Verfluchtes Taunusblut. Osvin Nöller

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Verfluchtes Taunusblut - Osvin Nöller

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zum heutigen Tag alles andere als stolz auf das, was damals geschah! Ich bezahlte die Freiheit und ein besseres Leben, indem ich meine Tochter verstieß!“ Sie zögerte wieder. „Ich habe furchtbare Schuld bei all dem auf mich geladen!“, flüsterte sie.

      Julia ließ nicht locker. „Wolltest du nie wissen, was aus Diana geworden war?“

      „Doch!“ Sie wandte sich Diana zu. „Ich beauftragte Hugo ein paar Monate nach der Hochzeit, dich zu suchen. Er hatte keinen Erfolg. Die Behörden waren nicht bereit, Auskunft zu gewähren. Bis gestern hörte ich nichts von dir und hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass wir uns wiedersehen.“

      Diana saß steif im Sessel, ihr Kopf war leer. Wie schaffte sie es, ruhig zu bleiben? Spätestens jetzt war der Augenblick gekommen, um aufzuspringen und Barbara zu beschimpfen. Die lapidar klingende Begründung, dass einige bornierte und grausame Menschen ihrem Leben einen anderen Verlauf gaben, hätte sie gehen und nie mehr wiederkommen lassen sollen. Stattdessen saß sie hier still, und betrachtete die Weißhaarige. Warum? War es die Wärme, die ihre Stimme jetzt ausstrahlte und überhaupt nicht zum Inhalt passte? Die lachenden und herzlichen Augen, die im Moment Freude ausdrückten? Irgendetwas ließ sie trotz der rationalen Rede und den schrecklichen Erlebnissen eine Verbindung zu der Frau entwickeln. Sie spürte die Zerrissenheit, die diese damals in sich gehabt haben musste.

      Plötzlich ergriff Julia das Wort. „Wieso hast du mir nie gesagt, dass ich eine Zwillingsschwester habe?“

      „Ich schämte mich und konnte es nicht zugeben! Irgendwann war es zu spät!“

      „Du machst es dir sehr einfach, Mama!“ Als die Angesprochene aufsah, sprach Julia weiter. „Ist die Geschichte auch der Grund, warum ich Papa gleichgültig war?“

      Barbara erschrak sichtlich. „Vater hat dich geliebt!“

      „Hör doch auf!“ Julias wurde lauter. „Für ihn gab es nur Björn und Christian. Du warst meine einzige Bezugsperson!“

      Die Mutter gab keine Antwort und stierte vor sich hin.

      „Woher hat Renate gewusst, wo Diana lebt? Hast du eine Idee?“ Julia hatte sich anscheinend etwas beruhigt.

      Barbara seufzte. „Wenn ich das wüsste! Wir gern würde ich sie fragen! Schließlich hat sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht!“ Ihre Augen glänzten feucht. „Jetzt ist sie tot!“, murmelte sie.

      Die Stimme wurde fester. „Julia, ruf deine Brüder an. Sie sollen morgen hierher kommen. Verrate nicht den Grund für das Treffen. Ich möchte ihnen das lieber selbst sagen.“

      Das Gespräch erschöpfte die kranke Frau unübersehbar. Unauffällig stupste Diana ihre Zwillingsschwester an, die sofort verstand und sich erhob.

      „Bitte vergebt mir!“, flüsterte die Mutter zum Abschied.

      ***

      Barbaras Körper war ein einziger Schmerz. Wie sollte das weitergehen? Sie fühlte sich müde, nach Renates Tod mehr denn je. Sie vermisste ihre Freundin unendlich. Vor allem als Gefährtin, mit der sie ihre Gedanken austauschen und der sie vertrauen konnte.

      Sie nahm das Telefon vom Tischchen neben ihr, öffnete das Adressbuch und suchte eine Nummer. Schließlich wählte sie den Anschluss von Jörg Bahlinger.

      Sie hielt sich nicht lange mit Vorreden auf. „Guten Abend, Jörg. Barbara hier. Ich benötige deine Hilfe.“

      „Hallo Barbara, das ist ja eine Überraschung. Wie geht es dir?“ Der Anwalt schien sich über den Anruf zu freuen.

      „Muss gehen. Wie gesagt, du musst mir helfen. Kannst du morgen Vormittag zu mir kommen? Ich möchte ein neues Testament aufsetzen. Sagen wir, 10 Uhr?“

      Er lachte lauthals. „Ganz die Alte! Du weißt schon, dass morgen Samstag ist?“

      Ihr Ton wurde eine Spur härter. „Ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht dringend wäre.“

      „Da du mich dermaßen charmant einlädst, besuche ich dich selbstverständlich“, lenkte er ein.

      „Danke.“ Sie legte auf. Das Zimmer verschwamm vor ihren Augen und sie bekam einen heftigen Hustenanfall, der ihre Schmerzen unerträglich werden ließ. Sie hatte Mühe, Luft zu bekommen.

      Kurz darauf drückte sie sich vorsichtig in ihrem Sessel hoch und erhob sich wackelig. Sie schleppte sich zu einem Sekretär, dessen oberste Schublade sie öffnete. Aus der hintersten Ecke holte sie ein Schächtelchen hervor, das sie aufklappte. Zufrieden registrierte sie, dass der Inhalt genauso da lag wie vor zwei Jahren, als sie das Kästchen zuletzt in den Händen hielt. Sie stellte es an seinen Platz zurück, schloss das Schubfach und bewegte sich im Zeitlupentempo zum Fenster, wo sie sich auf der Fensterbank abstützte und einem Meisenpaar zuschaute, das in der Eiche spielte. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.

      14. Mai 2016

      Diana hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Puls hämmerte wie nach einem lang gezogenen Spurt. In wenigen Augenblicken würde sie ihre Brüder kennenlernen.

      Als sie mit Julia gemeinsam das Wohnzimmer betraten, hielt sie sich bewusst im Schatten ihrer Schwester auf. Sie kam sich wie ein Stück Vieh vor, das zur Begutachtung vorgeführt wurde. Um ihre Unruhe zu verbergen, verschränkte sie ihre Arme.

      Schnell überblickte sie den Raum. Barbara saß im selben Sessel wie am gestrigen Tag und lächelte den Zwillingen herzlich entgegen. Im anderen Sessel saß ein jüngerer, sportlicher Mann mit schulterlangen, blonden Haaren und einem Dreitagebart. Er sprang auf und umarmte Julia. Mit einem Lächeln wandte er sich Diana zu. Die kristallblauen Augen faszinierten sie.

      „Ich bin Christian, das Nesthäkchen. Willkommen in dieser wahnsinnigen Familie.“

      Barbara schien die Anwesenden auf ihr Kommen vorbereitet zu haben.

      „Hallo, ich bin Diana. Freut mich.“

      Ein zweiter, etwas älterer, Mann erhob sich von einem der Sofas. Seine Lider flatterten.

      „Guten Tag, bin Björn“, begrüßte er sie mit dunklem Timbre. Die Pupillen wirkten matt und geweitet. Stand er unter Medikamenten? Sofort ärgerte sie sich. Konnte sie die Ärztin nicht einmal abschalten?

      Ihr Bruder kehrte auf den Sofaplatz zurück und starrte geradeaus. Er begann zu schniefen, nahm ein Papiertaschentuch und schnäuzte sich kräftig die Nase.

      Neben ihm saß eine mollige Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren. Sie machte sich nicht die Mühe, aufzustehen.

      „Ich bin Tanja, Björns Ehefrau.“

      Sie musste innerlich über die Begrüßungsszene schmunzeln und setzte sich zu Julia auf die zweite Couch.

      Barbara ergriff das Wort und erzählte Dianas Geschichte. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie die Tochter bisher verheimlicht hatte, und begründete es genauso wie am Vortag.

      Diana beobachtete dabei die Brüder. Christian hörte aufmerksam zu und lächelte sie einige Male an. Björn wirkte auffallend fahrig und genervt. Er schien kaum hinzuhören und wenn, dann gefiel ihm augenscheinlich nicht, was er vernahm. Er ignorierte sie, sah auch die anderen Geschwister nicht an. Tanja war anzusehen, wie sie sich in diesem

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