Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow страница 7
Es widerte ihn an. »Er wird sich schon kümmern«, sagte er knapp und machte, dass er wegkam.
»Herr Middelborg. Warten Sie! Unverschämtheit!«, begleitete ihn ihre gehässige Stimme fast bis zum Reedereigebäude.
Sie würde ihm ziemlich sicher folgen. Er musste unbedingt Michael Röder warnen. Er blickte sich um und sah ihn neben dem Wartehäuschen stehen. »Hallo, Herr Röder. Bevor Sie etwas sagen – gerade hat …«
Zu spät. Ingeborg Opitz hatte ihn eingeholt und bremste mit quietschenden Reifen.
»Da habe ich genau die Richtigen«, begann sie lauthals, doch Middelborg fiel ihr ins Wort.
»Frau Opitz! Nicht jetzt.« Middelborg bemerkte große Aufmerksamkeit in den Gesichtern der Umstehenden. »Wenn Sie etwas mit mir zu besprechen haben, dann kommen Sie in mein Büro. Sollten Sie mit Herrn Röder reden wollen – er ist später auf der Wache zu finden.« Ob es die Hausmeister der Hotels waren, die junge Frau vom Kutschenbetrieb oder der eine oder andere Vermieter, alle hatten sich zu ihnen umgewandt und warteten gespannt, wie die Auseinandersetzung weiterging. Es war ihm egal. Man kannte ihn als ausgleichend, freundlich. Aber in diesem Fall versagte seine Freundlichkeit.
»Sie wollen mir doch nicht vorschreiben, was ich zu tun habe«, fuhr Ingeborg Opitz ihn an. »Wer sind Sie überhaupt? Erst ein halbes Jahr hier und schon wollen Sie wissen, wie der Hase läuft. Von Insulanern haben Sie doch keine Ahnung. Und ich Idiot habe Sie auch noch gewählt.«
Zu dieser Argumentation fiel ihm nun gar nichts mehr ein. Als sie ihn gewählt hatte, war ihr doch klar gewesen, dass er kein Insulaner war, sondern vom Festland kam. Warum hatte sie ihr Kreuz bei ihm gemacht? Dann hätte sie besser ihre Wahl zwischen den beiden Inselkandidaten treffen können. Vielleicht würde er sie mal danach fragen. Irgendwann. Wenn sich die Lage beruhigt hatte.
»Ingeborg, Du solltest dich jetzt besser zurückhalten.« Michael Röder hatte sich vor der erbosten Frau aufgebaut. »Natürlich werde ich mich um deinen Zaun kümmern. Immer und immer wieder. Genau, wie ich es gestern nach deinem Anruf gemacht und die Anzeige aufgenommen habe. Aber jetzt muss ich erst meine Kollegen vom Festland abholen. Prioritäten setzen nennt man so etwas. Und wenn du das nicht verstehst, kann ich dir auch nicht helfen.«
Mit einem Ruck zog Ingeborg Opitz ihr Fahrrad zur Seite. Im Umdrehen fauchte sie: »Wie schön, dass du noch Vorgesetzte hast, lieber Michael. Die werden sehr interessiert registrieren, was ich denen zu sagen habe.« Mit Schwung bestieg sie ihr Fahrrad und ließ zwei kurzzeitig sprachlose Männer zurück.
»Wechseljahre.« Thomas Claaßen nickte bedeutungsvoll. »Ich sage nur: Wechseljahre. Kenne ich von meiner Helma.«
Middelborg hatte ihn gar nicht näherkommen sehen. Er wunderte sich. Als Gemeindemitarbeiter sollte Claaßen eigentlich damit beschäftigt sein, in der Mehrzweckhalle die restlichen Strandkörbe fit für die Saison zu machen. Aber offensichtlich führte dieser Mann in seiner Arbeitszeit ein Eigenleben. Diese Leute muss ich unbedingt besser in den Griff kriegen, nahm er sich vor. Doch nicht jetzt. Nicht noch ein Drama. Der Tag war bis jetzt der anstrengendste in seiner jungen Laufbahn als Bürgermeister gewesen. Der musste nicht mit einer dienstlichen Diskussion in aller Öffentlichkeit gekrönt werden. Aber ein: »Na, schon Feierabend?«, konnte er sich nicht verkneifen.
»Wie man’s nimmt«, war Claaßens Antwort. »Überstundenabbau. Muss Gäste abholen.«
Wenn der Mann auch viel konnte: In ganzen Sätzen sprechen offensichtlich nicht. Das mit den Überstunden würde sich Middelborg genau ansehen. Er hegte leichte Zweifel.
»Kommen Sie«, wandte er sich an Michael Röder. »Da hinten ist es ruhiger. Sie meinten eben am Telefon, Sie hätten Neuigkeiten?«
Der Inselpolizist folgte ihm einige Meter Richtung Pegelanlage zur der Stelle, wo normalerweise das Ausflugsschiff Baltrum III anlegte. Das allerdings schien unterwegs zu einer Fahrt rund um die Insel zu sein. Die große Fähre, die Baltrum I, bog gerade in die Hafeneinfahrt.
»Wer kommt gleich?«, fragte er Röder.
»Die Spurensicherung und meine Kollegen aus Aurich. Dazu mein Hilfssheriff, Eilert Thedinga aus Grotegaste. Der wird sich wundern, was hier los ist. Und was ich Ihnen sagen wollte: Ich habe zwei herrenlose Fahrräder an den Hintereingang vom Rathaus gestellt. Für das Fundbüro.«
»Alles klar. Kümmere ich mich drum.« Als Bürgermeister dieser kleinen Insel war er offensichtlich für alles zuständig. Ob Strandkörbe, herrenlose Fahrräder ….
»Ich habe übrigens wegen der Fahrräder den Leiter des Fundbüros anrufen wollen. Der war aber nicht da.«
»Schon gut, ich gebe es weiter.« Tino Middelborg blickte den Polizisten freundlich an. »Gibt es sonst was Neues?«
»Wegen der Toten?« Michael Röder schüttelte den Kopf. »Nach erstem Anschein ist sie erschossen worden. Aber letztendlich können uns nur die Mediziner in Oldenburg nach einer genauen Untersuchung etwas sagen.«
»Na ja, sie wird nicht gleichzeitig vergiftet und erschossen worden sein«, erwiderte Middelborg.
»Hat es alles schon gegeben. Obwohl ich das nicht glaube, werde ich mich hüten, eine Aussage dazu zu machen«, erklärte Röder. »Warten wir es also gelassen ab.«
»Sie sind gut. Gelassen!« Middelborg erzählte dem Polizisten, wie bei ihm die Telefone heißliefen. »Am besten wäre es, wenn wir bei allen Insulanern eine gründliche Hausdurchsuchung machen und alles beschlagnahmen würden, was auch nur ansatzweise wie ein Mordinstrument aussieht.«
»Da würde sich meine Sandra aber ganz schön bedanken, wenn sie in Zukunft ohne Küchenmesser auskommen sollte.« Michael Röder lächelte. »Ich möchte im Moment echt nicht mit Ihnen tauschen. Das ist bestimmt nicht einfach. Ich hoffe mal, dass wir schnell Ergebnisse haben.«
Werner Gronewald kam als Erster vom Schiff. Middelborg hatte ihn im Herbst bereits einmal getroffen. Bei der Deichschau. Kurz nachdem er seinen Bürgermeisterposten angetreten hatte.
»Schön, dass Sie da sind«, begrüßte er ihn freundlich. »Gehen wir zu mir nach Hause. Im Büro haben wir keine ruhige Minute.« Er berichtete Gronewald kurz, was auf der Insel passiert war.
Werner Gronewald deutete auf eine Gruppe, die zielstrebig auf den Inselpolizisten zulief. »Habe mir schon gedacht, dass etwas passiert sein muss. Die Herren sehen so offiziell aus. Gar nicht wie Urlauber. Besonders der mit der schwarzen Aktentasche. Kennen Sie die?«
»Nein. Der letzte Mordfall war vor meiner Amtszeit«, sagte Middelborg.
»Aber Sie denken nicht im Ernst, dass hier so eine Art – wie soll ich es nennen – ›Mörderischer Kaninchenkrieg‹ ausgebrochen ist?«, fragte Gronewald.
»Ich hoffe nicht«, erwiderte der Bürgermeister. Er stellte Gronewalds Tasche in seinen Fahrradkorb. »Schön, dass es heute schon klappt mit unserem Treffen. So haben wir bis zur morgigen Ratssitzung Zeit, um Informationen auszutauschen.«
»Sie sind aber nicht der Einzige, der um ein Gespräch gebeten hat«, erklärte Gronewald. »Sie wissen, wer Enno Seeberg ist? Ich habe mit ihm in Norden meine Ausbildung gemacht. Vor vielen Jahren. Und genau der hat mich heute Morgen angerufen, weil er mich sprechen wollte. Er sagte etwas von ›der Wahrheit die Ehre geben‹ oder ähnliches.«
Middelborg