Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow

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Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow

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nicht Jörg Weber, den er zuerst aufsuchte, sondern Reinhart Petri. Dessen Häuschen lag auf dem Weg. Er klopfte.

      Nach einer Weile öffnete Petri die Tür eine Handbreit und schaute ihn misstrauisch an. »Was gibt’s?«

      »Darf ich reinkommen?«, fragte Röder ruhig.

      Widerwillig gab Reinhart den Weg frei. Es roch in dem kleinen Flur, als wäre lange nicht gelüftet worden. Im Wohnzimmer war es nicht viel besser. Der Fernseher lief. Das Frühlingsfest der Volksmusik. Andrea Berg besang inbrünstig die Liebe zu ihrem Traummann.

      »Willst du dich setzen?« Reinhart Petri räumte einen Stapel Jagdzeitungen von einem Sessel, sorgsam darauf bedacht, dass der Haufen nicht auseinanderrutschte.

      »Wenn du den Fernseher leiser machen würdest, wäre es einfacher.« Röder setzte sich vorsichtig hin. Er erwartete, dass sich jeden Moment ein paar Sprung­federn in sein Hinterteil bohrten, wenn er sich zu heftig bewegte. Aber alles ging gut. Reinhart folgte seinem Wunsch und stellte den Ton leiser.

      »Du hast mir in den Dünen bereits erzählt, wie ihr, du und Jörg, die Tote entdeckt habt. Ist dir im Nachhinein noch etwas aufgefallen? Etwas, das mit dem Tod, oder auch mit der Person zu tun hat?«

      Reinhart Petri überlegte, dann schüttelte er knapp den Kopf.

      »Wie viele Gewehre hast du?«

      »Wieso? Ich bin Jäger. Alles ist angemeldet«, sagte Reinhart schroff. Immer wieder glitt sein Blick zum Fernseher, auf dem inzwischen ein Ballett leichtbekleideter Damen im Gleichtakt die Beine nach oben warf. Reinhart Petri murmelte vor sich hin.

      »Was sagtest du?«, erkundigte sich der Polizist.

      »Nichts.«

      »Bitte. Reinhart. Was hast du gesagt?«

      »Ich meine nur. Die müssen nicht fast nackt auftreten. Das ist ungehörig«, sagte Reinhart Petri undeutlich.

      Röder schaute genauer hin. Na gut, einen Wintermantel hatten die Damen vom Ballett nicht gerade an. Aber immerhin – sie hatten etwas an. Außerdem war das nicht der Grund seines Besuches. »Reinhart, deine Waffenbesitzkarte, bitte. Es nützt nichts. Glaube mir. Wenn du sie mir nicht freiwillig gibst, werde ich dafür sorgen, dass wir uns hier ganz genau umschauen können.«

      Stöhnend stand Reinhart Petri auf und verließ das Wohnzimmer. Röders Blick fiel auf einen weiteren Stapel Hefte, der auf der Anrichte lag. Vielleicht gab es hier wertvolle Informationen über Jagdausrüstungen, Munition und dergleichen. Doch es waren nur ein paar wenige Broschüren, die sich mit der Jagd beschäftigten. Alle anderen trugen Namen wie Der Landser und National-Zeitung. Ein Flyer rutschte aus dem Stapel. Von der NPD. Maria statt Scharia.

      »Was machst du da? Hast du einen Durchsuchungsbefehl? Raus hier. Sofort raus!«

      Der Polizist hatte nicht gemerkt, dass Reinhart Petri wieder ins Zimmer gekommen war. Dass der Mann so laut werden konnte, hatte er noch nie erlebt. »Ist ja gut.« Zu gern hätte er die Ansammlung dieser Blätter kommentiert. Doch er hielt sich zurück. »Kann ich jetzt die Unterlagen haben?«

      Wortlos drückte Reinhard Petri sie ihm in die Hand.

      »Ich nehme sie mit. Kriegst sie so bald wie möglich wieder.«Er war froh, als er wieder draußen war. Viel hatte er nicht erfahren. Eigentlich gar nichts. Nur dass es stimmte, was erzählt wurde. Der Mann gehörte zur rechten Szene auf der Insel. Es gab nicht viele davon. Und sie waren unauffällig. Aber es gab sie.

      Michael Röder hoffte, dass sein Gespräch mit Jörg Weber angenehmer verlaufen würde.

      *

      »Was möchtet ihr trinken?« Der schwarzhaarige Wirt der Alten Liebe hatte gut zu tun. Die kleine Kneipe war gerammelt voll. Überwiegend Raucher. Denn hier durfte man. Enno Seeberg überlegte kurz, ob es wohl klug gewesen war, sich ausgerechnet diese Kneipe für ihr Treffen auszusuchen. Nicht, dass er nicht gerne hinginge. Der Wirt war nett, die Stimmung gut. Aber Anke würde an ihm riechen und angewidert das Gesicht verziehen, wenn er zu ihr kam.

      Enno bestellte zwei Bier. Vergebens suchte er nach einem freien Platz an einem der Tische. Er sah viele unbekannte Gesichter und die vertrauten bierseligen der Insulaner, die immer da waren. An ihren Stammplätzen an der Theke. Für ein intensives Gespräch war es entschieden zu laut. Sie würden sicher nicht lange bleiben. Aber erst einmal ein Bier. Er nahm die beiden Gläser, die der Wirt vor ihm abgestellt hatte, und schob sich zu Werner Gronewald durch, der gleich rechts von der Tür stehen geblieben war.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass am Anfang der Saison schon so viel los sein würde.« Er prostete Werner zu.

      »Tja, ist bestimmt jedes Mal eine Umstellung, von null auf hundert, wenn die Saison wieder anfängt, oder?«, fragte Werner.

      »Klar. Egal wo auf der Insel. Das fängt bei der Überfahrt an. Das große Schiff, die Baltrum I, liegt im Winter auf der Schiffswerft Diederich in Oldersum. Du weißt schon, an der Ems. Dort werden alle nötigen Reparaturen erledigt. Das kann manchmal ganz schön aufwändig sein. Das Unterwasserschiff muss gestrichen, Sitzbänke ausgewechselt und neue Techniken eingebaut werden. Natürlich muss alles bis zum Beginn der Saison fertig sein. Genau wie bei allen anderen Seebäderschiffen, die dort generalüberholt werden.«

      »Ich weiß. Ich war erst im Sommer in Oldersum. Zu ihrem weltberühmten Dorffest. Weißt du, wie das heißt?«

      Enno Seeberg blickte seinen Bekannten fragend an.

      »Glaub es mir oder nicht: Dieses Fest heißt ›Mein lieber Scholli‹. Weil die da dann Schollen verkaufen.« Werner Gronewald lachte.

      »Echt jetzt?« Enno konnte es nicht fassen. Was für ein einfallsreicher Name. Aber der schien tatsächlich sogar Menschen aus Aurich anzulocken. Das lebende Beispiel stand vor ihm. »Komm, trink aus. Wir gehen eine Station weiter.«

      Er brachte die leeren Gläser zurück zur Theke und bezahlte.

      »Ihr habt’s aber eilig«, sagte der Wirt. »Nach einem Bier schon Feierabend?«

      »Diesmal ja. Er, also der Gronewald und ich, müssen uns in Ruhe unterhalten. Das nächste Mal wieder hier.« Noch einmal bahnte er sich seinen Weg zum Ausgang, wo Werner wartete.

      Der Regen kam direkt von vorne und setzte sich auf seine Brille. Enno zog die Kapuze über, doch es nützte nicht viel. »Hoffentlich hat das Sturmeck offen«, rief er Werner zu.

      Als sie am gelben Eispavillon vorbei waren, sahen sie, dass Licht den Eingang des Lokals erhellte.

      Auch hier standen einige Leute vor der breiten Theke, doch im hinteren Bereich war es leer. Nur Musik kam aus den Lautsprechern unter der Decke. Laute Musik. Wer weiß, wofür es gut ist, dachte Enno. So kann man unser Gespräch nicht mithören. Sie warteten, bis der Ober ihre Bestellung vor ihnen abgesetzt, die zwei Bier auf dem Deckel notiert hatte und wieder verschwunden war.

      »So, jetzt sag mir, was du auf dem Herzen hast«, begann Werner Gronewald das Gespräch.

      Enno erzählte ihm von der Gruppierung, der seine Anke angehörte. Den Namen ›Proniggels‹ verschwieg er wohlweislich und versuchte ernsthaft, die Meinungen der verschiedenen Lager aufzulisten. Doch er konnte sich nicht verkneifen, von der bevorstehenden Demo am Samstag bei dem Osterfeuer zu berichten.

      Werner

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