Otternbiss. Regine Kölpin
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Danach war er anders gewesen. Gelöster. Freier. Er hatte sogar gelacht. Eine Reaktion, die er schon lange nicht mehr gezeigt hatte. Doch jetzt war ihr Sohn verschwunden.
Und die Polizeistation war nicht besetzt. Ihr war, als würden die Gedärme in ihrem Bauch brennen, Angst ihre Kehle zuschnüren. Hatte er doch zu viel von dem Streit mitbekommen und durch seine Fröhlichkeit, die vermutlich gar nicht echt war, nur alles überspielen wollen?
Angelika spürte die Tränen die Wangen hinunterrinnen.
Sie trommelte mit der Faust gegen die Glasscheibe der Eingangstür der Polizei und wusste gleichzeitig, wie sinnlos ein solches Unterfangen war. In diesem Haus befand sich keiner. Sie musste erst zurück in ihre Ferienwohnung gehen und das Handy holen. Sie suchte in ihren Taschen, fand aber weder Stift noch Zettel. Sich unter den gegebenen Umständen die angegebene Telefonnummer einprägen zu wollen, war völlig unmöglich. Sie konnte sich nur die ersten vier Zahlen merken, mehr war nicht drin. Es half nichts. Sie musste umkehren und wiederkommen. Wiederkommen, dröhnte es in ihrem Kopf. Lukas sollte zurückkommen. Sie hoffte einfach, dass er, wenn sie nach Hause kam, brav in seinem Bett liegen würde. Sich vorhin nur versteckt hatte.
»Das hat er schon so oft getan«, sagte sie laut, während sie auf die Straße zurücktrat. »Ja, das hat er schon so oft getan …« Den Gedanken, dass es aber nie so früh am Morgen passiert war, weil ihr Sohn als Morgenmuffel lange brauchte, um zu Späßen aufgelegt zu sein, verdrängte sie. Ihre Schritte beschleunigten sich von Meter zu Meter. Sie würde Lukas gleich zu Hause antreffen, sie war völlig umsonst so in Panik geraten. Er lag bestimmt in seinem Bett, würde sie mit seinen blauen Augen anblinzeln und »Hallo, Mama« sagen. Sie sah schon sein Grinsen. »Hast dich ganz schön erschreckt, was?«
*
Rothko blickte in den Himmel. Der zeigte sich ihm in strahlendem Blau, nur ein paar vereinzelte Wolken zogen behäbig darüber. Sie wirkten wie Schafe und der Kommissar empfand direkt so etwas wie Empathie für sie. Er war auch ein Schaf. Hierher abkommandiert. Er wartete auf die Schlachtbank. Ein bisschen durfte er auf der Insel noch seinen Dienst tun, dann würde man ihm den Todesstoß versetzen.
Eine Kur hatte er beantragt. Weil ihm all die Verbrechen auf die Nerven fielen, weil er keine Lust mehr hatte, sich mit dem Abschaum der Gesellschaft auseinanderzusetzen.
»Für eine Kur reicht es nicht, Herr Rothko. Wir lassen Sie den Frühling und den Sommer auf Wangerooge Ihren Dienst tun. Dann sehen wir weiter. Dort wird Ihnen der frische Wind um die Nase wehen, Ihre negativen Gedanken einfach wegpusten.« Ein breites Grinsen hatte sich über das Gesicht seines Chefs gezogen, bevor er Rothko die übrigen Vorzüge der Insel angepriesen hatte. »Klären Sie den einen oder anderen Fahrraddiebstahl auf. Vielleicht beschäftigen Sie auch ein paar Drogendelikte, da haben Sie dann aber die Kollegen vom Zoll als Unterstützung. Und natürlich Jillrich, Ihren Partner in der Polizeistation. Den Rest der Zeit nutzen Sie für ausgiebige Spaziergänge am Strand.«
Rothko fand im Nachhinein, dass die Stimme seines Vorgesetzten ein wenig spöttisch geklungen hatte.
Er hatte sich nicht gewehrt. Gedacht, so schlecht sei die Idee mit der Insel nicht, und sich in sein Schicksal ergeben. Gleich zu Beginn war er über diese Gedichttafeln in den Dünen gestolpert. Das erste, das er gelesen hatte, war »Manchmal muss einer fortgehen, um allein zu sein mit Himmel und Wasser.« Das hatte er sich zu eigen gemacht und als Startschuss für sein neues Leben betrachtet. Ein ungewöhnlicher Zug an ihm, sonst dachte er nicht in diesen esoterischen Bahnen, war eher nüchtern veranlagt. Aber wenn er schon sein Dasein komplett veränderte, warum dann nicht auch im Denken anders werden?
Eine Woche befand er sich bereits auf Wangerooge. Außer dem bisschen Papierkrieg hatte er tatsächlich nichts weiter zu tun gehabt. Zwischendurch beschlich ihn das Gefühl, er könne es hier wirklich aushalten. Es kam natürlich darauf an, was der Kollege, der hier seinen regelmäßigen Dienst tat, für ein Typ war. Mit dem musste er schließlich eine ganze Weile auskommen. Aber der wohnte unten in seiner eigenen Wohnung. Man konnte sich aus dem Weg gehen.
Ein weiteres Manko war die Kaffeemaschine. Völlig verkalkt spuckte sie eine undefinierbare braune Brühe aus. Ein Gesöff, das er nun wirklich nicht als Kaffee bezeichnen würde.
Immerhin gab es einen funktionierenden Wasserkocher. Im Augenblick trank er Pulverkaffee.
Eine Katastrophe, wenn man dermaßen auf Kaffee fixiert war wie er. Hin und wieder beschlich ihn das Gefühl, es könne ihm doch so etwas wie Sucht anhaften. Aber gab es das? Kaffeesucht? Er schüttelte den Kopf darüber, mit was für Gedanken er sich so den ganzen Tag beschäftigte, wenn er dem Nichtstun ausgesetzt war.
Der Kollege würde morgen aus seinem Urlaub zurückkehren. Bevor der Osteransturm auf die Insel begann, hatten sie ungefähr zwei Wochen, sich aneinander zu gewöhnen. Schlimmer als mit dem Kollegen Kraulke konnte es sicher nicht werden. Kraulke war für Rothko nach wie vor ein rotes Tuch. Er war ihm auf dem Festland im letzten Jahr an die Seite gestellt worden. Sie hatten den Mord an einer Frau aufzuklären gehabt.
Die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach nicht.
Rothko sog die salzige Luft tief in seine Lungen. Allein, dass er diesen Menschen auf dem Festland zurückgelassen hatte, war ein Geschenk. Eines, das selbst den fehlenden Kaffee zur Nebensache degradierte. Seine Frau vermisste er nicht sonderlich, sie hatten sich schon lange nicht mehr viel zu sagen. Sie wollte in drei Wochen kommen. Vielleicht.
Rothko legte den Kopf in den Nacken, erfreute sich jetzt an den weißen Schafen, die gemächlich über den Himmel schwebten. Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, ein Glückspilz zu sein.
Zu seiner Rechten ertönte das laute Hecheln eines Hundes. Dann stoppte etwas neben ihm und im selben Augenblick fühlte er winzige Sandkörner an seinem Unterschenkel. Rothko warf einen Blick auf das Tier. Der Hund war groß und ihm fehlte der Schwanz. Einen solchen Hund gab es nur einmal auf der Insel und er gehörte dem Zollbeamten.
»Moin!« Der Kollege klang etwas gehetzt, vermutlich hastete er schon eine geraume Weile hinter seinem Tier her. »Auch unterwegs?«
Rothko mochte Ubbo Münkenwarf. Sie hatten gleich am ersten Abend ein Bier in Rothkos neuer Wohnung getrunken. »Moin! Bisschen Frischluft tanken. So gemütlich ist meine neue Bleibe ja nicht!« Rothko streichelte dem Hund flüchtig über den Kopf. Der schleckte sofort mit der Zunge über seinen Unterarm.
»Buddy, lass das!«, sagte Ubbo.
Rothko wischte die Hand an der Hosennaht ab und verkniff sich einen Kommentar, zumal sein Kollege gleich weiterredete: »In der Bude bei Ihnen da oben fühlt man sich wie in dem schwedischen Möbelhaus, oder?« Er grinste. »Nur ohne die schöne Deko, die sie da immer noch haben. Aber seien Sie froh, dass Sie noch allein wohnen können. Genießen Sie das!« Der Zollbeamte schob sich die Mütze in den Nacken und strich sich über die Glatze.
Rothkos Gesicht sprach Bände. »Ich freu mich schon, wenn sich das in Kürze ändert und wir zu zweit in der Bude hausen dürfen. Ist genau das Richtige für einen Einzelgänger wie mich.« Die Tatsache, dass er nur vorübergehend allein in der Dienstwohnung wohnen konnte, war der größte Nachteil seiner Versetzung. Zur Hauptsaison, kurz vor Ostern, kam immer ein dritter Kollege auf die Insel und würde zu ihm in die Wohnung ziehen. Er hatte vorsorglich den größten Schlafraum mit