Dornröschen muss sterben. Ulrike Barow
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dornröschen muss sterben - Ulrike Barow страница 3
Vor dem Nationalparkhaus wartete eine junge Familie auf Einlass. Eines der beiden kleinen Mädchen, die im Bollerwagen saßen, wagte einen Ausbruchsversuch, wurde aber gleich von der Mutter mit schriller Stimme zurückgerufen. »Chantal, geh nich’ aus den Bollerwagen!! Sitzenbleiben, sons hackt’s!!« Chantal war das offensichtlich völlig egal, sie versuchte abermals, aus dem Holzwägelchen zu klettern. Vielleicht ist auch das Wort ›hackt’s‹ in ihrem Sprachschatz noch nicht so ganz angekommen, dachte Hendrik.
Er bog ab, lief an der Post vorbei und sah bald das Baltrumer Wahrzeichen, die Inselglocke, vor sich. Das kantige Holzgestell mit der alten holländischen Schiffsglocke stand auf einem mit Heckenrosen eingefassten Rasenstück neben der alten Kirche. Ein mit Koffern beladener Pferdewagen bahnte sich mühsam einen Weg zwischen Menschen, die sich völlig ungehemmt und achtlos von einer auf die andere Straßenseite bewegten, begeistert von dem Wissen, hier keinem Auto zu begegnen. Vielleicht ist die Idee gar nicht verkehrt, alle Inselstraßen mit weißen Mittelstrichen zu teilen, sinnierte Hendrik. Dann hätten die Urlauber wenigstens eine Richtlinie, im wahrsten Sinne des Wortes. So wie am Festland die Verkehrsschilder für ein weiches Bett von Anweisungen sorgten, in das man sich sorglos hineinplumpsen lassen konnte.
»Mensch, Hendrik, du hier?« In der Eingangstür des Cafés Störtebeker hatte sich eine breite Gestalt mit rötlichen Haaren aufgebaut und lachte ihn fröhlich an. »Das ist mal ’ne Überraschung! Die Welt ist doch klein, nicht wahr?«
»Hallo, Rolle, dich habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wo kommst du her?«
»Ich bin auf Tagestour«, erklärte Roland Lütjens. »Meine Familie ist zur Seehundaufzuchtstation nach Norddeich gefahren. Sind zwar jetzt noch nicht viele Heuler da, aber etwas zu sehen gibt es dort immer. Ich habe mir die Tiere stattdessen in freier Wildbahn auf der Sandbank angeschaut, und nun bin ich hier. Komm, jetzt gehen wir erst einmal einen trinken. Auf das Wiedersehen.«
Hendrik schaute auf seine Armbanduhr. »Sozusagen Elführtje, unser altes ostfriesisches Trinkritual. Na gut, muss aber für mich kein Alkohol sein. Lass uns ins Strandcafé gehen.«
Nicht ohne Hintergedanken schlug Hendrik seinem alten Bekannten vor, den Weg über den Strand zu nehmen. Zwei Fliegen mit einer Klappe, wie das Sprichwort sagte.
»Weißt du noch, wie wir die Jungs aus Moordorf mit 7:2 vernichtend geschlagen haben?« Roland Lütjens gab Hendrik einen kräftigen Hieb auf die Schulter. »Auswärts, bei denen auf dem Platz? Wie gut, dass der Bus direkt am Bolzplatz geparkt hatte. So konnten wir schnell die Biege machen. Wer weiß, was sonst hinterher noch passiert wäre.«
»Ich erinnere mich«, sagte Hendrik lachend. »Damals waren wir noch richtig fit.«
Die beiden liefen die Schräge beim Strandhotel Wietjes hinunter, zogen ihre Schuhe aus und stapften durch den warmen Sand. Bald hatten sie das Volleyballnetz erreicht. Auf den abgesteckten Spielfeldern wurden Bälle in allen Größen geschlagen, getreten, geworfen und geprellt. Den beiden Männern schlug eine Woge von Gelächter, Spielkommandos und lautstarken Kommentaren zu den Spielzügen entgegen.
Hendrik schaute sich um. Keine Spur von Britta. Vielleicht war sie noch in der Mehrzweckhalle mit der Verteilung der verschiedenen Gruppen auf ihre Nachtquartiere beschäftigt. Einige schliefen in der Schule, einige in der Turnhalle und andere in den Zelten auf dem Gelände des Niedersächsischen Turnerbundes weit hinten in den Dünen.
»Komm, wir gehen weiter.« Hendrik zog seinen Freund aus alten Tagen am T-Shirt aus dem Gedränge.
Kurz vor der großen Halle stoppte Hendrik. »Wart mal eben kurz, muss was nachsehen, bin gleich zurück.« Er bahnte sich einen Weg mitten durch die Sportler, die sich in langen Kolonnen zum Strand bewegten, und warf einen aufmerksamen Blick durch das große Hallentor, aber auch hier keine Britta. Komisch, dachte er. Gerade jetzt, wo die Betreuer am nötigsten gebraucht wurden, war weit und breit nichts von ihr zu sehen.
Nur Marco Schneider, den ihm Britta als Chef und Organisator der Strandspiele vorgestellt hatte, kam fröhlich winkend auf ihn zu. »Kann ich dir helfen, du schaust so ratlos?«
»Hast du Britta gesehen? Ich finde sie auch am Strand nirgends.«
»Nee, tut mir leid, sie ist heute Morgen noch nicht hier aufgekreuzt. In ihrem Zimmer im Hotel Seehof ist sie auch nicht. Zumindest hat sie nicht auf unser Weckklopfen reagiert.« Marco Schneider grinste. »Böse Zungen munkelten schon, sie hätte bei dir auf dem Boot die Zeit verpennt.«
Hendrik schüttelte den Kopf. »Bei mir ist sie nicht geblieben. Sie sagte, sie wolle noch eine Mütze voll Schlaf haben und ist so gegen zwei Uhr heute Nacht gegangen. Na, sie wird sich wohl wieder einfinden, hier auf der Insel geht so leicht ja nichts verloren.« Die beiden lachten und Hendrik verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken.
Er versuchte, Britta über ihr Handy zu erreichen. Fehlanzeige.
5
Roland Lütjens hatte sich am Strandaufgang auf einen der Zaunpfähle gesetzt. Es war zwar unbequem, aber immer noch besser, als zu stehen. Wie der Zufall doch manchmal spielt, dachte er, da macht man einen Inselausflug und trifft unversehens auf einen alten Freund aus Jugendtagen. Sie hatten viel zusammen unternommen damals, gemeinsam Sport getrieben, waren zum Angeln ans Große Meer gefahren und hatten im Motodrom von Halbemond den Motorrädern hinterhergesehen, wie sie Staub aufwirbelnd und mit quietschenden Reifen ihre Runden gedreht hatten.
»Na, was hast du denn hier im Gewimmel gesucht?«, fragte er Hendrik, der mit hängenden Schultern auf ihn zugetrottet kam.
»Nicht was, sondern wen. Britta heißt sie, aber ihre Leute haben sie heute Morgen auch noch nicht gesehen. Komisch ist das. Ich kenne sie zwar erst seit drei Tagen, hätte sie aber als zuverlässig eingeschätzt. Schließlich hat sie ihre Turngruppe vom Postsportverein zu betreuen. Bin gespannt, wie sich das aufklärt. Aber jetzt auf ins Strandcafé. Hoffentlich finden wir bei dem schönen Wetter draußen noch ein gemütliches Plätzchen.«
Roland Lütjens folgte seinem alten Freund. Bald hatten sie einen freien Tisch ergattert und jeder einen kräftigen Kaffee vor sich stehen.
Die nächste Stunde verbrachten sie damit, die Vergangenheit Revue passieren zu lassen. So unterschiedlich ihre Lebenswege verlaufen waren, waren sie doch immer ihrer Heimat treu geblieben. »Du hast doch damals eine Lehre in der Verwaltung im Norder Rathaus gemacht, oder?« fragte Hendrik.
Lütjens nickte. »Staubtrockene Angelegenheit, aber ich habe bis zur Prüfung durchgehalten.«
»Ich habe eine Lehrstelle in Delmenhorst gefunden«, erzählte Hendrik, »und bin nach der Ausbildung tatsächlich eingestellt worden. Dann kam das Übliche, Heirat, Hobbys, das alltägliche Leben halt. Bis meine Frau das alltägliche Leben meines Nachbarn immer mehr schätzen lernte. Da war es aus mit Delmenhorst. Die Stelle habe ich auch gekündigt. Ich hatte keinen Bock mehr auf diese Stadt. Bin dann heim zu Muttern. Wo wohnst du jetzt?«
»In Bad Zwischenahn. Ist auch nett da. Ich habe zwei Kinder inzwischen und führe ein ganz normales Familienleben. Du musst unbedingt mal kommen und uns besuchen. Und dein Zuhause ist jetzt wo? Bei deiner Mutter?«
Hendrik erzählte ihm, dass die Antje zurzeit sein Zuhause war. »Bei meiner Mutter in Norden habe ich noch ein Zimmer und einen Briefkasten. Für alle Fälle. Wenn das Arbeitsamt sich meldet. Ich habe