Der Tod in Venedig / Смерть в Венеции. Книга для чтения на немецком языке. Томас Манн

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Der Tod in Venedig / Смерть в Венеции. Книга для чтения на немецком языке - Томас Манн Klassische Literatur (Каро)

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wie Fräulein von Osterloh, eine Pelzboa um den Hals, von einem Gespann zum anderen lief, um Körbe mit Esswaren unter die Sitze zu schieben, wie Doktor Leander, die Pelzmütze in der Stirn, mit seinen funkelnden Brillengläsern noch einmal das Ganze überschaute, dann ebenfalls Platz nahm und das Zeichen zum Aufbruch gab… Die Pferde zogen an, ein paar Damen kreischten und fielen hintüber, die Schellen klapperten, die kurzstieligen Peitschen knallten und ließen ihre langen Schnüre im Schnee hinter den Kufen dreinschleppen, und Fräulein von Osterloh stand an der Gartenpforte und winkte mit ihrem Schnupftuch, bis an einer Biegung der Landstraße die gleitenden Gefährte verschwanden, das frohe Geräusch sich verlor. Dann kehrte sie durch den Garten zurück, um ihren Pflichten nachzueilen, die beiden Damen verließen die Glastür, und fast gleichzeitig trat auch Herr Spinell von seinem Aussichtspunkte ab.

      Ruhe herrschte in „Einfried“. Die Expedition war vor dem Abend nicht zurückzuerwarten. Die „Schweren“ lagen in ihren Zimmern und litten. Herrn Klöterjahns Gattin und ihre ältere Freundin unternahmen einen kurzen Spaziergang, worauf sie in ihre Gemächer zurückkehrten. Auch Herr Spinell befand sich in dem seinen und beschäftigte sich auf seine Art. Gegen vier Uhr brachte man den Damen je einen halben Liter Milch, während Herr Spinell seinen leichten Tee erhielt. Kurze Zeit darauf pochte Herrn Klöterjahns Gattin an die Wand, die ihr Zimmer von dem der Magistraträtin Spatz trennte, und sagte: „Wollen wir nicht ins Konversationszimmer hinuntergehen, Frau Rätin? Ich weiß nicht mehr, was ich hier anfangen soll.“

      „Sogleich, meine Liebe!“ antwortete die Rätin. „Ich ziehe nur meine Stiefel an, wenn Sie erlauben. Ich habe nämlich auf dem Bette gelegen, müssen Sie wissen.“

      Wie zu erwarten stand,war das Konversationszimmer leer. Die Damen nahmen am Kamin Platz. Die Rätin Spatz stickte Blumen auf ein Stück Stramin, und auch Herrn Klöterjahns Gattin tat ein paar Stiche, worauf sie die Handarbeit in den Schoß sinken ließ und über die Armlehne ihres Sessels hinweg ins Leere träumte. Schließlich machte sie eine Bemerkung, die nicht lohnte, dass man sich ihretwegen die Zähne voneinander tat[44] da aber die Rätin Spatz trotzdem „Wie?“ fragte, so musste sie zu ihrer Demütigung den ganzen Satz wiederholen. Die Rätin Spatz fragte nochmals „Wie?“ In diesem Augenblick aber wurden auf dem Vorplatze Schritte laut, die Tür öffnete sich, und Herr Spinell trat ein.

      „Störe ich?“ fragte er noch an der Schwelle mit sanfter Stimme, während er ausschließlich Herrn Klöterjahns Gattin anblickte und den Oberkörper auf eine gewisse und schwebende Art nach vorne beugte… Die junge Frau antwortete:

      „Ei, warum nicht gar? Erstens ist dieses Zimmer doch als Freihafen gedacht, Herr Spinell, und dann: worin sollten Sie und stören? Ich habe das entschiedene Gefühl, die Rätin zu langweilen.“

      Hierauf wusste er nichts mehr zu erwidern, sondern ließ nur lächelnd seine kariösen Zähne sehen und ging unter den Augen der Damen mit ziemlich unfreien Schritten bis zur Glastür, wo er stehenblieb und hinausschaute, indem er in etwas unerzogener Weise den Damen den Rücken zuwandte. Dann machte er eine halbe Wendung rückwärts, fuhr aber fort, in den Garten hinauszublicken, indes er sagte:

      “Die Sonne ist fort. Unvermerkt hat der Himmel sich bezogen. Es fängt schon an, dunkel zu werden.“

      „Wahrhaftig, ja, alles liegt in Schatten“, antwortete Herrn Klöterjahns Gattin. „Unsere Ausflügler werden doch noch Schnee bekommen, wie es scheint. Gestern war es um diese Zeit noch voller Tag; nun dämmert es schon.“

      „Ach“, sagte er, „nach allen diesen überhellen Wochen tut das Dunkel den Augen wohl. Ich bin dieser Sonne, die Schönes und Gemeines mit gleich aufdringlicher Deutlichkeit bestrahlt, geradezu dankbar, dass sie sich endlich ein wenig verhüllt.“

      „Lieben Sie die Sonne nicht, Herr Spinell?“

      „Da ich kein Maler bin… Man wird innerlicher ohne Sonne. – Es ist eine dicke, weißgraue Wolkenschicht. Vielleicht bedeutet es Tauwetter für morgen. Übrigens würde ich Ihnen nicht raten, dort hinten noch auf die Handarbeit zu blicken, gnädige Frau.“

      „Ach, seien Sie unbesorgt, das tue ich ohnehin nicht. Aber was soll man beginnen?“

      Er hatte sich auf den Drehsessel vorm Piano niedergelassen, indem er einen Arm auf den Deckel des Instrumentes stützte.

      „Musik.“, sagte er. „Wer jetzt ein bisschen Musik zu hören bekäme! Manchmal singen die englischen Kinder kleine niggersongs[45], das ist alles.“

      „Und gestern nachmittag hat Fräulein von Osterloh in aller Eile die,Klosterglocken’ gespielt“, bemerkte Herrn Klöterjahns Gattin.

      „Aber Sie spielen ja, gnädige Frau“, sagte er bittend und stand auf. „Sie haben einmal täglich mit Ihrem Herrn Vater musiziert.“

      „Ja, Herr Spinell, das war damals! Zur Zeit des Springbrunnens, wissen Sie.“

      „Tun Sie es heute!“ bat er. „Lassen Sie dies eine mal ein paar Takte hören! Wenn Sie wüssten, wie ich dürste.“

      „Unser Hausarzt sowohl wie Doktor Leander haben es mir ausdrücklich verboten, Herr Spinell.“

      „Sie sind nicht da, weder der eine noch der andere! Wir sind frei… Sie sind frei, gnädige Frau! Ein paar armselige Akkorde.“

      „Nein, Herr Spinell, daraus wird nichts. Wer weiß, was für Wunderdinge Sie von mir erwarten! Und ich habe alles verlernt, glauben Sie mir. Auswendig kann ich beinahe nichts.“

      „Oh, dann spielen Sie dieses Beinahe-nichts! Und zum Überfluss sind hier Noten, hier liegen sie, oben auf dem Klavier. Nein, dies hier ist nichts. Aber hier ist Chopin[46].“

      „Chopin?“

      „Ja, die Nocturnes[47]. Und nun fehlt nur, dass ich die Kerzen anzünde…“

      „Glauben Sie nicht, dass ich spiele, Herr Spinell! Ich darf nicht. Wenn es mir nun schadet?!“

      Er verstummte. Er stand, mit seinen großen Füßen, seinem langen, schwarzen Rock und seinem grauhaarigen, verwischten, bartlosen Kopf, im Lichte der beiden Klavierkerzen und ließ die Hände hinunterhängen.

      „Nun bitte ich nicht mehr“, sagte er endlich leise. „Wenn Sie fürchten, sich zu schaden, gnädige Frau, so lassen Sie die Schönheit tot und stumm, die unter Ihren Fingern laut werden möchte. Sie waren nicht immer so sehr verständig; wenigstes nicht, als es im Gegenteil galt, sich der Schönheit zu begeben. Sie waren nicht besorgt um Ihren Körper und zeigten einen unbedenklicheren und festeren Willen, als Sie den Springbrunnen verließen und die kleine goldene Krone ablegten… Hören Sie“, sagte er nach einer Pause und seine Stimme senkte sich noch mehr, „wenn Sie jetzt hier niedersitzen und spielen wie einst, als noch Ihr Vater neben Ihnen stand und seine Geige jene Töne singen ließ, die Sie weinen machten., dann kann es geschehen, dass man sie weider heimlich in Ihrem Haare blinken sieht, die kleine, goldene Krone.“

      „Wirklich?“ fragte sie und lächelte. Zufällig versagte ihr die Stimme bei diesem Wort, so dass es zur Hälfte heiser und zur Hälfte tonlos herauskam. Sie hüstelte und sagte dann:

      „Sind es wirklich die Nocturnes von Chopin, die Sie da haben?“

      „Gewiss. Sie sind aufgeschlagen, und alles ist bereit.“

      „Nun, so will ich denn in Gottes Namen eins davon spielen“, sagte sie. „Aber nur eins, hören Sie?

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<p>44</p>

Man tat sich ihretwegen die Zähne nicht voneinander – ради этого даже рот было лень открыть

<p>45</p>

niggersongs – Negerlieder; имеет пренебрежительный оттенок

<p>46</p>

Chopin, Frederic – Фридерик Шопен (1810–1849), польский композитор и пианист

<p>47</p>

Nocturne, n = Notturno, n – ноктюрн