Bruder Brahim II. Michael Ibrahim
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Ähnliche Angstzustände könnte man heute bei streng religiösen Christen erzeugen, wenn man behauptet, dass Jesus gar nicht gekreuzigt wurde. Der Quran sagt nämlich in Sure 4 Vers 157:
[…] sie sagten: „Gewiss, wir haben Jesus, den Sohn Marias, den Gesandten Allahs getötet.“ - Aber sie haben ihn weder getötet noch gekreuzigt, sondern es erschien ihnen so.
Der letzte Satz wird von den meisten muslimischen Gelehrten so ausgelegt, dass ein anderer gekreuzigt wurde, der Jesus ähnlich sah, wie etwa Simon von Sirene, der auch in den ersten christlichen Überlieferungen erwähnt wird.
Auch wenn man die Aussage des Quran ablehnt, so bleibt die kürzlich veröffentlichte These des Frankfurter Historikers Johannes Fried, mit der er die Christen in seinem Buch Kein Tod auf Golgatha [12]. Er behauptet, dass Jesus durch seine Verletzungen während der Geißelung nur einen Scheintod erlebt habe und nach seiner Genesung im kühlen Grab nach Indien zu den verlorenen Schafen Israels gehen können. Heutige medizinische Kenntnisse sollen ergeben haben, dass Jesu Lunge teilweise voll Wasser lief, wodurch er eine Art CO2-Hypnose erlitt. Ausgerechnet der Lanzenstich soll dazu beigetragen haben, dass das Wundwasser abfloss und er langsam wieder zu sich kommen konnte. Für mich als Muslim stellt diese Theorie überhaupt kein Problem dar, zumal es in Kaschmir in Indien tatsächlich ein Haus gibt, von dem die Leute behaupten, dass Jesus darin gewohnt habe. Vielleicht wird es eines meiner nächsten Reiseziele, damit ich die Energie an diesem Ort spüren und sie vergleichen kann, mit der Energie, die ich als Kind immer gefühlt habe, wenn Jesus in mir präsent war.
Viele strenggläubige Muslime kann man schon mit Mohamed-Karikaturen oder Kritik am Quran so wütend machen, dass sie bereit wären, gewalttätig zu werden. Dies hat sich 2011 gezeigt, als auf das französische Satire-Magazin Charlie Hebdo ein Brandanschlag verübt wurde, eben weil es Karikaturen veröffentlicht hatte, welche viele Muslime zutiefst verletzten. Obwohl im Arabischen das Wort Dschihad so etwas wie Anstrengung bedeutet, sehen gerade strenggläubige Muslime darin einen Auftrag, alles, was sie als Gotteslästerung ansehen, aus der Welt zu schaffen, und notfalls dabei über Leichen zu gehen. In ihren Augen greift man die Basis ihrer Existenz und Würde an.
Ich persönlich finde, dass es auch bei solchen Gotteslästerungen keine Rechtfertigung für die religiös motivierte Selbstjustiz gibt, weil keine Lästerung das Göttliche, so wie ich es erfahren und im letzten Band dargestellt habe, in irgendeiner Weise verletzen oder schmälern kann.
Es ist auch in deren Weltbild widersprüchlich, denn dem Göttlichen allein obliegt es zu richten und den Todesengel7 zu entsenden, der für diese Aufgaben zuständig ist.
Eine andere Quelle für Aggression ist angestauter Frust und Ignoranz. Wenn man selbst von sich und vom Leben gelangweilt ist, wächst der Frust von Tag zu Tag und es steigt das Risiko, dass sich die Energie staut und sich plötzlich einen Weg bricht. Hier hilft es nur, einen Weg einzuschlagen, bei dem man nicht stehen bleibt, sondern man sich aktiv öffnet, um zu suchen, sich vom Leben verzaubern zu lassen und Weisheit zu erlangen. Diese Ursache lässt sich einfacher beheben als das Feststecken in einem überkommenen Paradigma. Im Kapitel 3 werde ich darauf noch näher eingehen.
Welch starke Gefühle es in den Menschen entfesselt, wenn man ihr Paradigma zerstört, kann man also auch in unserer angeblich so aufgeklärten und säkularisierten Welt noch beobachten. Nicht zuletzt erkennt man dies auch an dem aktuellen Rechtsruck in vielen Nationen, mit dem Menschen sich erhoffen, ihr lange gekanntes Paradigma zu erhalten und jegliche Veränderung zu verhindern. Aber der Weise erkennt, dass dies nicht in unserer Hand liegt und man die Entwicklung nicht anhalten kann. Die Argentinier drücken es so aus:
Vivir es cambiar! - Leben bedeutet Veränderung!
1.6 Die Kriege der Gegenwart
Bei meinen vielen Aufenthalten in Brasilien und dem langen Aufenthalt in Argentinien, die ich in Band I ausführlicher geschildert habe, stieß ich immer wieder auf Erinnerungen aus den Militärdiktaturen in diesen Ländern. Im Regierungsviertel in Buenos Aires erinnern die Madres de la Plaza de Mayo an die ca. 30.000 in den Jahren 1976-1983 Verschwundenen, die Desaparecidos, die ihre Männer und Söhne waren. Jede der Frauen hat ihre eigene traurige Geschichte zu erzählen, die nicht in Vergessenheit geraten soll, auch wenn sie schon lange nicht mehr daran glaubt, dass sie jemals erfahren wird, was damals passiert ist. Mich hat das sehr betroffen gemacht, diese Frauen mit dem weißen Kopftuch und den Bildern ihrer Lieben im stummen Protest um den Platz kreisen zu sehen.
Auch in Brasilien gab es in den 60ern instabile Zeiten, als sich die Nachfolger von J. Kubitschek, nämlich die Präsidenten da Silva Quadros und Goulart darin versuchten, die Wirtschaft zu stabilisieren und sich aus der Abhängigkeit von den USA zu befreien. Wie es die freigegebenen Dokumente aus dem National Security Archive der USA belegen, half im Jahre 1964 die CIA im Auftrag von Präsident L. Johnson den brasilianischen Präsidenten aus dem Amt zu putschen und eine Militärregierung zu installieren [13]. Kein Wunder, dass ich bei allen Aufenthalten gespürt habe, dass auch die Südamerikaner nicht gut auf die USA zu sprechen sind. Die Militärdiktatur dauerte in Brasilien bis ins Jahr 1985. Aber immerhin wurden die Greueltaten unter den Präsidenten Lula da Silva und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff aufgearbeitet, so dass im Abschlussbericht aus dem Jahre 2014 Täter und Opfer benannt werden konnten.
Auch in Europa gab es noch Ende des Jahrtausends eine Serie von Kriegen auf dem Balkan, die den Zerfall des damaligen Jugoslawien zu Folge hatten. Es handelte sich um den 10-Tage-Krieg in Slowenien (1991), den Kroatienkrieg (1991-1995), den Bosnienkrieg (1992- 1995), den kroatisch-bosniakischen Krieg (1992-1994) im Rahmen des Bosnienkriegs, den Kosovokrieg (1999) und den albanischen Aufstand in Mazedonien (2001). Auch im Verlauf dieser Kriege wurden Massaker verübt sowie Menschen gequält und verschleppt. Hier folgte eine Aufarbeitung, in der hauptsächlich serbische Generäle wie etwa Milosević vom UN-Kriegsverbrechertribunal wegen Völkermords angeklagt wurden. Im Juli 1995 wurde an 8000 muslimischen Bosniaken das sog. Massaker von Srebrenica unter dem Kommando von Ratko Mladić und anderen Kommandeuren trotz Anwesenheit von Blauhelmsoldaten verübt. Es sind nicht die einzigen Massenverfolgungen von Muslimen in der jüngsten Geschichte. Zu nennen wäre noch der Genozid an den Rohingya in Myanmar 2017, bei dem 24.000 Muslime getötet und tausende von Frauen vergewaltigt wurden. Außerdem traf es die Uiguren in China, von denen zwischen 120.000 und 3 Mio. in Umerziehungslagern inhaftiert sind, weil sie mit der rigiden Politik der chinesischen Regierung nicht einverstanden waren. Doch noch heute schockt mich die Tatsache, dass es zu dieser Zeit schon moderne Medien und Friedenstruppen gab und dies alles trotzdem in Europa möglich war.
Wenn man heute im Urlaub auf dem Balkan unterwegs ist, kann man sich kaum mehr vorstellen, dass dort noch vor zwanzig Jahren ein Krieg tobte. Und leider kam ich mit den Menschen dort nicht tief genug ins Gespräch, so dass sie ihre authentischen Erinnerungen hätten teilen können. So bleiben nur die Bilder der Tagesschau vor zwanzig Jahren, die an diesen Krieg erinnern.