Taunusgier. Osvin Nöller

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Taunusgier - Osvin Nöller Melanie-Gramberg-Reihe

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entdeckte sie eine weitere, durch das Regal fast vollständig verdeckte, massive Tür. Vorsichtig ging sie darauf zu. Sie würde es nicht hören können, wenn jemand die Treppe hinunterkam. Kurz entschlossen drehte sie sich um und verschloss die Tür zum Treppenhaus.

      Über dem verborgenen Eingang stand Schutzraum für 250 ­Menschen. Diese Stahltür stammte auf keinen Fall aus der Zeit des zweiten Weltkriegs, so glänzend und sauber, wie sie aussah, zudem wirkte das Schloss modern.

      ­Melanie machte mit ihrem Smartphone ein paar Fotos. Ein flaues Gefühl im Magen ermahnte sie, dass es Zeit wurde, zu gehen. Sie hielt sich schon ziemlich lange hier unten auf und vermutlich würde die Wirtin bald nach ihr sehen kommen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Als sie niemanden sah, huschte sie schnell aus dem Raum. Sie blieb stehen und lauschte. Nur Geschirrklappern im Erdgeschoss. Hastig lief ­Melanie zur Toilette.

      Als sie wieder in die Gaststube kam, war der Langhaarige verschwunden und sein Tisch abgeräumt. An ihrem Platz stand der Wurstsalat, den sie in kürzester Zeit vertilgte. ­Sabrina lächelte ihr zu. Sie wirkte völlig entspannt.

      „Möchten Sie noch etwas trinken?

      ­Melanie sah auf die Uhr. „Danke, nein. Machen Sie mir bitte die Rechnung.“

      19. April

      „Timo, ich bin es leid. Wir brauchen das Doppelhaus in der Neuen Mauergasse und zwar gestern!“ Frank ­Schüttler schob sich im Ledersessel nach vorne. „Wie ist der aktuelle Stand?“

      Timo Rall kannte die Ungeduld des Chefs seit vielen Jahren. Immer, wenn der Abschluss eines Immobiliengeschäfts bevorstand, wurde der Architekt nervös. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis er aufsprang und seine zwei Meter durch das Büro tigern ließ. Dann gab es folgende Möglichkeiten: Entweder grinste er plötzlich und sagte: „Komm, lass uns einen Kaffee trinken.“ Oder er kündigte Timo fristlos, weil er unfähig sei. Timo hatte aufgehört zu zählen, wie oft er schon rausgeflogen war. Es war einerlei, denn Frank erschien spätestens eine Stunde danach, entschuldigte sich und erklärte ihn zum besten Mitarbeiter, den er je beschäftigt hatte. Was blieb ihm auch übrig? Er war der Assistent, der ­Schüttler den Rücken freihielt und alle Aufträge ohne Murren erledigte, selbst diejenigen, die sonst niemand ausführen wollte.

      Heute war die Situation jedoch anders. Der Startpunkt ihres Projektes war abhängig von dem Anwesen mit der Gaststätte und obwohl der Kauf in den Sternen stand, war ­Schüttler am Morgen im Rathaus gewesen. Er hatte mit dem Bauamtsleiter die geplante Neubebauung des Areals besprochen. Dabei hatte er so getan, als müsse er nur noch auf die Grundbucheintragungen warten, um mit dem Abriss der Gebäude zu beginnen. Timo war gespannt, wie der heutige Auftritt seines Chefs sich entwickeln würde.

      „Unverändert. ­Rosenthal, dem die linke Hälfte gehört, wäre möglicherweise bereit, zu verkaufen. Er scheint sich nach einem Altersruhesitz umzusehen. Das Blöde ist, dass er das Haus nur aufgeben will, wenn die Eskir ihres ebenfalls veräußert. Die verehrte Frau Wirtin ist leider hart wie Kruppstahl. Sie lehnt jede Verhandlung ab.“ Wie er den Job hasste! Er wusste genau, was jetzt kommen würde.

      „Na, dem Juden werden wir sicher helfen können. Da gibt es doch die Seniorenbetreuung. Red mal mit denen, damit die ihm ein Angebot erstellen.“ ­Schüttlers Stimme klang noch immer angespannt.

      „Hab längst mit der Klettke gesprochen. Sie bearbeitet ihn, er ist aber erst 52. Er privatisiert.“

      ­Schüttlers Miene verdunkelte sich. Der nächste Ausbruch bahnte sich an. „Dann klemm dich dahinter!“, schrie er unvermittelt los. „Reden allein bringt nichts!“ Feine Tropfen Spucke flogen über den Tisch, weshalb Timo einen Schritt zurücktrat. „Der Eskir musst du die Lust vermiesen, dort zu wohnen. Mach ihr das Leben zur Hölle! Lass dir endlich was einfallen! Wie oft muss ich dir das noch sagen?“ Er sprang auf und ging im Büro auf und ab. Seine Stimme wurde leiser, er flüsterte beinahe. „Timo, falls du mit der Aufgabe überfordert bist, suche ich mir jemanden, der das kann.“

      Aha, jetzt war es soweit! ­Schüttler blieb direkt vor Timo stehen, der ihn unbeeindruckt ansah und sich aufreizend langsam durch den roten Vollbart strich. Diesmal wich er nicht zurück, auch wenn er acht Zentimeter kleiner als sein Chef war und zu ihm aufsehen musste. Es entwickelte sich ein Blickduell.

      Timo entfernte einen imaginären Fussel vom Leinenjackett und verengte die Augen. „Frank, es reicht mir. Lass mich in Ruhe arbeiten! Ich werde alles daransetzen, die Grundstücke an Land zu ziehen. Alles!“ Er funkelte ­Schüttler an. „Hör endlich auf, unsinnigen Druck aufzubauen, und die Welt durcheinanderzubringen!“ Er drehte sich um und schlenderte betont lässig zur Tür. Er öffnete sie und verließ den Raum.

      „Du bist gefeuert! Endgültig! Ich mach dich fertig!“, klang es hinter ihm her.

      Timo lachte.

      ***

      ­Melanie saß beim Frühstück und las die Nachrichten in ihrem Smart­phone. Sie fühlte sich nach einer traumlosen Nacht ausgeruht und gehörte zu den letzten Frühstücksgästen, bevor das Buffet abgeräumt wurde.

      Sie dachte an ihren Besuch im Silbernen Bein. Im Nachhinein kam es ihr albern vor, das Risiko eingegangen zu sein, den Keller der Wirtschaft zu untersuchen. Dennoch sagte der Bauch ihr, dass es spannend sein könnte, hinter diese verborgene Tür zu schauen. Deshalb schrieb sie eine neue Notiz in ihr Handy: Schutzraum Kneipe: Warum wird ein genutzter Zugang versteckt?

      Die Pöbeleien des jungen Mannes, Schneider hieß er, gingen ihr durch den Kopf und sie musste zugeben, dass das Eingreifen des Langhaarigen durchaus Stil gehabt hatte. Er schien nicht nur ein interessanter Typ, sondern auch Stammgast im Lokal zu sein. Ihn sollte sie im Auge behalten.

      Sie trank den Kaffee aus und überprüfte ihre Mails. Abgesehen von ein paar Werbebotschaften gab es eine Nachricht, in der sich der Kollege meldete, an den sie Klienten während ihrer Abwesenheit verwies. Er hatte eine Anfrage und wollte wissen, ob sie den Auftrag zu übernehmen gedenke. Sie lehnte ab und wünschte dem Detektiv viel Erfolg.

      Schnell schrieb sie Pascal Wolter eine Botschaft, in der sie mitteilte, dass sie sich in Bad Homburg befand und in den nächsten Tagen melden würde, falls es Neuigkeiten gäbe. Zunächst war es jedoch wichtig, ein Schwimmbad zu finden und bestenfalls ein Fitnessstudio dazu. Es war jetzt bereits der zweite Tag ohne den gewohnten Sport und das ging gar nicht. Außerdem vermisste sie ihren geliebten Strandkorb. Sie musste unbedingt eine gemütliche Ecke finden, die ihr als Ersatz für ihr Refugium dienen konnte.

      Nachdem sie an der Rezeption gefragt hatte, packte sie ihre Badesachen ein und spazierte bei angenehmen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein durch den Kurpark zum Seedammbad.

      Das Außenbecken hatte leider noch nicht geöffnet, aber ­Melanie genoss es dennoch, die kürzeren Bahnen im Innenbereich mit kräftigen Zügen zu durchpflügen, bis sie nach 2.000 Metern kurzatmig aus dem Wasser stieg.

      Als sie später das Bad verließ, verspürte sie Tatendrang, obwohl sie keine Idee hatte, wie sie etwas über Jan Wolter und sein Verschwinden in Erfahrung bringen sollte, ohne sich zu outen.

      Am Thermalbad entlang spazierte sie zurück in den Park und betrat die Brunnenallee im Kurpark.

      Beinahe hätte sie die Männer übersehen, die auf einer Mauer vor einem Trinkbrunnen saßen. ­Melanie schaltete die Musik aus, trennte das Kabel der Kopfhörer von ihrem Smartphone und verstaute alles in ihrer Sporttasche. Langsam schritt sie an der Szene vorbei und blieb an einem Baum stehen, von dem aus sie einen

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