Politische Philosophie des Gemeinsinns. Oskar Negt

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Politische Philosophie des Gemeinsinns - Oskar Negt

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die auf die Ebene von Vernunft gehoben werden kann und dadurch domestizierbar ist.

      Ich glaube, dass die Unbefangenheit, ja Naivität, mit der Kant bestimmte Probleme und Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft analysiert, damit zu tun hat, dass er das Gewaltproblem nicht aus seiner Theorie verdrängt, sondern es so löst, dass er fortan nicht mehr Verhältnisse als gewaltlos legitimieren muss, in denen in Wirklichkeit Gewalt steckt. Das ist sonst in gewisser Weise der fragwürdige Traditionsbestand der gesamten bürgerlichen Theorie, dass sie immer drauf und dran ist, bürgerliche Gesellschaft als gewaltlos zu legitimieren, obwohl sie das nicht ist. Weil Kant hingegen den Gewaltbrocken nimmt, wie er ist, und ihn auch in seiner fortexistierenden positiven Form der bürgerlichen Gesellschaft akzeptiert, kann er sagen, die Verhältnisse, wie sie sein sollen, können nur mit Gewaltmitteln und den Mitteln der Antagonismen, der Widersprüchlichkeit und des Kampfes, hergestellt werden. Es ist hier also ein ideologiekritisches Element enthalten, das vor allem mit dem Gewaltproblem verknüpft ist, weil die Ideologien des Bürgertums von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit alle versucht hatten, was noch an Gewalt die Freiheitsrechte konstituiert, aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Das führte unter anderem dazu, dass Gewalt auf eine bestimmte Ebene transponiert wurde: Die politische Revolution etwa wurde zur industriellen entpolitisiert, und was an Gewaltmäßigkeit und Gewaltförmigkeit in einer politischen Revolution enthalten ist, nur in der noch akzeptierten Form der industriellen Revolution bezeichnet.

      Diese Gewalt, die Subjekt einer Gesellschaft ist, hat wenig zu tun mit jener Gewalt, die in der ersten Aussage (A) des Kantischen Schemas als Prädikat auftritt. Letztere Gewalt ist tatsächlich etwas Akzidentielles, weil sie etwas rein Gewalttätiges an sich hat. Was Kant hier unterstellt, sind Gewaltformen, die nicht in sich die Möglichkeit der Vernunft und des Zwecks enthalten, aber als Mittel definiert sind. Sie sind Selbstzwecke oder sie sind Zwecke für Dinge, die nicht zur Autonomisierung des Menschen und der Gattung führen, zu einem höheren Maß an Freiheit und Moralität, sondern schlicht zur Aneignung fremden Eigentums dienen oder zur Ausbeutung. Man könnte hier, das wäre ein sehr interessanter Exkurs, noch die Frage erörtern, in welcher Weise dieser Gewaltbegriff mit jenem Robespierres zusammenhängt. In der Tat ist die revolutionäre Gewalt, wie sie die Jakobiner vertreten haben, eine gewesen, die gegen die korrumpierte Menschheit gerichtet war, gegen den Hang zur Korruption, der dem Menschen innewohnt, was sich etwa in der Behandlung von Georges Danton (1759–1794) zeigte. Der hatte zwar gar gegen die Republik nichts unternommen, aber das war auch nicht mehr notwendig, um geköpft zu werden. Die Verschwörung war zu einem objektiven Vorgang geworden, kein Vorgang subjektiver Vorbereitung von Hoch- und Landesverrat, sondern die Verschwörung war zu einem objektiven Vorgang des Abfallens von revolutionären Zielsetzungen und von revolutionärer Gesinnung geworden. Insofern war in aller Habitualisierung, wie Georg Büchner (1813–1837) sehr schön aufzeigt, die Konterrevolution schon als Banalität enthalten, wie es Isaak Babel (1894–1940) einmal sagte.84 Die drohende Habitualisierung der Französischen Revolution, das heißt das Einstellen auf menschliche Schwäche und Eigentum, war selbst Ausdruck einer Korruption der Natur, der nur mit Gewalt, mit dem Schwert, mit der Guillotine zu begegnen war.

      Die bürgerlichen Staatstheorien von Montesquieu und anderen, auch von Rousseau, laborieren an dem Problem der Kontrolle und Domestizierung der Gewalt. Natürlich ließe sich von Montesquieu behaupten, dass er im »Geist der Gesetze« (1748) die Dreiteilung der Gewalten als eine Ratifizierung noch bestehender Gewalten betrachtet, also die exekutive, legislative und judikative Gewalt. Dass die exekutive Gewalt in Deutschland bis zu bestimmten Formen des Außenamtes im Feudalbesitz geblieben ist, ließe sich für heute noch geltend machen, denn nirgendwo gibt es so viele Adlige wie dort, obwohl der Adel als solcher keine gesellschaftliche Bedeutung mehr hat. Jedenfalls aber ist bis in die Weimarer Republik hinein die exekutive Gewalt, was die Personalstruktur anbetrifft, von nicht-bürgerlichen Elementen besetzt. Überhaupt hat das Bürgertum die Exekution seiner Interessen an nicht-bürgerliche Leute übergeben. Da wäre beispielsweise der Großgrundbesitzer Bismarck zu nennen, der im Grunde die bürgerlichen Interessen unter dem Horizont der Verwaltung eines Rittergutes betrieben hat und dabei seine Meriten und Erfolge hatte. Nur konnte der Nachfolger nicht mehr halten, was Bismarck aufgebaut hatte. Im ganzen wilhelminischen Staat ist die exekutive Gewalt eine Restgröße, allerdings eine für das Bürgertum konstitutive Restgröße feudaler Gruppierungen. Es hat in Deutschland keinen einzigen Staatsmann gegeben, der Politik wie ein Unternehmen geführt hätte. Es hat an der Spitze der deutschen Politik nie einen seriösen, zuverlässigen Geschäftsmann und Bürger gegeben. Meist sind es Abenteurer gewesen, die eine Welt von Erlebnissen dargestellt haben, wie sie dem Bürgertum fehlten: Der dritte Napoleon ist nur zur Macht gekommen, weil er den Menschen versprochen hat, außerhalb von Frankreich etwas für die Grande Nation zu unternehmen. Die Einweihung des Suezkanals ist vor diesem Hintergrund zu sehen, und andere Projekte sind nur daran gescheitert, dass er schon 1871 den Krieg verlor. All diese Abenteuernaturen in der bürgerlichen Politik sind Exekutoren, und es wäre nicht nur die deutsche, sondern die exekutive Gewalt allgemein einmal auf Freibeutertum zu durchsuchen. In dem Sinne ist Richard Nixon (1913–1994) genauso ein Freibeuter gewesen, wie es teilweise Winston Churchill (1874–1965) war, und eine ganze Garde der bürgerlichen Exekutive hat sich der Personalstruktur nach auf eine Gewalt gestützt, die der gesellschaftlichen Grundlagen eigentlich nicht mehr entsprach.

      Die Judikative ist nun tatsächlich der bürgerliche Anteil an der Beschränkung dieser feudalen Gewalt. Die Gerichte sind jener Anteil allgemeiner Gewalt, gesetzlicher Gewalt, das heißt an Gesetze gebundener Gewalt, den sich das Bürgertum sichern wollte, während die Exekutive immer die Möglichkeit hat, mit Ausnahmegesetzen zu regieren. Auch in der Weimarer Republik bestand durch den Artikel 48 diese Möglichkeit permanent, und die Exekutive war bis heute nie eng auf allgemeine verpflichtende Gesetze begrenzt. Sie definiert sich vielmehr gerade durch ihre Möglichkeit, den Ausnahmezustand zu erklären. Im rechtlichen Bereich aber, in der zweiten Gewalt, hat das Bürgertum ein Stück seiner Macht gesehen. Ja, man kann sogar sagen, dass dieser Bereich auch das Hauptstück der Macht des Bürgertums geblieben ist, insofern als sich in der Durchsetzung der Gesetze, in der Gleichheit vor dem Gesetz, auch die Nebelregion der bürgerlichen Freiheit festgesetzt hat. Das ist gewissermaßen der Himmel des Bürgertums, aus dem die Freiheitsillusionen kommen – die Freiheit des Citoyen, als Rechtsperson Verträge abschließen zu können, die Versammlungsrechte, das öffentliche Recht der Diskussion des Citoyens und so weiter.

      In diesem Bereich hat sich ein substanzielles Selbstverständnis gebildet, während die Legislative, die dritte Gewalt, im gesamten Bürgertum bis heute ein Aschenputtel-Dasein fristet. Sie stand immer unter dem Druck der Erneuerung, weil sich Machtverhältnisse eingespielt hatten, die die Legislative immer auch zu einer bloß akklamativen Instanz reduziert haben. Es gibt so etwas wie eine permanente Abschaffung von Parlamenten in der bürgerlichen Geschichte, die gar nicht mehr auseinandergejagt werden müssen, weil sie längst keine Entscheidungen mehr treffen. Wie das heute noch funktioniert, beschreiben Peter Brückner und Johannes Agnoli in »Die Transformation der Demokratie« (1967). Die Autoren analysieren diesen Transformationsprozess des Parlaments zu Kernspitzen, zu Fraktionen hin, die mit der Exekutive zusammenarbeiten, sodass Parlamentsvorlagen größtenteils abgesichert sind und das Parlament nur akklamiert. Das hat damit zu tun, das werden wir in der späteren Analyse von Kant noch sehen, dass es im Bürgertum einen völlig zwiespältigen und zerfaserten Begriff des Volkes gibt. Was das Volk ist, hat das Bürgertum nie richtig definieren können und ist auch nicht einfach zu bestimmen. Dabei wäre festzulegen, erstens: wer dazu gehört, zweitens: was das Parlament macht und drittens: was es machen würde, wenn es nach eigenem Gutdünken verfahren könnte. Gleichzeitig gibt es eine Fetischisierung und eine Bedrohung durch das Volk. Diese Ambivalenz drückt sich in der Volksinstanz der Legislative aus, im legislativen Apparat, denn wer, wenn nicht das nach bestimmten Merkmalen definierte Volk, sollte darin sitzen? Wie Kant sich bemüht, festzustellen, wer eigentlich ein politischer Bürger ist, ob zum Beispiel der Friseur, der Lohnarbeiter oder ein Hausbediensteter, werden wir noch sehen. Tatsächlich hat er schon Schwierigkeiten, zu definieren, wen man eigentlich zur politischen Verantwortung zulassen kann. Das Volk in der transzendentalen Dimension ist für ihn eine feste Größe, und das kann er auch klar definieren, ob aber ein Friseur zum Volk gehört, das mitbestimmen

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