Dornröschen muss sterben. Ulrike Barow

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Dornröschen muss sterben - Ulrike Barow

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verlassen hatte. Genauer gesagt, seit er mit dem Bus nach Norden zum Bahnhof gelangt war und von dort mit der Taxe zum Segelmacher ins Gewerbegebiet Leegmoor. Nur um dann vor verschlossener Tür zu stehen. Das Taxi hatte er da natürlich schon wieder weggeschickt. Kostete ja Geld. Nicht, dass er geizig wäre. Aber einem Taxifahrer Geld in den Hintern schieben? Nur im Notfall!

      Er hätte vorher bei der Firma anrufen sollen, das wusste er jetzt auch. So war er mit seinem schweren Segelsack und der kaputten Fock über der Schulter und Wuffel an seiner Seite langsam zum Bahnhof zurückgelaufen. Eine Tortur bei der Hitze. Und dann die vergeudete Zeit. Was hätte er schön mit seiner Schnucki segeln können! Wenn nur nicht die Fock so blöde eingerissen wäre.

      Nicht mal die Stadt hatte er besichtigen können. Wo hätte er denn mit seinem verdammten Segelsack hin sollen. Die Geschäfte hatten auch alle zu. Die Stunden, bis der Bus der Baltrum-Linie wieder Richtung Neßmersiel gefahren war, hatte Kuhlmann im Burger King am Bahnhof abgesessen.

      Langsam kam das Schiff durch die Fahrrinne dem Anleger näher.

      Er freute sich. Auf die Insel, sein Boot und natürlich auf Schnucki. Er hoffte nur, dass sie kein großes Abendessen zubereitet hatte. Die Stunden im Schnellrestaurant hatten seinen Magen gut gefüllt. Er wollte jetzt nur noch die Beine hochlegen und später mit einem guten Gläschen Talisker den Sonnenuntergang genießen. Auch Wuffel merkte man an, dass er sich gerne in seinen Hundekorb in der Kajüte zurückgezogen hätte. Das Abendschiff war recht leer, so hatte Klaus Kuhlmann auf dem Oberdeck freie Platzwahl. Er ließ sich auf eine der blauen Bänke sinken und genoss die Sonne, die noch hoch über Norderney stand.

      »Bitte einzeln die Fahrkarten vorzeigen!«

      Klaus Kuhlmann schreckte auf. Da hatte er doch die ganze Überfahrt verschlafen. Egal. Er war da. Kuhlmann schaute vom Deck aus auf den Anleger. Er war enttäuscht. Hatte er doch gehofft, dass Schnucki ihn und Wuffel abholen würde. Aber es war nichts von ihr zu sehen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie vernarrt sie in den Hund ist, dachte er sarkastisch.

      Er wartete, bis er seine Fock aus dem Container holen konnte, lud sie auf eine der Wippen, die offenbar herrenlos herumstanden, und lief zum Bootshafen.

      Auf der Achteran zeigte sich keine Bewegung. »Na, mein Madamchen hat ihre freie Zeit ja ausgiebig genutzt. Selbst jetzt ist sie noch unterwegs.« Ein kleiner Schwall Magensäure stieg in seiner Speiseröhre hoch. Ob vom Ärger oder den verspeisten Hamburgern mit Pommes, konnte er im Augenblick nicht ermitteln. Er beschloss, sein Unwohlsein auf den Ärger über seine möglicherweise nicht anwesende Gattin zu schieben. Prophylaktisch sozusagen.

      Als er auf sein Boot stieg, stellte er fest, dass die Kajütentür von außen verriegelt war. Wenigstens daran hat sie gedacht, dachte er. Er öffnete die Tür, und was er dann sah, veranlasste ihn, drei Doppel Whopper mit Pommes/Majo nebst vier Cola in den Baltrumer Bootshafen zu kotzen.

      20

      Britta und Hendrik setzten sich an den letzten freien Tisch auf der Terrasse vor dem Restaurant. Von einem großen, grünen Schirm vor der Sonne geschützt, hatten sie einen wunderschönen Blick über die Hellerwiesen bis zum Hafen und über das alte Pfahlschutzwerk bis zur Strandmauer.

      Eine ganze Weile saßen sie schweigend und genossen ihren Kaffee mit Aussicht. Das wird mir fehlen, wenn ich wieder in Leer bin, dachte Britta, auch wenn es dort ganz bezaubernde Ecken und Winkel gibt und ich diese Stadt sehr liebe.

      Als sich der Kaffee dem Ende zuneigte, versuchte Britta noch einmal, die ganze Geschichte aus Henning herauszuholen. Er aber gab sich wortkarg und blieb bei seiner Version.

      »Wolf und Rolle heißen die beiden. Rolle ist ein alter Freund von mir und Wolf ein Gast aus Bremen, der Rolle zufällig kannte und hier wieder getroffen hat. Das haben wir gefeiert. Du kannst sie ja fragen, wenn du unbedingt willst.«

      Britta empfand bei Hendriks Erklärung einen üblen Nachgeschmack. Eigentlich war es nicht die Geschichte an sich, sondern sein Gesichtsausdruck, die Art und Weise, wie er sie erzählte. Es klang alles so diffus und abweisend. Als hätte er ein ausgeprägt schlechtes Gewissen. Außerdem war klar, dass er seine Worte nicht beweisen musste, denn sie hatte keine Ahnung, wo sie die beiden Männer finden sollte.

      »Danke, kein Bedarf, warum solltest du mich anlügen«, antwortete sie gereizt und konzentrierte sich auf ihren Kaffee.

      Eigentlich hatte sie gehofft, sie könnte ihm die Story von ihrem Ex erzählen und von den Ängsten, die sie deswegen verfolgten. Aber als Hendrik nach einer Weile tatsächlich fragte, warum sie schon so früh bei ihm aufgetaucht sei, führte sie nur eine Stunde Freizeit als Argument an. Sie hatte das Gefühl, dass Hendrik im Moment nichts weniger interessierte als ihr Exmann.

      »Schau mal, der Polizist fährt mit ’nem Affenzahn Richtung Hafen, siehst du das?« Hendrik zeigte, froh über die Ablenkung, mit ausgestrecktem Arm zur Hafenstraße. »Und der Hilfssheriff folgt ihm auf dem Fuße, nein, auf dem Rade.« Er grinste, als hätte er einen besonders guten Witz gemacht.

      Britta schaute hinter den beiden her. Was da wohl passiert war?

      Einige Zeit später hörten sie aus der Ferne Sirenenalarm. Einige Gäste waren aufgestanden und beugten sich über die Brüstung, um nichts von der sich anbahnenden Aufregung zu verpassen.

      Hendrik und Britta sahen den Krankenwagen mit großer Geschwindigkeit hinter den beiden Polizisten her zum Hafen fahren. Die blaue Rundumleuchte und der Signalton sorgten in Sekundenschnelle für Platz auf der Hafenstraße.

      »Wollen wir los? Ich muss wieder zu meiner Gruppe und du wirst sicher noch ein Schläfchen machen wollen.« Britta hatte auf einen zumindest klitzekleinen Widerspruch gehofft, aber sie sah sich enttäuscht. Hendrik nickte.

      »Das wäre gut, lass uns zum Hafen gehen. Dein Fahrrad steht da noch und meine Koje wartet auch auf mich.« Hendrik legte das Geld auf den Tisch, und sie machten sich wortlos auf den Weg.

      Von der unbeschwerten Fröhlichkeit der letzten drei Tage war nichts geblieben, und davon, den Abend zusammen zu verbringen, war keine Rede mehr.

      21

      Inselpolizist Michael Röder und Thomas Zahn, ein Kollege vom Festland, der im Sommer als Verstärkung aushalf, hatten in dem kleinen Büro der Polizeidienststelle Teepause gemacht, als der Einsatzbefehl von der Leitstelle gekommen war. Verblüfft hatten sie sich angeschaut, denn der Kollege hatte von »literweise Blut« gesprochen, und dass er daraufhin auch die Ärztin alarmiert habe.

      »Wenn das man kein Dummejungenstreich ist«, hatte Röder gesagt. »So nach dem Motto: Sollen die sich auch ruhig mal bewegen.«

      Als sie mit ihren Fahrrädern am Sportboothafen ankamen, war ihnen klar, dass tatsächlich etwas passiert sein musste. Am Ende des ersten Quersteges scharte sich eine kleine Gruppe um einen Mann, der laut schluchzend auf dem Steg saß. Ein brauner Terrier, der seine Leine hinter sich herzog, begrüßte die Polizisten mit lautem Bellen.

      »Was ist passiert?«, fragte Röder den Hafenmeister, der abseits der Gruppe stand und betont gleichgültig ins Hafenbecken blickte.

      Der sagte nur: »Da drin in der Achteran. Mausetot ist die.«

      Die Gruppe machte ihnen bereitwillig Platz. Die Kajütentür der Achteran stand weit offen und den beiden Polizisten bot sich ein Bild, das sich wohl für lange in ihr Gedächtnis einbrennen würde.

      Halb auf der Sitzbank und halb auf dem Boden

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