„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. Huthmacher

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„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher

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soziale Auseinandersetzungen, die in der Reformation und im (Deutschen) Bauernkrieg gipfelten, waren der Ausdruck stark divergierender gesellschaftlicher Entwicklungen und wurden auf den unterschiedlichsten (realen wie ideologischen) Schlachtfeldern ausgetragen; insofern scheint es berechtigt, von einer „frühneuzeitlichen Revolution“ zu sprechen, welche die späteren großen Revolutionen der Neuzeit (wie die französische oder russische) antizipierte. (Dass diese „großen Revolutionen“ letztlich gar keine wirklichen Umstürze, sondern – im Interesse des Kapitals und der herrschenden bourgeoisen Schicht inszenierte und – ebenso wohl bedachte wie trefflich gelungene Täuschungen mit einem immensen Blutzoll waren, sei hier nur am Rande erwähnt.)

      Die Akteure des benannten Gesellschafts-Spiels (mit ernstem Hintergrund und fatalen Folgen, jedenfalls für die unterlegenen „Player“) waren Adel und Klerus, Landes- und Feudalherren, letztlich auch Papst und Kaiser, waren Kirche und Großkapital (man denke an die Medici und an die Fugger, Welser und Rehlinger: „Marktwirtschaft, Kapitalismus, Globalisierung, alles, was sich heute durchgesetzt hat, entstand in ersten Ansätzen im Europa des Mittelalters. Handelsdynastien wie die Fugger waren europaweit aktiv – auch mit Beste- chungsgeldern für Kaiser und Fürsten“), Akteure dieses Spiels um Herrschaft und Macht, um Pfründe und Lehen, um Reichtum und Armut, um all die Versatzstücke des langsam aufblühenden Kapitalismus´ und seiner Globalisierung, d.h. der Wirtschaftsform, die im Neoliberalismus der Jetzt-Zeit ihren (vorläufigen?) Höhepunkt gefunden hat, Akteure dieses „Gesellschaftsspiels“, das im Laufe der Jahrhunderte, Millionen und Abermillionen von Menschenleben gekostet hat und bei dem die Frontlinien immer wieder verschoben und neu festgelegt, bei dem Bündnisse geschlossen und gebrochen wurden, bei dem das Großkapital (zu Luthers Zeiten beispielsweise die Fugger, im ersten Weltkrieg exempli gratia die Krupps) beide Seiten des Konflikts bedienten, Akteure dieses weltweiten und (anscheinend oder doch nur scheinbar?) immerwährenden „Spektakulums“ waren, seinerzeit, auch die Bauern. Als unterdrückte Schicht. Und Luther. Der – vordergründig, bei nicht näherem Hinsehen – gegen diese Unterdrückung Stellung bezog. Mit seinen 95 Thesen.

      Der realiter jedoch die Interessen der Fürsten vertrat. Gegen das päpstliche Finanzgebaren. Gegen den Ablasshandel, welcher die Kassen der Kirche füllte und den Bau des Petersdoms finanzierte.

      Der, Luther, mit eben diesen Thesen die gravamina nationis germanicae, die Beschwerden der deutschen Fürsten gegen den Papst und die römische Kurie unterstützte, und zwar gegen das Konkordat (von 1448) zwischen Papst (Nikolaus V.) und Kaiser (Friedrich III.), das gegen den Willen der Reichsstände zustande gekommen war; insofern stellen die Gravamina auch einen Protest gegen den Kaiser und dessen Willkür dar, sind sie ein Statement für eine Verschiebung der Macht zugunsten der Fürsten.

      „Und Summa, Sünde hebt Obrigkeit und Gehorsam nicht auf, aber die Strafe hebt sie auf, das ist, wenn das Reich und die Kurfürsten einträchtiglich den Kaiser absetzten, daß er nimmer Kaiser wäre“, so Luther (s. zuvor). Im Sinne einer Emanzipation der Fürsten gegenüber dem Kaiser. Im Sinne der Gravamina.

      Und in diese Sinne (gegen papsttreue [Kirchen-]Fürsten und namentlich gegen Papst und Kurie) sind die lutherschen Thesen, namentlich die Thesen 20 bis 95 zu verstehen: Luther vertrat die Interessen seiner weltlichen Herren gegen die seiner kirchlichen Oberen. Und nicht die Belange der einfachen Leute (d.h. der Bauern, Handwerker und Bürger, ggf. auch der kleinen, zunehmend verarmenden Adeligen) gegen die Obrigkeit. Insofern war es, von Anfang an, ein Missverständnis der benachteiligten Schichten, Luther als den Sachwalter ihrer Interessen zu betrachten.

      Summa summarum konnte Luther mit seinen 95 Thesen an die (Miss-)Stimmung – auch vieler Mächtiger, nicht nur des „gemeinen“ Volkes – gegen Papst und Kirche anknüpfen; auch ohne die Protektion seines Landesfürsten (Friedrich von Sachsen) wäre Luthers Risiko kalkulierbar gewesen. Die Reformbedürftigkeit der Kirche und ihrer Verfasstheit war seit langem ein offenes Geheimnis; Luthers Wagnis, den vorhandenen Reformstau anzusprechen, war somit nicht allzu groß (und umso geringer, wenn man unterstellt, ihm sei von Seite seines Landesherrn signalisiert worden, man werde seine schützende Hand über ihn halten: Auch Friedrich der Weise hatte kein Interesse daran, dass die Gelder aus dem Ablasshandel nicht im Lande blieben, sondern nach Rom flossen).

      Es ist gleichwohl das Verdienst Luthers, dass durch seine theologische Grundsatzkritik das allgemeine Unbehagen an der Kirche und deren Missständen systematisch strukturiert, formuliert und propagiert wurde: Bereits Ende 1520 waren 82 seiner Schriften oder Schriftensammlungen in insgesamt mehr als 600 Auflagen erschienen; bei einer durchschnittlichen Auflagenzahl von 1000 Exemplaren hatte „man“ noch vor seinem Auftritt auf dem Wormser Reichstag (1521) weit mehr als eine halbe Million Luther´scher Schriften unter das Volk gebracht. Jeder, der damals lesen konnte (und Unzählige mehr, denen die Invektiven gegen Papst und Kirche vorgelesen wurden), dürfte die Schriften Luthers somit bereits wenige Jahre nach dem Zeitpunkt (Oktober 1517) gekannt haben, den man heutzutage mit dem Beginn der Reformation gleichsetzt.

      Wobei zu fragen bleibt, wer den Propaganda-Feldzug bezahlt hat – sicherlich nicht Luther, der als Mönch nie und nimmer über die finanziellen Mittel verfügte, die horrenden Kosten für ein solches Großprojekt aufzubringen! Heutzutage – quod est annotandum – wäre dies sicherlich eine Angelegenheit von George Soros und eine Aufgabe für seine Open Society Foundations. Ober bist Du anderer Meinung, Liebste?

      Jedenfalls kamen Luthers (vordergründig) theologische Überlegungen und Ausführungen nur deshalb zum Tragen, weil sich gesellschaftliche, politische und auch wirtschaftliche Interessen sowohl der herrschenden Schicht als auch des „gemeinen Volkes“ mit der neuen evangelischen Lehre und deren Ablehnung des Papsttums und des weltlichen Herrschaftsanspruchs der Kirche deckten; deshalb nahmen breite Bevölkerungsschichten auch (wiewohl zu Unrecht) an, Luther vertrete ihre Interessen.

      Indes: Nein, und nochmals nein. Luther war am gemeinen Volke nicht interessiert. Er vertrat die Interessen der Fürsten gegen die der Kleriker. Denn das Hemd war ihm näher als der Rock. Und der Papst in Rom war ebenso weit weg wie es später die Zaren in Moskau waren. Deshalb legte er sich mit seinen weltlichen Oberen ins Bett. Nicht mit den kirchlichen. Gleichwohl: Hure bleibt Hure.

      Die Macht des Kaisers und namentlich die des Papstes war – salopp formuliert – im Sturzflug begriffen; nach Karl V. wurde nie mehr ein Kaiser durch einen Papst gekrönt, nicht zuletzt als Folge der Reformation und ihrer Neuordnung der (seinerzeit aufs engste miteinander verbundenen) kirchlichen und weltlichen Machtverhältnisse und Herrschaftsstrukturen.

      Und Luther, seinerseits, legte nach: In der zweiten Hälfte des Jahres 1520, also nach der Bannandrohungsbulle Exsurge Domine und noch vor der eigentlichen, weitestgehend wirkungslos gebliebenen, im Übrigen bis zum heutigen Tage nicht aufgehobenen Bannbulle Decet Romanum Pontificem, erscheinen drei seiner berühmtesten Schriften: An den christlichen Adel deutscher Nation, De captivitate Babylonica ecclesiae (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche) und Von der Freiheit eines Christenmenschen.

      In ihnen wird die Kirche „als ein dicht gefügtes, nahezu perfektes Herrschaftssystem“ dargestellt, der Papst erscheint als der von der Bibel verheißene Antichrist schlechthin.

      Die politisch brisanteste Schrift (der zuvor genannten) war sicherlich An den christlichen Adel deutscher Nation; innerhalb nur weniger Tage waren die 4.000 Exemplare der ersten Auflage vergriffen.

      Weil – derart das Narrativ – die korrupte Geistlichkeit zu überfälligen Reformen (namentlich Erziehung und Bildung sowie die sozialen Probleme der Zeit betreffend) nicht imstande sei, müssten sich, so Luther, kirchliche Laien, zuvorderst der Adel und die Fürsten, den anstehenden Aufgaben stellen: Der Papst – und nun lässt Luther die Katze aus dem Sack – solle seiner weltlichen Macht entbunden, ein nationales Kirchenwesen (ohne Mönchtum und ohne Zölibat der Priester) solle errichtet werden; alle Gläubigen seien Priester und gleich dem Papst imstande und berechtigt, die Heilige

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