Mary und das Geheimnis der Kristallpaläste. Elfriede Jahn
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Emily wünschte Mary wie üblich einen schönen guten Morgen und Mary tat das Gleiche. Obwohl niemand im Dorf je ein Wort darüber verlor, wusste doch jeder, dass Laura im alten Wissen bewandert war. Die Großmutter war im Dorf sehr angesehen und das färbte auf Mary ab, die sich bisweilen auf Schritt und Tritt beobachtet fühlte.
Wie jeden Tag ging Laura auch heute die De-Pass Road hinauf zum Hauptplatz des Dorfes und wartete auf den Bus. Der kam auch, doch diesmal fuhr er ohne Mary ab, denn ihr wurde klar, dass sie heute einfach nicht zur Schule gehen konnte, als ob nichts geschehen wäre. Sie musste sofort mit Doff und Larry sprechen, die sie begleiten sollten und bis jetzt noch nichts davon wussten! Ohne weiter zu überlegen, lief Mary zu den Klippen. In der Nacht war Wind aufgekommen und das Meer brandete hart gegen die Felsen. Gischt schäumte hoch und zerstob in zarte Nebelschleier. Mary liebte die See bei jedem Wetter, egal wie hoch die Wellen waren. Heute bemerkte sie das Meer nicht einmal. So nahm sie nicht wahr, dass das Licht, sobald es durch die rasch vorüberziehenden Wolken brach, die ganze Bucht hell erstrahlen ließ.
Am Strand angekommen, sah sie, dass Doff wieder angeschwemmtes Treibholz gesammelt und aufgestapelt hatte, doch der Junge war weit und breit nicht zu sehen. Wenn es das Wetter erlaubte, saßen sie gern am Feuer und schmiedeten Pläne, was sie aus ihrem Leben machen wollten. Einmal hatte Doff Mary eine Schlange mitgebracht, und sie gefragt, ob sie Schlangen möge. Jeder wusste, dass Mary alle Tiere liebte. Larry war aufgesprungen und hatte Doff samt seiner Schlange davongejagt.
Sie hatte Glück! Larry schipperte soeben eines von Larkins Booten von der Anlagestelle zum Strand.
„Larry! Larry!“, rief Mary laut, um den Wind zu übertönen, und hüpfte aufgeregt auf und ab. Zu ihrer Erleichterung bemerkte Larry sie und nahm Kurs auf die Bucht.
Die Larkins waren die Fährunternehmer des Ortes. In der Hochsaison brachte Larry für sie Touristen auf die Insel St. Michael. Bis zu zehnmal am Tag fuhr er hin und wieder zurück. Weil ihn die Larkins wie einen Lehrling behandelten, verdiente er dabei kaum Geld. Im Sommer lebte Larry hauptsächlich vom Trinkgeld der Touristen. Im Winter war es dem Briefträger, der an Rheuma litt, manchmal zu kalt und Larry sprang für ihn ein. Doch nun war April und das Wetter war, obwohl rau und windig, warm genug. Für die Touristen jedoch war es noch zu kalt, und so hatte Larry nichts zu tun, außer Krähen zu zählen und vor sich hin zu träumen.
„Gott sei Dank, Larry!“, rief Mary gegen den Wind, als Larry das Boot an Land schob. „Ich drehe noch durch, wenn ich nicht sofort mit einem Freund reden kann!“
„Wieso bist du nicht in der Schule?“, rief Larry zurück. Mary fiel ihm um den Hals. Ihr Gesicht war gerötet, ihr Haar tanzte im Wind und ihre Augen glänzten.
„Schon gut, schon gut“, stammelte Larry verwirrt. „Du bist ja vollkommen fertig! Jetzt sag schon, was los ist.“
Zu seiner Erleichterung lächelte Mary. Dann seufzte sie, umarmte ihn nochmals und schnupperte an seinem schwarzen Haar, das nach Meerwasser roch. Das verwirrte Larry sehr. Weil er nicht wusste, was er tun sollte, räusperte er sich.
„Komm!“, sagte er, nahm ihre Tasche und die Schulsachen und zog Mary zu den Klippen, wo sie sich in einer kleinen Höhle einen geheimen Zufluchtsort geschaffen hatten. Dort setzten sie sich auf Holzkisten, die Larry aus dem von Doff gesammelten Treibgut zusammengebastelt hatte, und zündeten Kerzen an. Mary wickelte sich in ihren dicken, grauen Pullover ein, und Larry, der seine Windjacke trug, wartete geduldig. Mary erzählte von ihrer Vision und dem Auftrag, den sie erhalten hatte.
„Was denkst du?“ Erwartungsvoll sah sie Larry an, der sich sichtlich bemühte, sie nicht zu verletzen.
„Schwer zu sagen“, stotterte er, „Keine Ahnung, eigentlich, ich meine ...“
Als er Marys Enttäuschung bemerkte, bat er: „Lass mich darüber nachdenken.“ Um Zeit zu gewinnen, wechselte er einfach das Thema. „Doff wollte auch herkommen“, sagte er und grinste. „Er ist heute nicht in der Schule. Er musste sich mit seinem Onkel treffen. Du weißt schon, mit Master Ruppy. Doff soll bei ihm so bald als möglich, am besten gleich, wenn er mit der Schule fertig ist, eine Lehre anfangen.“ Und Larry prustete heraus: „Als Leichenbestatter!“
Doffs Onkel hieß eigentlich Ruppert Master. Wie sein Neffe war er ziemlich beleibt. Seinen dicken, in feines schwarzes Tuch gehüllten Bauch trug er betont würdevoll mit sich herum. Davon abgesehen, war er ein gutmütiger Mann, der seinen Neffen gewähren ließ, solange er seine Pflichten in der Schule nicht vernachlässigte.
Mary versuchte, sich den etwas schrägen, lustigen, verfressenen und tollpatschigen Doff in der Rolle eines seriösen Bestatters vorzustellen. Doff mit seinem roten Wuschelkopf sollte einen Beruf ausüben, bei dem er einen schwarzen Anzug tragen musste und Süßigkeiten überhaupt keine Rolle spielten.
„Doff als Bestatter?!“, kicherte Mary. „Was für eine Katastrophe!“
Ihre Anspannung war wie weggeblasen, als Larry vorschlug: „Komm, wir fahren nach St. Michael.“
Mary nickte. Gut gelaunt krochen sie aus der Höhle, in der Mary ihre Schultasche und die Bücher zurückließ. Eine kalte Windböe sprang sie an und Mary fröstelte. Wortlos gab Larry ihr seine Windjacke. Als er ihr ins Boot half, versicherte er: „Das Boot hat einen ordentlichen Motor und ich bin ein guter Bootsführer.“
Dass das stimmte, wusste Mary. Sie freute sich auf St. Michael.
„Ich war schon lange nicht mehr auf der Insel“, sagte sie, während Larry das Boot mit ruhiger Hand gegen die anlaufenden Wellen lenkte.
„St. Michael ist eine sehr kleine Insel mit nur einer Kapelle“, begann Larry seine Touristenmasche, und Mary lachte hell auf. „Einige Buchten weiter gibt es zwei Leuchttürme. Von Lysardh Fount aus können Sie die schöne Insel bei fast jeder Witterung sehen. Lysardh Fount ist eine Kleinstadt, eine lose Ansammlung von Cottages, die auf der Westseite von den Klippen Cornwalls begrenzt werden, die steil ins Meer abfallen ...“
Um Mary bei Laune zu halten, redete Larry einfach weiter. „Stell dir vor: Letzte Woche, am Freitagabend, bin ich mit einem Pärchen, das unbedingt übersetzen wollte, zur Insel gefahren. Aber dann war ihnen der Wellengang zu hoch und ich musste umkehren.“ Larry kicherte. „Die waren vielleicht froh, als sie wieder aussteigen konnten. Vor lauter Freude, dass ich sie nicht hab absaufen lassen, steckten sie mir sogar ein dickes Trinkgeld zu.“
„Ja, auf dich kann man sich eben verlassen“, sagte Mary und meinte es ernst.
Den Rest der Überfahrt schwieg sie und Larry, dem nichts mehr einfiel, womit er sie ablenken konnte, begann zu grübeln: Als er zehn war, hatten die Erzieher ihn als „unzugänglich“ bezeichnet. Doch es war nicht zu übersehen gewesen, dass er deutlich besser sprechen und lesen konnte als die anderen Kinder im Heim. Deshalb hatte ihn seine Mutter wieder zu sich nehmen müssen. Bevor sie endgültig aus seinem Leben verschwand, hatte sie ihn zu den Larkins gebracht. Das waren praktische Leute. Er konnte für sie arbeiten und in ihrem kleinen Bootshaus am Landesteg des Dorfes wohnen, während er sich die Fähigkeiten aneignete, die er brauchte, um das kleine Haus seiner Mutter zu renovieren. Dann war Mary in seinem Leben aufgetaucht. Und obwohl Larry es sich selbst kaum eingestand, war Mary für ihn mehr als nur ein guter Kumpel. Sie hatte ihm von ihrer Vision erzählt und von einem Abenteuer, das sie gemeinsam bestehen sollten. So verschieden, überlegte Larry jetzt, waren ihre Vorstellungen und Wünsche gar nicht, auch wenn ihm noch nie ein Lichtwesen erschienen war. Wie das alles zusammenspielte ... es war,