Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow страница 5
Ein Gast, der vor einigen Tagen durch die Dünen gewandert war, hatte ihm berichtet, dass ein paar Dachpfannen verrutscht wären. Jörg Weber hatte umgehend seinen Jagdkollegen angerufen. Der kannte sich mit so etwas aus. Ein geborener Handwerker. Petri war bei der Gemeindeverwaltung beschäftigt und hatte sich sofort bereit erklärt, sich um die Ziegel zu kümmern. Zumal er selbst Jäger war.
Die kleine Hütte am Ostende der Insel in den Dünen war ein beliebter Anlaufpunkt. Ob es die Hundezüchter mit ihren Weimaranern, die Falkner oder ganz normale Jagdgesellschaften waren, alle empfanden die Herbstjagden auf der Insel als etwas Besonderes.
Reinhart Petri nickte nur. Er war ein Stiller. Nicht reden – machen. Nach dieser Devise lebte und handelte er. Sehr zur Freude seiner Jagdfreunde. Jörg Weber erinnerte sich noch gut an den Tag, als die Tür der Jagdhütte dem Alter erlegen war und sich aus den Angeln gelöst hatte. Sofort war Reinhart zur Stelle gewesen, um zu helfen. Man kannte seine Einstellung zum Leben und nahm sie hin. Dass der Mann, wenn er sich tatsächlich mal zu einer Meinung hinreißen ließ, nicht immer auf positives Echo stieß, damit konnte der leben. »Du gehst aufs Dach?«
Reinhart Petri holte die Leiter aus dem Schuppen, stellte sie an der Regenrinne an und stieg hinauf. Dann schob er die Pfannen wieder an den richtigen Platz.
»Sind alle Pfannen in Ordnung? Oder müssen wir kaputte austauschen?«
Jörg Weber bekam keine Antwort. Reinhart hielt seine rechte Hand als Schutz vor der Sonne über die Augen und starrte in die Ferne.
»Hallo, Kollege, was ist mit dir?« Langsam wurde Jörg Weber ungeduldig. Außerdem war ihm kalt.
»Gib mal ein Fernglas.«
Der Jagdpächter wusste, dass es keinen Zweck hatte, zu fragen, warum Reinhart Petri es brauchte. Er ging zurück in die Hütte und holte das alte Zeiss, das noch von seinem Großvater stammte, aus dem Schrank. »Hier. Bin gespannt, was du mir berichten wirst.«
Reinhart Petri nahm das Fernglas und richtete seine Aufmerksamkeit auf ein Ziel vor den letzten Dünen am Ostende. Zumindest deutete der Jagdpächter diese Richtung so, wenn er dessen Blicken folgte.
»Da liegt was Größeres. Und Möwen und Krähen kreisen darüber. Schätze, das sollten wir uns mal ansehen«, sagte Reinhard Petri bedächtig.
»Ein Reh? Konntest du nichts Genaues erkennen?«
Reinhart Petri schüttelte den Kopf. »Kein Reh. Es sei denn, es wäre ein Reh mit Klamotten an.« Seelenruhig stieg er die Leiter herunter.
»Was sagst du da?!« Das durfte nicht wahr sein. »Nun sag schon, was ist los?« Jörg Weber war versucht, seinen Kumpel an der Jacke die letzten Stufen nach unten zu ziehen. Wie konnte der Mann nur so ruhig bleiben, während womöglich jemand in den Dünen lag und Hilfe brauchte? Um diese Jahreszeit würde es sich bestimmt nicht um ein verliebtes Pärchen handeln, das Freiluftübungen machte.
»Da liegt jemand. Wir sollten nachsehen«, sagte Reinhart Petri nur, aber da hatte sich Jörg Weber schon auf den Weg gemacht.
Reinhart Petri folgte ihm gemächlich.
Nach gut zehn Minuten Fußmarsch empfing sie am Rand der Dünen ohrenbetäubender Lärm, als sie sich einer Senke näherten. Vor ihnen flogen wohl zwanzig Vögel auf, drehten eine kleine Runde, nur um sich gleich danach, wütend krächzend ob der Störung, wieder der Nahrung zuzuwenden.
»Edith«, flüsterte Jörg Weber fassungslos und zog sein Handy aus der Tasche.
*
»Michael? Kannst du bitte mal kommen?«
Hauptkommissar Michael Röder schreckte auf, als er die Stimme seiner Frau hörte. Nicht zum ersten Mal dachte er darüber nach, dass es nicht immer von Vorteil war, seinen Arbeitsplatz direkt neben der Wohnung zu haben.
Er hatte sich vor gut einer Stunde in die kleine Wache zurückgezogen. Es war ruhig auf der Insel, so hatte er sich mit Papierkram beschäftigt, im PC herumgeblättert und nachgedacht. Zum Beispiel über ihren großen Einsatz im letzten Sommer. Ein Toter hatte im Rosengarten gelegen und sie hatten die Aufgabe gehabt, den Täter zu finden. Sie – das waren unter anderem sein Freund, Hauptkommissar Arndt Kleemann und Marlene Jelden, Kommissarin aus Esens, gewesen. Marlene. Die Frau, die sein Leben durcheinandergewirbelt hatte und monatelang keinen vernünftigen Gedanken in seinem Hirn zugelassen hatte. Nach dem Einsatz hatte sie die Insel verlassen.
Sie hatten sich danach noch einige Male am Festland getroffen. Besser war’s dadurch nicht geworden. Nach einem schönen Abend, den sie gemeinsam in Papenburg verbracht hatten, hatte er die Beziehung beendet. Er konnte es nicht mehr ertragen. So zwischen den Welten. Marlene hatte nie eine Entscheidung gefordert. Er hatte trotzdem eine getroffen. Zumindest nach außen. Er fuhr nicht mehr öfter als notwendig ans Festland. Erfand keine Ausreden mehr für seine Frau.
Und doch saß er in manchen Stunden an seinem Schreibtisch und fühlte sich in einer völlig fremden Welt. Der Polizist sprach mit keinem darüber. Schon gar nicht mit seinem Freund Arndt. Der war überzeugt davon, dass man Berufliches und Privates nicht miteinander mischen sollte. Wenn der wüsste! – Nee, besser nicht.
Langsam, mit den Monaten, gewann er Abstand. Sein ständiges Mantra, dass so alles besser sei, begann zu wirken. Schließlich war es nicht so, dass er Sandra nicht liebte. Im Gegenteil. Er war eben einfach nur in die Scheißsituation geraten, zwei Frauen zu lieben. Und diese Situation wünschte er seinem ärgsten Feind nicht. Er knallte den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Egal. Was soll’s. Anderes Thema. Heute Nacht würde er wieder einmal losziehen. Sperrstundenkontrolle.
Als das Telefon klingelte, hatte sich seine Laune kaum gebessert. »Polizeistation Baltrum. Röder.«Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Kaum ein Jahr war vergangen, und nun sollte schon wieder eine Leiche auf der Insel liegen?! Beinahe am äußersten östlichen Zipfel. Sollte er erst allein rausfahren und schauen, was sich hinter Jörg Webers Geschichte verbarg? Blödsinn. Der Mann war Jäger. Der wusste, ob er Tote oder Lebende vor sich hatte. Egal, ob bei Mensch oder Tier.
Röder telefonierte mit der Leitstelle in Wittmund, die für Notfälle in beinahe ganz Ostfriesland zuständig war. Es würde auf jeden Fall ein Feuerwehrfahrzeug mit Allradantrieb mit ausrücken müssen. Der Krankenwagen hätte es schwer, falls sie tiefer in die Dünen mussten.
Er zog seine Jacke an, als seine Frau den Kopf durch die Tür steckte.
»Michael, schläfst du? Ich habe dich gerufen. Ich brauche deine Hilfe.«
»Tut mir leid. Ich habe einen Notfall. Kann später werden.«
Sie schaute ihn aufmerksam an. »Was Ernstes?«
Er nickte. »Edith. Sie soll mit einem Loch in der Stirn in den Dünen liegen.« Er konnte es ihr ruhig erzählen. Sie würde nichts weitergeben.
Sandra Röder wurde blass. »Edith Oligs? Wie …«
»Ich muss los.« Er verließ die Wache und schnappte sich sein Fahrrad. Als er am Inselmarkt vorbeifuhr, kam von der Turnhalle her ein metallisches Scheppern. Dann noch eins. Die Kollegen vom Rettungsdienst hatten die Tore geöffnet. Er hörte den Motor des Krankenwagens anspringen. Sie würden vermutlich eher als er auf seinem in die Jahre gekommenen Dienstfahrrad die Einsatzstelle erreichen. Jörg Weber hatte versprochen, Reinhart Petri zum Katastrophenweg zu schicken, um die Einsatzkräfte zum Fundort der