Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow

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Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow

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er erstaunt.

      »Natürlich. Warum nicht?« Sie wischte mit dem Handschuh über die obere Ablage ihres Rollators. »Ich mache das, was ich jeden Tag mache. Ich gehe durch den Ort und sammele auf, was andere Leute fallen lassen. Sonst macht es ja keiner.«

      Keine Frage, woher Oliver seine Begeisterung für Recht und Ordnung auf der Insel hatte. Röder erwähnte nicht, dass täglich ein Gemeindemitarbeiter unterwegs war, um die öffentlichen Mülleimer zu leeren und die Straßen sauber zu halten. Warum sollte er Petine Abels’ Lebensaufgabe in Zweifel ziehen?

      »Als mein Mann und ich das Hotel geführt haben, waren wir auch von morgens früh bis abends spät auf den Beinen«, fuhr sie fort. »Jetzt, wo mein Mann auf dem Friedhof liegt und Oliver das große Haus übernommen hat, kann ich mich eben um andere Dinge kümmern. Aber ich würde nie etwas aufs Osterfeuer werfen, was da nicht hingehört. Sorgst du dafür, dass dieses behandelte Holz da verschwindet?«

      Er versprach’s. Die Mitarbeiter der Gemeinde schoben das Holz, das die Insulaner in den Wochen vor Ostern auf die Hellerwiese beim Hotel Dünenschlösschen schafften, kurz vor dem Abbrennen zusammen, um auch dem letzten Wildtier die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Sollten die Männer alles, was da nicht draufgehörte, ordnungsgemäß entsorgen. Er würde ihnen Bescheid geben.

      Jetzt musste er sich um die Baltrumer Jägerschaft kümmern. Die offizielle und die möglicherweise inoffi­zielle. Aber er kam nicht weit. Gerade, als er an der Sparkasse vorbei war, hielt Friedemann Untied neben ihm sein Fahrrad an.

      »Herr Röder! Bitte sagen Sie mir: Wie weit sind Sie gekommen in Ihren Ermittlungen? Haben Sie den Mörder unserer lieben Edith bereits ermitteln können?« Untied hatte seine Hände über dem Lenker wie zum Gebet gefaltet.

      »Nein, Herr Untied.« Beinahe wäre Röder ein devotes ›Herr Pastor‹ herausgerutscht. Er wusste, dass Untied dies am liebsten gehört hätte. Aber genauso wenig wie er Tino Middelborg mit ›Herr Bürgermeister‹ ansprach, würde er Untied mit dessen Berufsbezeichnung anreden. Es war halt nur noch so drin. Von früher. Seine Eltern hatten es gar nicht anders gekannt.

      »Ihre Kollegen sind gestern bei mir gewesen. Der Kommissar Kleemann, den bereits einige traurige Anlässe auf unsere schöne Insel geführt haben, und ein junger Kollege. Sehr freundlich und zuvorkommend. Er ist dem Glauben nicht ganz abgeneigt, habe ich das Gefühl.« Untied seufzte. »Wenn man nur ein paar mehr Insulaner so denken würden. Stattdessen wird nach heidnischem Brauch wieder das Osterfeuer angezündet. Ohne Rücksicht auf die Umwelt. Aber wir Proniggels werden unser Zeichen setzen. Jawohl. Ein Zeichen!«

      »Herr Untied«, unterbrach ihn Röder, »ich muss mich wirklich um wichtigere Dinge kümmern. Wie Sie eben bereits ansprachen, haben wir einen Mord aufzuklären.« Er wünschte sich, dass er sein Fahrrad mitgenommen hätte. Dann hätte er all diesen Begegnungen zügig aus dem Weg fahren können.

      »Gott sei mit Ihnen und ach: Falls Sie Melissa Harms suchen: Ich wollte eben zu ihr, aber sie scheint nicht zu Hause zu sein. Ihr Sohn wohl auch nicht«, berichtete der Pastor.

      »Wieso kommen Sie darauf, dass wir sie aufsuchen wollen?«, fragte Röder interessiert.

      »Ach, ein Gefühl sagte es mir. Vielleicht, weil mir der Streit nicht aus dem Sinn geht«, erklärte Untied zögernd.

      »Welcher Streit?« Röder wollte weiter, fühlte sich aber genötigt stehen zu bleiben für den Fall, dass der Hirte doch noch etwas Wichtiges zutage brachte.

      »Es war in der letzten Woche. Ich fuhr an ihrem Haus vorbei und hörte laute Stimmen«, Untied zögerte. »Dann wurde die Tür aufgerissen, Edith Oligs stürmte heraus und rief: ›Das wirst du noch bereuen.‹ Natürlich wollte ich zuerst anhalten und vermitteln. Ein kleines Gebet wirkt da oft Wunder. Aber Edith war ganz schnell weg und Melissa in ihrem Haus verschwunden. Nachdem sie die Tür zugeknallt hatte. Ich bin weitergefahren. Was meinen Sie … wenn ich mich damals eingeschaltet hätte – energisch, verstehen Sie? –, ob dann unsere liebe Edith noch leben würde?«

      »Noch wissen wir nicht, wer sie getötet hat und aus welchem Grund. Machen Sie sich keine Sorgen«, versuchte Röder den Pastor zu beruhigen, der seine immer noch gefalteten Hände so sehr auf den Lenker presste, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Aber wenn Ihnen etwas einfällt, kommen Sie bitte gleich zu mir oder meinen Kollegen, okay?«

      »Das werde ich, das werde ich. Versprochen. Aber nun muss ich zur Sparkasse. Die Kollekte des letzten Sonntags einzahlen. Es ist nicht viel, aber Gott freut sich …«

      Michael Röder ließ den Pastor mit seiner Kollekte stehen und ging weiter in der Hoffnung, dass er ohne weitere Stopps Jörg Weber erreichte, der schräg gegen­über der Schule wohnte.

      Die Tür stand offen. Er rief Jörgs Namen, doch es schlug ihm nur Stille aus dem Haus entgegen. Sein Blick fiel auf den Keilerkopf, der in einer Nische den Flur bewachte. Jörg hatte ihm gestern erzählt, dass er das Wildschwein in Bayern geschossen hätte. Sein erster Keiler sei es gewesen, damals, vor dreißig Jahren.

      »Jörg?« Langsam arbeitete sich Röder vor bis zum Wohnzimmer. Auch hier sah es nicht einladender aus. Zehn unterschiedlich große – wie hatte Jörg es genannt? – Gehörnbrettchen mit großen und kleinen Geweihen zierten die Rückwand hinter dem dunkelgrünen Sofa. Am auffälligsten war eine riesige Elchschaufel, die in das Wohnzimmer ragte.

      Sollte er es aufgeben? Von Jörg war nichts zu hören. Er schob die Gardine ein Stück zur Seite. Da war er. Er stand am Rande des Rasenstücks bei einem Komposthaufen und schüttete gerade ein Loch zu. Der Polizist öffnete mit einem Ruck die Terrassentür.

      Jörg Weber erschrak, fing sich jedoch schnell wieder. »Hallo, Michael. Was führt dich zu mir?«

      »Das kannst du dir denken. Die Listen, um die wir dich gebeten haben.«

      Jörg Weber legte den Spaten zur Seite und wischte seine Hände an der braunen Cordhose ab. »Ich komme. Muss nur eben die Gummistiefel gegen Hausschuhe tauschen. Sonst ist der Tag gelaufen.«

      Wieder im Haus, wusste Röder, was der Mann gemeint hatte. Das Zimmer wurde nicht nur von Jagdtrophäen beherrscht, sondern auch von einem weißen, kuscheligen Teppich, der jetzt allerdings hier und da einige Dreckkrümel zeigte.

      »Hast wohl deine Schuhe nicht ausgezogen?«, fragte Jörg Weber kritisch.

      Schweigend schüttelte Röder den Kopf. Warum sollte er? So was war hier auf der Insel nicht Sitte. Auf Baltrum waren die Wohnungseinrichtungen mehr aufs Praktische ausgelegt.

      »Pass auf, dass dich Elena nicht erwischt«, lachte der Jäger. »Komm, wir gehen rauf in mein Arbeitszimmer. Dort nimmt sie es mit der Sauberkeit nicht so genau. Und dort liegen die Listen.«

      Röder hätte seiner Sandra ganz schön was gehustet, wenn er die eigenen Räume nur mit Socken hätte betreten dürfen. Er war froh, wieder aus dem Wohnzimmer rauszukommen. Am Abend zuvor hatte er bei seiner ersten Befragung des Jagdpächters mit ihm in seinem Büro gesessen. Aus dem Wohnzimmer war der Fernseher zu hören gewesen. Offensichtlich hatte es sich Elena dort gemütlich gemacht.

      »Hier stehen alle drauf, die im Herbst und bis zum Ende der Jagdsaison als Gastjäger auf der Insel waren. Die Waffenbestände habe ich erst zum Teil übermittelt bekommen«, erklärte Jörg Weber. »Für Vollständigkeit kann ich letztlich nicht garantieren. Es ist immer möglich, dass die Leute ein geheimes Schätzchen im Schrank haben. Jäger sind schließlich auch nur Menschen. So wie du und ich. Der eine jagt Tiere und der andere, so wie du …«

      »Könnte

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