dem Vater zärtlich über den Kopf. „Wir haben beide Fehler gemacht und ich bin mir sicher, es wäre nicht zu unserem Zerwürfnis gekommen, wenn wir Sturköpfe anständig miteinander gesprochen hätten.“
Sie hielt inne und holte tief Luft. „Dir muss früh klar gewesen sein, dass ich nie Jura studieren und die Anwaltspraxis übernehmen würde. Ich bin nicht geeignet für Gerichtssäle und ellenlange Schriftsätze. Ich wollte schon immer zur Polizei gehen. Dort konnte ich etwas Sinnvolles tun und gleichzeitig meine Grenzen austesten. Leider hat Eriks Tod alles zerstört. Mindestens so schlimm empfinde ich, dass du mit mir gebrochen hast, weil ich den Dienst quittiert habe und ich in deinen Augen eine Versagerin bin. Den Kontakt zu mir abzubrechen und mich letztes Jahr bei Mutters Beerdigung zu schneiden, hat mir teuflisch wehgetan.“
Sie schluckte mehrmals. „Papa, ich kann nicht mehr Polizistin sein. Die Schuld, die ich an dem Unglück habe, verhindert das! … Deshalb bin ich ausgeschieden.“ Melanie lächelte, als sich der Herzschlag ihres Vaters leicht beruhigte. „Denk bitte darüber nach.“
Der Kloß in ihrem Hals löste sich wie von Zauberhand auf. „Ich liebe dich sehr!“
Seine Pupillen glitzerten, er drückte ihre Hand spürbar. Als der Versuch zu sprechen erneut kläglich scheiterte, liefen ihm dicke Tränen die Wangen entlang. Er schien ihr einen liebevollen Blick zuzuwerfen.
Sie stand auf, beugte sich über ihn, küsste ihn auf die Stirn und hielt ihn eine Weile fest. Mit jeder Sekunde entspannte er sich weiter.
„Danke“, flüsterte sie, nickte ihm zu und verließ den Raum. Es wurde ihr bewusst, dass sie gerade endgültig Abschied genommen hatte. Sie trauerte und weinte, obwohl sie es unsagbar erleichterte, endlich die Möglichkeit gehabt zu haben, ihre Gefühle ihm gegenüber zu erklären. Sie war ihrem Vater so nahe gewesen wie vielleicht seit ihrer Kindheit nicht mehr.
***
Anja wartete in einer Sitzgruppe am Ende des Gangs. Sie runzelte die Stirn. „Wie ist es gelaufen? Was hast du ihm gesagt?“
Melanie überlegte kurz, wie sie es ausdrücken sollte, entschied