Taunusgier. Osvin Nöller
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Was der Mann wohl von dem rabiaten Jüngling wollte?
Sie ärgerte sich, dass sie ihre Kamera nicht mitgenommen hatte, um aus der Entfernung ein paar Aufnahmen machen zu können.
Der Ältere hatte die Ansprache beendet und drehte sich um. Er ging den Weg entlang zur Brunnenallee, der unweit von Melanies Standort endete. Schnell sprang sie zu einer Parkbank und setzte sich keine Sekunde zu früh. Der Rothaarige mit dem kurz geschnittenen Vollbart schlenderte an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
***
„Wie ist es gelaufen?“ Frank Schüttler lehnte sich im Bürosessel zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.
„Ist alles auf dem Weg, wie ich es gesagt habe.“ Timo stand vor dem Schreibtisch. Der Disput und die Kündigung vom Vormittag schienen vergessen. Der Architekt wirkte bestens gelaunt. Die gewellten Haare lagen genauso akkurat wie am Vormittag und Timo fragte sich wieder einmal, wie viel Zeit er wohl für das perfekte Styling benötigte. „Es gibt doch noch etwas. Wir wurden beobachtet.“
Schüttler setzte sich aufrecht hin und nahm einen Füllfederhalter, mit dem er spielte. „Wieso? Von wem?“
„Wenn ich das wüsste. Eine Frau, so Mitte dreißig, hat sich von der Brunnenallee aus für uns interessiert und dabei vermutlich Fotos mit dem Smartphone geschossen. Schneider hat sie zuerst bemerkt, worauf ich anschließend an ihr vorbeigegangen bin. Ich kenn die nicht.“
„War es vielleicht diese Journalistenschnepfe vom Taunusblick, die uns letztens mit ihren Fragen und Recherchen auf den Nerv ging? Wie hieß die gleich?“ Schüttler zündete sich eine Zigarette an, stand auf und öffnete das Fenster.
„Du meinst Nadine Gissel. Nein, die sieht anders aus. Ich glaube nicht, dass die Tussi im Park eine Reporterin war. Schon allein, wie sie mir später gefolgt ist. Ich hatte fast den Eindruck, sie sei eine Polizistin.“
Der Chef zog die Stirn in Falten. „Red keinen Scheiß. Sie hat dich wirklich verfolgt? Bist du dir sicher?“
„Ja, ganz bestimmt. Ich hab sie bis zur Kurhausgarage geführt und dort abgehängt. Ich behaupte ja nicht, dass sie von der Polizei war. Schien mir nur so. Manchmal habe ich sie unterwegs nicht gesehen und plötzlich tauchte sie vor mir wieder auf. Machte sie ziemlich professionell.“
„Das gefällt mir nicht. Schnüffeleien sind das Letzte, was wir brauchen.“
Timo winkte ab. „Frank, das ist mir eh klar. Ich sage dir das nur, damit du in den nächsten Tagen aufpasst.“ Er beschrieb Melanie in wenigen Worten. „Sei einfach vorsichtig.“
***
Melanie betrat das Silberne Bein, wo ihr nicht nur ein ordentlicher Geräuschpegel, sondern zudem alkoholgeschwängerte Luft entgegenschlug. An einer Seite des Lokals hatte man die Tische zusammengerückt, an denen eine Gruppe jüngerer Leute feierte. Gegenüber, in der Nähe des Tresens saß ein Gast um die fünfzig, der ein paar Kilogramm zu viel mit sich herumschleppte. Die kurzen schwarzen Haare hatten längst Raum für die Verbreiterung seiner Stirn gemacht. Der Bartschatten sollte dies vielleicht kaschieren.
Er lächelte Melanie an, die unschlüssig in der Wirtsstube stehen blieb. Schließlich nahm sie am Nachbartisch des Mannes Platz und nickte ihm zu.
„Na, eine Bionade Kräuter?“
Melanie zuckte zusammen. Sabrina musste aus einer seitlichen Tür gekommen sein, die Melanie bisher nicht wahrgenommen hatte.
„Ja, gerne.“
Der Tischnachbar beugte sich ein wenig herüber. „Sie hab ich hier noch nie gesehen. Sind Sie das erste Mal da?“, rief er laut genug, um den Lärm der Feier zu übertönen.
Interessant, wie einfach es hier war, Kontakt zu bekommen!
„Beinahe, ich war gestern hier“, entgegnete sie.
Sabrina stellte die Limonade und ein Glas vor Melanie.
Er klopfte auf seinen Bauch und lachte. „Da war ich im Fitnessstudio. Man muss ja was machen.“
Melanie wurde es zu blöd, sich auf die Entfernung hin zu unterhalten. Sie stand auf und ging hinüber.
„Darf ich hier Platz nehmen? Ist mir zu anstrengend, so zu schreien.“ Sie zeigte in Richtung der Gruppe. „Die Gesellschaft ist ziemlich ausgelassen.“
Er deutete auf einen Stuhl. „Gern. Hier ist es immer gleich sehr laut, sobald mehr als fünf Gäste quatschen. Ich heiße Ralf Rosenthal. Ich wohne nebenan.“
„Melanie Gramberg. Bin hier auf Urlaub.“ Sie setzte sich.
Sie plauderten ein bisschen über Bad Homburg. Rosenthal verkündete stolz, von Geburt an im Nachbarhaus zu leben. Die ganze Nachbarschaft sei alteingesessen, auch wenn in den vergangenen Jahren ein paar Auswärtige zugezogen seien.
Melanie unterbrach ihn. „Sagen Sie mal, woher kommt eigentlich der merkwürdige Name des Gasthauses?“
Rosenthal grinste. „Das ist schnell erzählt. Landgraf Friedrich II, der das Landgrafenschloss bauen ließ, verlor 1659 bei einer Schlacht sein Bein. Deshalb hat man ihm eine Prothese angefertigt, die nicht nur mit Federn besetzt war, sondern sogar silberne Scharniere besaß. Sie können das Original im Schloss besichtigen.“
„Aha, was es alles gibt!“ Melanie nahm einen Schluck Limonade.
Die Eingangstür öffnete sich und ein Mann betrat den Raum. Er war vom Alter her schwer zu schätzen. Sie vermutete, dass er zumindest deutlich über sechzig Jahre alt war. Sein schlohweißes Haar und der dazu passende dichte Vollbart wirkten verfilzt, jedoch nicht wirklich ungepflegt, wohingegen seine Kleidung abgewetzt und schmuddelig aussah. Er trug einen verschmutzten Rucksack auf dem Rücken, grüßte die Anwesenden freundlich und ging direkt zur Theke. Sabrina schien ihn erwartet zu haben und führte ihn zur Kellertreppe, wo die beiden verschwanden.
Rosenthal las anscheinend die Fragezeichen auf Melanies Stirn. „Er heißt Siegfried Graf zu Biebenau und ist tatsächlich adlig. Er lebt auf der Straße, man munkelt, er sei früher Staatsanwalt gewesen. Er selbst spricht nicht darüber. Einmal die Woche erscheint er hier, um unten zu duschen, wo immer saubere Anziehsachen auf ihn warten. Sabrina wäscht die Klamotten bis zum nächsten Mal, schneidet ihm jeden Monat die Haare und stutzt ihm den Bart. Ist so was wie ihre soziale Tat.“
Melanie schüttelte den Kopf. „Unglaublich! Wie kommt das?“
„Weiß ich nicht!“, behauptete Rosenthal.
Sie hatte den Verdacht, dass er mehr wusste, als er preisgab.
„Eines Tages war er da. Anfangs dachten alle, da liefe was zwischen den beiden. Das ist Quatsch, obwohl Sabrina nicht wirklich Glück mit den Männern hat.“
Melanies Puls beschleunigte sich. „Inwiefern?“
„Nun ja, in den vergangenen zwei Jahren hatte sie drei Freunde. Nichts hat lange gedauert. Der Letzte hat hier sogar gewohnt und im Lokal geholfen. Aber einen auf den anderen Tag war er plötzlich verschwunden. Spurlos!“