Taunusschuld. Osvin Nöller

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Taunusschuld - Osvin Nöller Gramberg-Reihe

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kommt mir an dem Überfall unlogisch vor und damit ist Gefahr in Verzug ! Den Beschluss reichen wir nach.“

      15. November

      ­Melanie kam es beim Aufwachen vor, als habe sie in der Nacht ein Bulldozer überrollt. War schon eine verrückte Idee gewesen, sich am Abend in eine dicke Wolldecke zu wickeln und sich mit einem heißen Kakao in ihren geliebten Strandkorb im Hinterhof zu setzen. Das war aber nun mal der Ort, an dem sie am besten nachdenken konnte.

      Dann waren ihre Gedanken um die Mail gekreist, die sich eindeutig auf Anja bezog. Stammte die Nachricht von einem Stalker? Wer wollte sie in Angst versetzen? Die Medien hatten damals über den Fall und das Attentat berichtet, doch das war jetzt einige Monate her. Wen interessierte das noch?

      Gegen Mitternacht hatte sie der einsetzende Regen ins Haus vertrieben. Sie hatte sich im Bett hin und her gewälzt. Irgendwann hatten ihr die Grübeleien einen unruhigen Schlaf mit wirren Träumen beschert. Eine Szene war ihr präsent: Anja und sie standen eng umschlungen vor dem Wrack eines Autos, aus dessen Fenster sie die matten Augen ihres verstorbenen Lebenspartners Erik anglotzten. ­Melanies ehemaliger Kollege Fred, der beim Attentat auf Anja gestorben war, kletterte ins Fahrzeug und grinste hämisch. Plötzlich löste sich die Kiste in die Einzelteile auf, zerstob wie eine Wasserlache, in die ein starker Luftstrahl gehalten wurde. Aus dem Nichts war Pascal ­Wolter aufgetaucht und hatte mit riesigen Pranken nach ihr gegriffen.

      Sie schaute auf ihr Handy. Es wurde Zeit für eine ausgiebige Dusche.

      Wenig später stand sie nackt bis auf den Slip vor dem Spiegel des Schlafzimmerschranks. Ihr ohnehin blasser Teint wirkte heute fahl und bildete einen noch härteren Kontrast zum kurzgeschnittenen schwarzen Haar. Ansonsten war sie mit ihrer sportlichen Figur zufrieden. Das tägliche Fitnessprogramm zahlte sich aus.

      Sie seufzte und ging in die Küche, wo sie einen Kaffee aus der Maschine laufen ließ. Warum machte sie sich ausgerechnet nach dieser Nacht Gedanken über ihr Aussehen? Ihr muskulöser Körper gab ihr in Verbindung mit ihren eins siebenundsiebzig ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Sie war mit vielen Männern schon rein anatomisch auf Augenhöhe. Sie erinnerte sich an eine Bemerkung ihrer Schwester, sie solle darauf achten, nicht zu dominant und maskulin zu wirken. Wie egal ihr das war. Mit Eriks Tod waren jegliche Gedanken an eine Partnerschaft verschwunden.

      Mit dem Namen ihres ehemaligen Lebensgefährten bahnte sich der Albtraum erneut den Weg in ihr Hirn. Er, Anja und Fred, drei sehr wichtige Menschen in ihrem Leben, für deren Schicksal sie sich immer noch mitverantwortlich fühlte. Dazu der Mörder ­Wolter, den sie vielleicht doch besser hätte erschießen sollen, als sie die Chance dazu gehabt hatte.

      Sie trank den letzten Schluck Kaffee, stellte die leere Tasse in die Spülmaschine und schlurfte ins Bad. Unter dem dampfenden Strahl der Dusche rieb sie sich die Haut wie eine Besessene, bis die letzten Spuren des Traums weggespült wurden.

      ­Melanie betrat um 9:05 Uhr das Polizeipräsidium und wandte sich dem mit einer Glasscheibe geschützten Empfangsschalter zu.

      „Guten Morgen, Mel“, tönte es von der Seite. ­Sandro ­Kimmerle schoss aus einem seitlichen Gang kommend strahlend auf sie zu. „Herzlich willkommen in unserer bescheidenen Hütte. Komm, ich nehme dich mit.“

      „Moin“, erwiderte sie kraftlos.

      Er sprach kurz mit dem Kollegen am Empfang und ließ sich einen Besucherausweis aushändigen, den er ihr gab. Sie liefen einen langen Gang entlang.

      „Sorry, wenn ich das so direkt sage, aber du siehst aus, als hättest du die Nacht durchgemacht.“

      Sehr charmant, fuhr es ihr durch den Kopf. Schnell erzählte sie ihm von der ominösen Nachricht und ihren Stunden im Strandkorb.

      „Na toll“, entgegnete er. „Hast du einen Verdacht, wer dahintersteckt?“

      ­Melanie zuckte mit den Schultern. „Ich habe die halbe Nacht nachgedacht und bin immer wieder auf Pascal ­Wolter gekommen.“

      ­Sandro hob die Augenbrauen. „Der sitzt doch gut behütet in Hamburg im Knast. Wie sollte der das bewerkstelligt haben?“

      „Es gibt auch dort Wege. Dir muss ich doch nicht erklären, was alles möglich ist.“ Sie seufzte. „Ich weiß es aber nicht.“

      „Jetzt lass uns mit den Kollegen über den Überfall sprechen und danach kümmern wir uns um diesen Mist. ­Martin wartet bereits.“

      ­Schubert begrüßte sie zusammen mit Sarah Schwenke und Felix ­Hummer in einem Büro.

      Sie war nicht nur ein bisschen erstaunt, die komplette Mannschaft vorzufinden, sondern auch, dass die Vernehmung nicht wie üblich in einem Besprechungsraum durchgeführt wurde.

      ­Schubert schien ihre Gedanken zu erraten. „Wir haben uns gedacht, wenn wir schon das Glück haben, Sie als Zeugin zu haben, könnten wir Ihre Aussage aufnehmen und danach den gesamten Ablauf mit Ihnen anhand der Aufnahmen aus der Überwachungskamera anschauen.“

      ­Melanie schmunzelte und zog sich die Daunenjacke aus. „Gerne.“

      Sie orientierte sich bei ihrer Schilderung strikt an den gemachten Beobachtungen und verzichtete auf eigene Interpretationen. Sie beobachtete Sarah, die sie bisher erst einmal getroffen hatte. Die junge Kriminalkommissarin stellte die richtigen Zwischenfragen. ­Schubert und ­Sandro hielten sich zurück. Dagegen wirkte der etwas ältere Felix ­Hummer auf ­Melanie ein wenig nervös und fahrig. Sein blutleerer Teint passte ihrer Meinung nach zu diesem Eindruck.

      Schließlich las sie ihre Aussage durch und unterschrieb sie.

      ­Sandro hatte in der Zwischenzeit einen Computerbildschirm herumgedreht, worauf sich die Anwesenden mit ihren Stühlen vor dem Rechner versammelten. Er bearbeitete die Tastatur, nach einer Weile erschien ein klares Bild vom Verkaufsraum des Juweliergeschäfts. Dann startete er den Film, der unmittelbar vor dem Eintreten des Täters einsetzte.

      Die Qualität der Aufnahmen war erstklassig. ­Melanie bemerkte belustigt, wie ungeduldig sie gewesen war. Im Video ging sie zur Uhrenvitrine und kehrte dem Eingang den Rücken zu. Der Mann betrat den Laden forsch, sie drehte sich zu ihm um. Plötzlich hielt er inne, wirkte unschlüssig. Eine Mitarbeiterin, die hinter einem Verkaufstisch saß, sah auf, schien zu erschrecken und sackte zu Boden.

      „Stopp“, rief ­Melanie, worauf ­Sandro die Computermaus betätigte.

      Das Team schaute sie gespannt an.

      „Lass das doch bitte noch einmal bis zu der Stelle zurücklaufen, an der er erscheint, und zeige uns die Sequenz bis hierhin in Zeitlupe, falls das möglich ist. Dann achtet mal auf seine Bewegung und das Verhalten der Verkäuferin links.“

      ­Sandro kam ihrer Aufforderung nach. Als die Szene beendet war, hielt er die Aufnahme erneut an.

      ­Schubert kratzte sich am Kopf. „Ich sehe den Film zum ersten Mal. Was ist Ihnen genau aufgefallen? Da ist eine Angestellte, die Schockanzeichen zeigt, und ein Täter, der übernervös agiert.“

      ­Melanie nickte. „Stimmt soweit. Allerdings betritt der Mann sehr bestimmt und kontrolliert den Laden. Er schaut sich um und in dem Augenblick, als er diese Frau wahrnimmt, geht eine Veränderung in ihm vor. Er erscheint mir mit einem Mal beinahe panisch, man könnte den Eindruck bekommen, dass er sogar überlegt, den Überfall abzubrechen. Gleichzeitig sieht ihn die Frau, erschrickt fast zu Tode und verabschiedet

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