Taunusschuld. Osvin Nöller
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Melanie überlegte einen Moment, ob sie zunächst zu ihrem Lieblingsmetzger gehen sollte, um Wurstaufschnitt zu holen. Dafür müsste sie aber zurück zum Marktplatz laufen und dort mit Sicherheit ebenfalls eine Weile warten. Mit einem leisen Stöhnen betrat sie also das Juweliergeschäft.
In der Hitze des Ladens kribbelte ihr Gesicht sofort, schnell öffnete sie den Reißverschluss der Jacke. Der Parfümgeruch im Verkaufsraum tat das Übrige, um ihre Laune in den Keller zu treiben.
Wie es schien, stand ein Kunde kurz vor dem Bezahlvorgang, während eine Frau sich offenkundig nicht zu entscheiden vermochte. Sie bat gerade die Mitarbeiterin mit lauter Stimme, eine weitere Schublade mit Schmuckstücken zu holen. Jühlich passte einer anderen Kundin ein mit roten Edelsteinen besetztes Armband an, das in Melanies Augen ausgesprochen kitschig wirkte.
Sie schlenderte in den hinteren Teil des Ladens, betrachtete in einer Vitrine Chronometer in einer Preislage, die sie sich vermutlich niemals leisten würde.
Die Ladenglocke meldete sich, ein kalter Luftzug durchzog den Raum. Melanie drehte sich um und sofort erwachte in ihr die ehemalige Polizistin. Sie befand sich in höchster Alarmbereitschaft.
Der schlanke, beinahe dürre Mann war mit geschätztem einen Meter neunzig einen halben Kopf größer als sie selbst. Bekleidet mit einem grauen Parka, abgewetzten Jeans, Boots und dünnen Handschuhen. Was sie jedoch in den Kampfmodus versetzte, war nicht nur die schwarze Strumpfmaske, sondern auch die Schusswaffe, die er in der linken Hand hielt, während die rechte einen Stoffbeutel umklammerte.
Melanie überlegte, ob sie ihn mit einem Sprung erreichen und einem gezielten Kickboxtritt ausschalten konnte, verwarf den Gedanken allerdings so schnell, wie er gekommen war. Er stand zu weit entfernt, die Gefahr, dass der Angriff misslang und er schießen würde, war zu groß. Er blieb stumm, ließ den Blick durch den Raum schweifen, stockte plötzlich, begann zu zittern, wirkte mit einem Mal unschlüssig. Schließlich richtete er die Waffe auf Jühlich. Warum stellte er keine Forderungen ?
Die wartende Kundin schrie schrill auf, als sie den Mann sah. Eine Angestellte presste sich die Hand vor den Mund, stöhnte auf und sackte zu Boden. Der Juwelier hob den Kopf, zögerte kurz und öffnete dann zu Melanies Überraschung eine Schublade. Er würde doch wohl in dieser Situation nicht den Alarmknopf betätigen ? Die andere Mitarbeiterin duckte sich blitzschnell hinter die Ladentheke.
Der Mann trat einen Schritt vorwärts und fuchtelte nun mit der Waffe in Richtung einer im rückwärtigen Bereich befindlichen Tür. Dabei übersah er einen im Gang abgestellten Einkaufstrolley. Er strauchelte, hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Ein lauter Knall krachte schmerzhaft in Melanies Ohren, die Geräusche um sie herum waren plötzlich gedämpft.
Beinahe gleichzeitig griff sich Jühlich an die Brust und sank zu Boden.
Der Täter stand einen Augenblick unschlüssig im Raum, drehte sich schließlich um und rannte hinaus. Melanie sah, dass er sich draußen den Strumpf vom Kopf zog, bevor er zwischen den Marktständen verschwand. Sie speicherte routinemäßig braune mittellange Haare ab. Was sollte sie tun ? Nach dem Juwelier sehen oder den Typen verfolgen ?
Eine der Frauen nahm ihr die Entscheidung ab, als sie den Kunden neben ihr anfuhr: „Rufen Sie sofort einen Rettungswagen ! Ich bin Ärztin.“
***
Melanie rannte durch die Verkaufsstände. Nirgends eine Spur des Flüchtigen. Sie lief an der Fensterfront des Kur- und Kongresszentrums entlang und warf einen Blick ins Bistro Bel Air. Nichts !
Das um diese Zeit fast menschenleere Kurhausfoyer bot unzählige Möglichkeiten, um zu verschwinden. Die Treppe hinauf zu den Konferenzräumen und dem Kurtheater oder ins untere Stockwerk, von dort aus hinaus in den Park. Vielleicht doch in den Gang zur Garage oder durch die Ladenpassage auf die Louisenstraße, oder, oder …
Sie spurtete ins Untergeschoss, gab die Verfolgung aber bald frustriert auf, weil sie keinen Erfolg versprach.
Langsam stieg sie nach oben und ging über den Kurhausvorplatz zum Laden zurück. Das Blaulicht des Notarztwagens spiegelte sich zuckend in der Fensterscheibe des Juweliergeschäfts, während ein Rettungswagen von der Thomasstraße her mit ohrenbetäubendem Lärm einbog und am Straßenrand stoppte.
Fast gleichzeitig trafen zwei Polizeifahrzeuge ein, aus denen vier Schutzpolizisten sprangen. Drei begannen, den Bürgersteig mit Flatterband weiträumig abzusperren, um die stetig wachsende Menschentraube zurückzudrängen. Ein Beamter betrat mit den Sanitätern den Laden.
Melanie näherte sich einem der Polizisten, der ihr entgegensah und die Hände hob. „Stopp, junge Frau, hier dürfen Sie nicht durch. Das ist ein Tatort !“
Schlaues Kerlchen. „Mein Name ist Gramberg, ich war Zeugin des Überfalls. Bin dem Täter gefolgt. Er ist mir jedoch leider entkommen.“
Er schaute sie misstrauisch an. „So, so, Sie haben den Täter verfolgt. Können Sie sich ausweisen ?“
Sie langte in die Innentasche ihrer Jacke. Mist ! Ihr Personalausweis steckte noch in der Lederjacke, die sie am Vortag getragen hatte.
„Nein, ich habe gerade keine Papiere dabei.“
„Dann bleiben Sie hier stehen !“, beschied ihr der Ordnungshüter in herrischem Ton und positionierte sich vor sie. Sie ballte die Fäuste, verkniff sich jedoch eine Bemerkung.
Ein dunkler Audi A 6 bog um die Ecke und hielt in der Nähe. Aus dem Fahrzeug stieg ein schlaksiger Mann, Mitte dreißig, mit kurzen braunen Haaren, außerdem ein um einige Jahre älterer, dafür deutlich kleinerer Typ mit schwarzer, schulterlanger Haarpracht. Sie kamen auf Melanie zu.
Der Jüngere grinste. „Hallo Mel, was machst du denn hier ?“, begrüßte Kriminaloberkommissar Sandro Kimmerle sie.
Der Langhaarige hob die Augenbrauen. „Guten Morgen, Frau Gramberg, da denkst du an nichts Böses und schon triffst du eine Privatdetektivin am Tatort. Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie hier zufällig vorbeigekommen sind.“ Kriminalhauptkommissar Martin Schubert sah sie erwartungsvoll an. Dem Schutzpolizisten standen hundert Fragezeichen auf der Stirn.
Sie schmunzelte. Wie locker Schubert ihr gegenüber in den wenigen Monaten seit ihrer ersten Begegnung geworden war. Lag es daran, dass sie damals die Bad Homburger Kripo in einem verzwickten Fall maßgeblich unterstützt hatte ? Mit Sandro war daraus sogar eine lose Freundschaft entstanden.
Sie berichtete kurz, was passiert war, und beschrieb den Täter.
Schubert sah sie an. „Eine Walther P 99 also. Da sind Sie sich vermutlich sicher, oder ?“
Sie nickte. „Hatte in Hamburg zum Schluss so eine als Dienstwaffe. Die erkenne ich sofort.“
Sandro wandte sich an den immer noch irritierten uniformierten Kollegen. „Sie haben die Beschreibung mitbekommen ? Geben Sie mal schleunigst die Fahndung raus.“
„Alles klar“, entgegnete der Angesprochene hastig und lief zu einem Streifenwagen.
Der Kriminalhauptkommissar hielt das Flatterband hoch. „Dann wollen wir mal.“ Er