Baltrumer Kaninchenkrieg. Ulrike Barow
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Читать онлайн книгу Baltrumer Kaninchenkrieg - Ulrike Barow страница 4
Im Laufe der Jahre hatten sie aus dem Stück Land, auf dem bis dahin nur Moos und einige Flecken Dünengras einen Lebensraum gehabt hatten, ein Schmuckstück geschaffen. Trotz des manchmal herben Klimas wuchsen Kirschen, Äpfel und Birnen und um die Rasenfläche herum hatten sie Mohn, Margeriten, Lupinen und vieles mehr angepflanzt. Im Sommer leuchtete der Garten in allen Farben.
Bis vor ein paar Jahren. Als die Kaninchen gekommen waren. Diese verdammten Viecher, die erst vereinzelt und unauffällig, dann immer häufiger, intensiver, über ihren Garten herfielen. Die sonst nur das Dünengelände im Osten der Insel bewohnt hatten und langsam merkten, dass das Futter im Westen erheblich besser schmeckte.
Außen um das Grundstück hatten sie einen zwei Meter hohen Zaun gesetzt. Nicht schön, aber effektiv. Denn nicht nur die Kaninchen, sondern auch die Rehe fanden Gefallen an ihrem Garten. Und alles, was niedriger war als zwei Meter, bildete für Rehe schlichtweg kein Hindernis. In einem Meter Abstand, nach innen versetzt, hatten sie den Kaninchenzaun gezogen. Tief in die Erde gesetzt, engmaschig und hoch genug, dass keiner dieser Angreifer reinkam. Dazwischen hatten sie Wacholder und Kartoffelrosen gepflanzt. Die Rose, die auf Baltrum allgegenwärtig war und problemlos wuchs. So war eine dichte Wand um ihr sorgfältig gepflegtes Gartenstück entstanden.
Ingeborg Opitz öffnete die kleine Pforte in ihrem inneren Verteidigungsring, wie sie es nannten. Es stimmte: Wohl an die hundert blaue und gelbe Krokusblüten, die gestern noch das erste Grün des Rasens aufgelockert hatten, waren weg. Verschwunden. Einfach nicht mehr da. Ihr stiegen die Tränen in die Augen. Erst im letzten Herbst hatte sie die Zwiebeln in die Erde gesetzt.
Schnell fand sie die Stelle, wo die Kaninchen durchgeschlüpft waren. Der Zaun war heruntergetreten. Nicht nur das: Mit roher Kraft waren die grünen Befestigungsstäbe aus der Erde gerissen worden. Sie konnte kaum glauben, was sie dort sah.
Hartmut war ihr gefolgt und deutete auf den nächsten, den hohen Zaun. »Das ist nicht alles.«
Natürlich nicht. Auch durch den mussten sich die Kaninchen durchgearbeitet haben. Aber wie konnte das passieren? Was sie sah, verschlug ihr die Sprache. Der Zaun lag zur Südseite platt auf dem Grund. Die Streben links und rechts – abgesägt. Und links von der Öffnung, bei einer Tulpe, die sich zwischen die Triebe einer wilden Rose verirrt hatte, saßen zwei Kaninchen und mümmelten geruhsam vor sich hin.
»Hartmut, Hartmut, schaff sie raus. Ich werde wahnsinnig!« Sie musste etwas tun! Die Kaninchen töten! Sonst würden sie die nie wieder loswerden. Was nützte es, wenn sie den Zaun reparierten und die Viecher waren noch drin! Sie rannte zum Gartenhäuschen. Sie brauchte einen Spaten. Damit würde sie die Karnickel erschlagen. Abgeschlossen. Mist. Dann werfe ich sie eben tot, dachte sie wütend. Sie zog ihre Schuhe aus, lief mit bloßen Füßen zurück zum Zaun, holte weit aus …
»Ingeborg, mach dich nicht lächerlich. Die Viecher sind längst abgehauen.« Hartmut bemühte sich, wenigstens den kleinen Zaun notdürftig wieder aufzustellen.
»Aber der andere Zaun!«, schrie sie. Wollte der Blödmann es nicht begreifen? »Der muss doch auch … Warum hast du das nicht schon heute Morgen repariert? Als du das bemerkt hast, verdammt noch mal!« Resigniert ließ sie die Arme sinken und zog sich wieder ihre Schuhe über. Es war an diesem Märzmorgen empfindlich kalt.
Jetzt wurde auch Hartmut laut. »Weil ich mir die Karten legen konnte, ob du stinkiger wärest mit einem Karnickel im Garten oder ohne Frühstück! Noch kann ich nicht alles auf einmal!«
»Aber die Krokusse … Alles ist weg!« Fassungslos machte sie der Gedanke, der sich immer stärker in ihr Bewusstsein drängte: Die Kaninchen hatten Helfershelfer gehabt. Und das war kein Kinderstreich. Jemand hatte sie an ihrer empfindlichsten Stelle treffen wollen.
Aber warum? Sie hatten keinem etwas getan! Ihre Nachbarn hatten sich längst an ihre Abschottungstechniken gewöhnt und ließen sie in Ruhe. Hartmut hatte nur ein, zwei Mal laut werden müssen. Vor ein paar Jahren. Seitdem war alles okay. Man grüßte sich sogar wieder.
Bis auf Melissa natürlich. Melissa Harms wohnte mit ihrem Sohn gegenüber und hatte nie verwunden, dass Hartmut damals das tote Kaninchen vor ihre Haustür gelegt hatte. Seitdem hatte Melissa einige ihrer Fenster direkt gegenüber mit diesen doofen Postern zugekleistert. Wir sind Pflanzenfresser und andere sinnlose Sprüche. Lächerlich. Von dieser kampfbereiten Tierschutzgruppe. PETA. Stand ja ständig in allen Medien, wenn die wieder in einen Hühnerstall eingebrochen waren. Angeblich, um kranke Hühner zu filmen. Dass diese Leute vorher Zäune aufschnitten, Türen aufbrachen und sich an fremdem Eigentum vergriffen, das sollte dann völlig in Ordnung sein? Kein Wunder, dass die Bauern sauer waren.
Zaun? Wütende Bauern? PETA? Ihr kam ein schrecklicher Verdacht, der sich in Sekundenschnelle zur Gewissheit verdichtete. Natürlich! Das war es! Es konnte gar nicht anders sein! »Hartmut … Ich bin mal eben weg!«
Ihr Mann reagierte nicht. Mit kräftigen Schlägen versuchte er, einen der Pfähle wieder in der Erde zu verankern. Lächerlich! Die waren hinüber! Sie würden neue bestellen müssen. Und wer die bezahlte, das war klar.
Aufgebracht klingelte sie bei Melissa Sturm. Sie hätte schwören können, dass sie das Gesicht ihrer Nachbarin hinter der Gardine gesehen hatte, als sie über die Straße gerannt war. Doch Melissa öffnete nicht. Ingeborg wartet noch einen Moment, dann ging sie. Melissa war eine der wenigen Insulaner, die ihr Haus ständig abschlossen. Bei anderen konnte man einfach die Wohnung betreten, nachsehen, ob jemand da war, und bei Misserfolg einfach wieder gehen. Ingeborg hätte zu gern gewusst, was ihre ehemalige Freundin zu verbergen hatte. Vielleicht war Melissa wirklich nicht da, und ihr Sohn, Jonas, würde bestimmt nicht öffnen. Der saß immer nur oben in seinem Zimmer und hatte die Musik auf voller Lautstärke.
Sie würde wiederkommen!
Aber vorher würde sie Michael Röder herbeordern. Der sollte sich das Drama ansehen und gleich die Anzeige gegen Unbekannt aufnehmen.
Montag
»Meine Güte, was riecht das hier muffig.« Jörg Weber hätte sich liebend gerne die Nase zugehalten, doch um das kleine Holzfenster zu öffnen, brauchte er beide Hände. Es quietschte grässlich, als er den Flügel nach außen schob. Die hereinströmende Luft war zwar kalt, aber wenigstens frisch. »Ist schon eine ganze Weile her, dass wir hier waren«, sagte er zu Reinhart Petri.
»Kein Wunder. Die Jagdsaison ist seit zwei Monaten vorbei. Was sollten wir also hier?«
Vielleicht mal lüften, dachte der Pächter der Baltrumer Jagd und schaute sich in der Jagdhütte um. Das feuchte Frühjahr hatte seine Spuren hinterlassen. In den Ecken hatten dicke Spinnen Schutz vor dem Winter gesucht und in einem Glas, das auf dem Tisch vergessen worden war, klebten vertrocknete Schimmelreste. An der Wand stand eine Waffentasche aus Kunststoff. Hatte einer seiner Jagdkollegen bei der letzten Jagd sein Gewehr hier vergessen? Das hätte ihm doch auffallen müssen. Er war der letzte gewesen, der den Raum am fünfzehnten Januar verlassen hatte, an Hasensilvester. Er nahm die Tasche hoch. Sie fühlte sich leicht an. Das kleine Schloss ließ sich ohne Probleme öffnen. Reinhart Petri schaute ihm neugierig über die Schultern, als er sie aufklappte. Sie war leer. Seltsam. Wer war, ohne seine Waffe zu schützen, mit ihr nach Hause gefahren? Seine Jagdkollegen von der Insel waren normalerweise sehr gewissenhaft, was ihre Gewehre anbelangte.
Er schaute genauer hin. Ein Namensschild war nicht zu sehen. Doch oben in der Ecke fand er zwei verwischte Zeichen,