Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow страница 6
Der Inselpolizist war versucht, das Angebot anzunehmen. Besser schlecht gefahren als gut gestrampelt. Aber dann winkte er ab. »Wer weiß, wo ich das Rad brauche. Und wenn ihr einen weiteren Einsatz habt, darf ich womöglich zu Fuß zurücklaufen. Nein, vielen Dank. Fahrt los. Ich bin gleich da.« Er wusste, dass das mit dem ›gleich da‹ ziemlich übertrieben klang, aber irgendwie musste er sich Mut machen. Außerdem hatte er es gar nicht so eilig, an den Einsatzort zu kommen. Er hatte bereits einmal erlebt, was Möwen und Krähen mit einem Toten anrichten können.
Er fuhr am BK-Heim vorbei, dann am Gelände des Niedersächsischen Turnerbundes. Als er auf den Katastrophenweg einbog, registrierte er zufrieden, dass der fest und leicht befahrbar war. Jahre zuvor hatte diese Zuwegung zum Osten der Insel ihrem Namen alle Ehre gemacht. Ausgekolkt und hügelig war sie eine Herausforderung für Mensch und Maschine gewesen.
Ganz am Ende sah er den Krankenwagen. Er legte noch einen Tritt zu. Hinter ihm wurde das Brummen des Feuerwehrfahrzeuges lauter. Er oder ich, dachte Röder. Für zwei reicht die Breite hier kaum. Doch kurz bevor der Landrover ihn eingeholt hatte, sah er Reinhart Petri am Wegesrand stehen.
Michael Röder schnaufte, als er vom Fahrrad stieg. War doch ganz schön anstrengend.
»Sie liegt da vorne.« Petri zeigte auf etwas, das ungefähr hundert Meter vom Katastrophenweg entfernt sein musste. Genau dort, wo Röder auch Ellen Neubert in einer Senke verschwinden sah. Er atmete noch einmal tief durch, dann rannte er los. Er musste aufpassen, überall hatten Kaninchen ihre Höhleneingänge ins Erdreich gebuddelt. Manche Löcher waren sehr offensichtlich, mit einem Haufen Erde davor, manche mit den Jahren bereits überwachsen und leicht zu übersehen.
»Michael, hierher!« Jörg Weber winkte. Er wirkte angespannt. »Sie ist erschossen worden.«Die Tote sah nicht so schlimm aus, wie Röder befürchtet hatte. Die Vögel hatten natürlich ihre Spuren an Gesicht und Händen hinterlassen, trotzdem war das Einschussloch in der Stirn noch gut zu erkennen.
»Nun geht der Krieg in eine neue Runde.«
Röder drehte sich um und sah Gemeindebrandmeister Axel Meinders mit seinen Leuten ankommen. »Was willst du uns damit sagen?«, fragte der Inselpolizist.
»Na, hör mal, das dürfte doch an dir nicht vorbeigegangen sein, was sich in den letzten Wochen, nein, Monaten auf Baltrum aufgebaut hat. Wer sich da mit wem beharkt. Und Edith war eine der Schlimmsten«, erklärte der Gemeindebrandmeister.
»Das ist wohl wahr«, bestätigte der Jagdpächter eifrig. »Da ist sie jemandem zu sehr auf den Schlips getreten.«
»Hallo, Leute, ein bisschen mehr Respekt bitte. Noch wissen wir gar nichts«, versuchte Röder sie zu beruhigen. Aber auch er glaubte nicht, dass Edith Oligs sich selbst erschossen haben könnte.
Dr. Neubert hob den Kopf der Toten an. »Schau mal, Michael. Dort ist das Geschoss wieder ausgetreten.« Sie zeigte auf eine blutverschmierte Stelle am Hinterkopf. »Das Projektil könnte hier noch irgendwo rumliegen, wenn es der Schütze nicht mitgenommen hat.«
»Wir werden uns gleich das Gelände näher ansehen. Die Kollegen von der Feuerwehr helfen sicher.« Michael Röder sah Axel Meinders nicken. »Aber zuerst spreche ich mit Aurich. Dann können die Kollegen dort schon mal ihre Köfferchen packen. Und natürlich muss Ediths Tochter in Hamburg benachrichtigt werden. Scheißaufgabe.«
*
Tino Middelborg schaute fassungslos auf die geschlossene Bürotür. So, als ob dort des Rätsels Lösung zu finden wäre. Das war nun schon der zehnte Anruf besorgter Gäste, die sich erkundigten, ob es auf der Insel noch sicher sei. Er hatte zwar das Gefühl, dass er bis jetzt die meisten Befürchtungen hatte entkräften können, doch das letzte Telefonat hatte ihn Nerven gekostet. Der Mann hatte doch tatsächlich wissen wollen, ob man den Insulanern nicht alle Schusswaffen wegnehmen könnte. Damit so was nicht wieder passiere. Man habe schließlich als Stammgast große Sorge, dass Mensch und Tier auf der Insel in absehbarer Zeit ausgerottet würden, wenn das so weiterginge. Und was denn mit den Rehen sei? Ob die ebenfalls auf der Abschussliste stünden?
Der Bürgermeister hatte mit Engelszungen auf den Mann eingeredet und dann Thea Holle, sein bestes Stück im Vorzimmer, gebeten, in den nächsten Stunden keinen Anruf mehr durchzustellen. Dabei war das sonst nicht seine Art. Bürgernähe war sein oberstes Gebot. Aber er musste selbst erst einmal seine Gedanken klar bekommen. Unglaublich, wie schnell sich der Tod von der Oligs rumgesprochen hatte. Sogar bis ans Festland. Dank sozialer Netzwerke war das kein Problem mehr. Dabei brachte die beginnende Saison auch ohne Todesfälle genügend Arbeit mit sich. Alles musste aus dem Winterschlaf geholt, die Turnhalle wieder zum Haus des Gastes umfunktioniert werden. Das hieß putzen, Stühle aufstellen und die Bühne aufbauen. Das Kinderspielhaus musste für die kleinen Gäste aufgehübscht werden. Dazu kam der Streit um die Kaninchen, der immer groteskere Formen annahm. Vornehmlich zwischen den selbsternannten Rettern der Pflanzenwelt und den Proniggels. Inzwischen wurde dieser Krach nicht mehr inselintern ausgetragen, sondern Medien hatten sich darauf gestürzt und ein Horrorszenario von toten Tieren an die Wand gemalt. Die Baltrumer Jäger, die sich bis jetzt erstaunlich zurückhaltend gezeigt hatten, wurden langsam sauer. Denn auch sie standen im Fokus der Öffentlichkeit.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte man die Sprecherin und selbsternannte Vorsitzende der Proniggels mit einem Kopfschuss – ihm kam das Wort ›erlegt‹ in den Sinn – in den Dünen gefunden.
Seine Vorgängerin im Amt hatte ihm ein ganz schönes Pfund hinterlassen, als sie im letzten Herbst die Segel gestrichen hatte und nach Jamaica ausgewandert war. Es war ihm immer klar gewesen, dass der Job als Bürgermeister und Kurdirektor nicht einfach sein würde, obwohl die Insel klein war. Aber solch einen Saisonbeginn hatte er sich nicht träumen lassen.
Er schaute auf die alte braune Bürouhr, die sicher schon unter vielen Bürgermeistern gedient hatte. Es wurde Zeit, zum Schiff zu gehen und Werner Gronewald abzuholen.
Das Telefon klingelte. Hatte er nicht …? Egal. Es musste wichtig sein, wenn Thea Holle durchstellte. »Middelborg.« Er lauschte einen Moment, dann erklärte er: »Ich bin ebenfalls gleich am Hafen. Dann können wir reden.«
Gerade als er beim Nationalparkhaus links abbiegen wollte, hörte er seinen Namen. Ingeborg Opitz stand mitten auf der Straße und winkte ungestüm. »Herr Middelborg, Herr Middelborg, halten Sie an.«
Nicht die Opitz. Die reichte ihm schon zu normalen Zeiten. Aber es nützte nichts. Wenn er weiterfuhr, würde sie ihn bis zum Hafen verfolgen und dann gab es kein Entkommen. Es sei denn, er würde sich ins Hafenbecken stürzen und nach Norderney rüberschwimmen. Was schwierig war. Und um diese Jahreszeit ein wenig zu kalt!
Er bremste und sprang vom Rad. Das Schiff sah er gerade an der Ostspitze der Nachbarinsel vorbeifahren. Ihm blieb also ein wenig Zeit, bis es anlegte. »Ich grüße Sie, Frau Opitz.« Er bemühte sich um größtmögliche Freundlichkeit. »Was kann ich für Sie tun?«
»Machen Sie dem Röder Dampf. Der soll sich um meinen Zaun kümmern!«
»Sie meinen Michael Röder? Der ist meines Wissens hier Polizist und kein Handwerker.«
»Mein Gott ja, darum geht es doch!«, antwortete sie scharf. »Jemand hat meinen Zaun zerstört. Das ist eine Straftat.«
»Ich bin sicher, dass er sich Ihren Zaun ansehen wird. Doch im Moment hat er vielleicht Wichtigeres zu