Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow страница 10
Werner Gronewald überlegte. »Ich habe heute bereits ein Gespräch mit dem Bürgermeister gehabt. Übrigens ein ganz fitter Kerl, wenn ich das mal so sagen darf. Auch ihm habe ich gesagt, dass es für die Deichsicherheit besser wäre, wenn die Tiere verschwinden. Dass die Realität aber anders aussieht. Wie willst du das erreichen? Auf fünfhundert geschossene Kaninchen – wenn die Jäger im Herbst fleißig sind – kommen fünfzigtausend, die es überleben.«
»Ich glaube, diese Aussage wird meine Anke und die anderen nicht gerade glücklich stimmen. Denen sind fünfhundert erlegte Tiere fünfhundert zu viel. Und deine Aussage zur Deichsicherheit, was hat die zu bedeuten? Wollt ihr da was unternehmen?«
Werner zögerte. »Ich denke, dass ich mich da noch stille halten werde. Das Amt denkt nach. Wir werden sehen, wie sich der Bestand über den Sommer entwickelt.«
»Wie der sich entwickelt, dürfte klar sein. Es ist Schonzeit. Nur die Jungen dürfen geschossen werden. Was aber faktisch ziemlich sinnlos ist. Die Jäger werden nicht im bewohnten Gebiet herumschießen, wenn es hier von Gästen nur so wimmelt.«
»Ich kann dir leider nichts anderes sagen als: Abwarten.« Werner Gronewald zuckte bedauernd mit den Schultern. »Wenn es übermäßig viele Tiere werden, müssen wir etwas unternehmen. Aber auch Krankheiten, wie die Kaninchenpest, sind ein natürliches Regulativ. Warten wir also auf den nächsten Herbst.«
Das war’s dann also. Enno kam nicht weiter. Wie schön wäre es gewesen, wenn er Anke das Versprechen mit nach Hause gebracht hätte, dass alle Tiere geschützt würden! Natürlich war das Ziel, alle Tiere am Leben zu lassen, ein unmögliches Unterfangen. Das war ihm klar. Aber Anke dachte eben anders.
Werner Gronewald und Enno Seeberg unterhielten sich noch eine ganze Weile. Die alten Zeiten streiften sie nur kurz. Als sie aufbrachen, sah Enno Oliver Abels mit ein paar Insulanern an einem der runden Tische stehen. Seine Augen waren rot. Er schien das ein oder andere Getränk bereits in sich hineingeschüttet zu haben. Warum der wohl nicht in seinem eigenen Hotel hinter der Theke stand? Aber wahrscheinlich konnte er sich dort nicht ungehindert einen hinter die Binde gießen.
»Na, mein Freund? Kommst du morgen auch zur Ratssitzung?« Oliver Abels’ Stimme klang undeutlich, aber laut durch den Raum. »Dann geht’s euren Niggels an den Kragen, ihr Proniggels.«
Einer der Männer, die mit Abels zusammenstanden, fing an zu lachen, und bald stimmten alle mit ein.
»Komm«, bat er Werner, »den muss ich jetzt nicht haben.«
»Hast du dir von Amts wegen Verstärkung mitgebracht?«, schallte es hinter ihnen her.
»Woher weiß der, dass du …?«, fragte Enno erstaunt.
»Er war mit bei der Deichschau. Als Ratsmitglied. Daher wird er mich wohl wiedererkannt haben«, erklärte Werner Gronewald.
Sie verabschiedeten sich vor dem Sturmeck. Werner hatte nur ein paar wenige Meter zum Hotel Seehof. Enno beschloss, in der Hoffnung auf ein warmes Nachtlager bei Anke vorbeizuschauen. Hoffentlich schlief sie nicht schon.
Als er die Haustür öffnete, hörte er Musik. Im Wohnzimmer brannte eine Kerze und verbreitete einen süßlichen Duft nach Honig. Anke saß im Schlafanzug auf dem Sofa und las. »Komm rein«, sagte sie, »setz dich.«
»Was ist los?«, fragte er beunruhigt. Das Flattern in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Die Polizei war hier. Die beiden wollten alles über unsere Gruppe wissen. Wer dazugehört, was Edith für eine Aufgabe hatte und so weiter.«
»Ja, und? Was stört dich daran?«
»Es hat mich nichts gestört. Nur beunruhigt. Sie wollten die Namen aller Mitglieder haben. Wollten wissen, ob wir untereinander Streit hatten. Besonders der eine, Schonebeck, war zwar freundlich, aber der klang so unerbittlich, dass man Angst bekommen konnte.«
»Aber wir haben mit Ediths Tod gar nichts zu tun. Also brauchen wir keine Angst zu haben«, versuchte Enno Anke zu beruhigen und kuschelte sich neben sie auf das Sofa.
Sie rutschte ein Stück zur Seite. »Verstehst du nicht – du hast mit Edith doch diesen dicken Streit gehabt. Am Abend vor unserer Sitzung. Als wir das mit der Demo besprochen haben. Ihr war diese Aktion mit den Pappkaninchen lange nicht genug. Und du hast gesagt, das reiche dreimal, um Aufmerksamkeit zu erregen.«
»Moment. Wenn sich alle, die sich streiten, gegenseitig umbringen würden, wäre es erheblich leerer auf der Welt, oder?«, empörte Enno sich. »Und diese Polizisten wussten von dem Streit?«
Anke nickte. »Ich denke, Mark hat es ihnen erzählt. Er war doch dabei. Bei dem sind die gewesen, bevor sie zu mir kamen. Und nun wollen die unbedingt mit dir reden. Ich habe gesagt, dass du dich sofort bei denen meldest, wenn du wieder zu Hause bist.«
»Na, klasse.« Enno Seeberg lehnte sich zurück und schloss die Augen. Diese verdammten Karnickel. Dieser verdammte Mark. Verdammte Bullen. Die glaubten doch nicht wirklich, dass er in der Lage wäre, alte Damen zu erschießen. Was für ein verdammter Blödsinn.
»Du kannst auch anrufen, haben sie gesagt.« Anke knuffte ihn und hielt ihm einen Zettel mit einer Telefonnummer vor die Nase.
Enno schaute auf die Uhr. Gleich elf. Die würden sich schön bedanken, wenn er sie aus dem Bett holte. Nein, er würde morgen mal bei denen an die Tür klopfen. In der Mittagspause. Vielleicht. So eilig würde es schon nicht sein. Er gähnte. »Hast du ein Plätzchen neben dir frei?«, murmelte er und rückte wieder etwas näher an sie heran.
»Du wirst also nicht …?«
»Nein. Morgen reicht«, sagte er. »Ich habe schließlich mit dem Mord nichts zu tun.«
»Aber ich habe es den Polizisten versprochen. Was macht das für einen Eindruck, wenn du dich nicht meldest. Da könnten die glatt glauben …«
Enno richtete sich auf. »Könnten die glauben oder könntest du glauben …?« Fassungslos starrte er Anke an.
Anke antwortete nicht.
»Weißt du was? Ich lasse dich jetzt mal allein. Dann kannst du in Ruhe darüber nachdenken, ob ich Edith um die Ecke gebracht habe.« Wütend stand er auf und griff nach seiner Jacke.
»Aber ich habe gar nicht …«
Er wollte nicht mehr zuhören, was sie hatte oder nicht hatte. Er brauchte dringend frische Luft. Es war nicht weit bis zu seiner kleinen Wohnung im Keller von Haus Ostwind. Er schlug seinen Kragen hoch, ging an der Inselglocke vorbei und hatte bald die letzten Häuser im Westdorf erreicht. Haus Ostwind lag etwas zurück am Rande der Dünen. Vor nicht allzu langer Zeit hatten die Gäste im oberen Stockwerk noch einen freien Blick auf die Nordsee gehabt. Aber mit dem Neubau der Strandmauer war das vorbei. Ihm konnte es egal sein. Er wohnte im Keller.
Als er die Stufen zu seiner Wohnung herunterstieg, erschrak er. Zwei Schatten lösten sich aus dem Dunkel.
»Guten Abend, Herr Seeberg. Schön, Sie zu treffen.«
Nicht das noch. Erst hatte er sich Ankes Anschuldigungen anhören müssen und jetzt standen die beiden Männer vor seiner Tür.