Dornröschen muss sterben. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Dornröschen muss sterben - Ulrike Barow страница 4
Roland Lütjens schaute ihn skeptisch an. »So genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen.«
»Du hast recht, war nicht so gemeint«, sagte Hendrik bedauernd. »Wir hatten wirklich bis jetzt eine schöne Zeit. Ich habe gar nicht mehr geglaubt, dass es auch nette Typen unter den Frauen gibt. Als meine Ex damals die Seiten gewechselt hat, da war ich so sauer, ich hätte die glatt um die Ecke bringen können.«
»Na, na, komm, ein bisschen vornehme Zurückhaltung bitte. So schnell bringt es sich nicht um. Du siehst doch, das Leben geht weiter.« Roland Lütjens umfasste mit einer ausholenden Armbewegung die Menschen um sie herum. »Schau sie dir an. Alles gut gelaunte Urlauber. Meinst du nicht, die hätten nicht auch schon dicke Probleme im Leben gehabt?«
Hendrik wunderte sich. »Das klingt ja, als wärst du Pastor und kein Verwaltungshengst. Ich habe es doch nicht so gemeint. Obwohl, wenn ich es recht überlege, mit meinem Chemiewissen könnte ich schon den einen oder anderen … Und ein kräftiger Schlag mit dem Hammer oder ein dickes Tau um den Hals würde im Notfall auch reichen.« Hendrik brach in lautes Lachen aus und konnte sich erst recht kaum beruhigen, als er Roland Lütjens’ mühsames Grinsen bemerkte. »Ist dir das Thema zu gruselig?«
Lütjens schüttelte den Kopf. »Nein, zu beständig. Komm, lass uns einen Gang machen. Ich will die Insel noch ein bisschen besser kennenlernen.«
»Okay, aber vorher muss ich noch mal kurz, du weißt schon. Für kleine Flamingos.«
Roland Lütjens nickte. »Alles klar. Bis gleich.« Er trank den letzten Schluck Kaffee aus und dachte darüber nach, was sein alter Freund ihm erzählt hatte. Hendriks Leben schien aus den Fugen geraten zu sein. Ehefrau weg, keine Wohnung, und ein Leben auf der Antje konnte Roland sich nur vorübergehend als lohnendes Ziel vorstellen. Vielleicht war er aber auch nur zu bieder geworden mit Familie und Reihenhaus in Bad Zwischenahn. Allerdings war die Ordnung in seinem Privatleben genau das, was er brauchte, wenn er von seinem Dienst nach Hause kam. Ein Dienst, der ihn zeitlich und nervlich so manches Mal auf das Äußerste forderte.
Doch jetzt war Urlaub. Erst nächste Woche würde er wieder arbeiten müssen. Und heute Abend würde seine Familie ihn in Neßmersiel wieder in Empfang nehmen und die beiden Kleinen würden ihm mit leuchtenden Augen von den Seehunden erzählen.
6
Soll ich Ihnen mal sagen, was ich vom Leben halte? Ehrlich gesagt, nicht viel. Wenn Sie nicht ganz oben mitschwimmen bei den Großen und Reichen, haben Sie keine Chance. Man ist der letzte Dreck. Wenn Sie den Mund aufmachen, hört Ihnen kein Mensch zu. Wo finden Sie denn heutzutage noch Halt? Was sind Werte wert? Die hohen Politiker schaufeln in die eigene Tasche. Die Pastoren predigen Wasser und saufen Wein. Freunde verraten dich an den Erstbesten, der vorüberläuft. Ja, Freundschaft, diesen Zustand können Sie komplett vergessen. Kennen Sie das nicht auch, das Gefühl, durch alles alleine durchzumüssen? Kennen Sie nicht? Aber ich. Auf nichts ist Verlass.
7
Wolf hatte es sich in der Küche neben Erwin Kanter gemütlich gemacht. Es war Mittag geworden und der Pegel der Flasche Genever näherte sich stetig dem Flaschenboden. Allerdings hatten die beiden daran nicht allein gearbeitet. Auch andere Pensionsgäste hatten ihre Köpfe durch die Tür gesteckt und sich nicht lange bitten lassen.
»Ist das schön, wieder hier zu sein. Die paar Tage habe ich auch bitter nötig.« Wolf lehnte seinen Kopf an die Rückwand des blauen Ostfriesensofas, das mit seiner elegant-gemütlichen Form der Blickpunkt der Küche war. »Was gibt es denn im Bootsclub Neues?«, fragte er mit halb geschlossenen Augen seinen Wirt, der nebenbei auch 1. Vorsitzender des Vereins war.
»Ach, nichts, eigentlich«, antwortete Kanter. »Der Bootshafen ist im Moment voll mit Gastliegern, vornehmlich aus Niedersachsen und Holland. Die meisten bleiben nur eine Nacht und werden wie in den letzten zwei Jahren von Klaas Bengen >bewacht<. Es ist uns zwar noch nicht gelungen, ein Mindestmaß an Freundlichkeit aus ihm herauszulocken, aber er versieht seine Arbeit gewissenhaft. Bis wir einen Neuen finden, müssen wir halt mit ihm vorliebnehmen. Zurzeit ist er besonders knurrig. Sein Bootsmotor ist kaputt und er hat wohl kein Geld für die Reparatur. Er ist so ein richtiger Einzelgänger, aber harmlos. Wäre doch noch ein Job für dich. Im Sommer hier, im Winter in Bremen.« Erwin Kanter lachte.
»Du, ich könnte mir schon vorstellen, hier ein paar Monate im Jahr zu verbringen, aber sowohl mein Kundenstamm als auch meine Familie würden definitiv Einspruch erheben. So, schenk uns man noch einen ein, und dann geh ich an die frische Luft. Mal sehen, ob sich Jannis irgendwo herumtreibt.« Wolf hielt seinem Gastgeber auffordernd sein leeres Glas entgegen.
Der Wirt nahm die Flasche aus dem Gefrierschrank, und es ertönte ein sattes Gluckern, als er die beiden Gläser füllte. »Auf eine gute Saison!« Die beiden stießen an.
In diesem Moment steckte Henriette Kanter den Kopf zur Tür herein. »Jetzt hat mein Fahrrad doch schon wieder einen Platten. Erwin, los, sei so freundlich. Ich muss gleich ganz schnell in den Insel-Markt und auch noch zum Rathaus. Ich brauche dringend neue Veranstaltungskalender, und mit deinem Herrenrad kann ich einfach nicht fahren. Ich habe ja immer gesagt, kauf dir ein Damenrad, aber du …«
»Ja, Henriette, natürlich, Henriette, wird sofort erledigt, meine Süße.« Mit einer eleganten Schlenkerbewegung stand Erwin Kanter auf. »Lieber Wolf, wie du hörst, die Pflicht ruft. Ich schätze, wir müssen unsere gemütliche Runde auflösen.«
Auch Wolf blieb nichts anderes übrig, als seinen inneren Schweinehund zu ignorieren und sich an der frischen Luft zu regenerieren. So nahm er den direkten Weg zur Haustür, obwohl seine Beine den Weg die Treppe hinauf in sein Zimmer bei Weitem vorgezogen hätten.
Als er die Tür öffnete, blendete ihn die kräftige Sonne. Er legte seine Hände über die Augen und blickte über den Hafen. Dahinter konnte er bei klarster Sicht die Seehunde auf der Sandbank am Norderneyer Ostende als winzige Punkte ausmachen. Müssten bald auch die ersten Jungen dort liegen, dachte er. Spätestens im Juni sollte es so weit sein.
Er beschloss, um die Strandmauer zu laufen. Als er auf die Uferpromenade bog, musste er sich mit einem beherzten Sprung vor zwei Fahrradfahrern retten. In ein fröhlich lautes Gespräch vertieft, hatten sie sämtliche Verbotsschilder und auch ihn völlig ignoriert. Aber er hatte sie erkannt. Der Chef seines Lieblingsrestaurants nebst Gattin! Und das zu dieser Uhrzeit! Mittags! Da sollten die doch wohl besser in der Küche stehen. Mindestens, solange er sich auf dieser Insel befand! Da wollte er gleich mal Tacheles reden. Er machte sich auf den Weg zum Restaurant Bliev Sitten, das als letztes Haus im Ostdorf versteckt in den Dünen lag.
Er war schon ein gutes Stück gelaufen, als vor ihm zwei Männer auftauchten. Selbst aus der Ferne bot der eine von ihnen eine imposante Gestalt – groß gewachsen, rötliche Haare – und Wolf irgendwie vertraut. Je näher die beiden kamen, desto sicherer wurde er. Es war tatsächlich Roland Lütjens, 1. Hauptkommissar aus Bad Zwischenahn, der sich dort locker lachend auf ihn zubewegte.
Als Wolf ihn das letzte Mal getroffen hatte, war die Situation völlig anders gewesen. Einer