Träumen. Gottfried Wenzelmann

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Träumen - Gottfried Wenzelmann

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und szenisch verdichtet. Was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder fühlen, kann im Traum aufgegriffen und verstärkt werden.

      Schließlich bemerkt Ulrich Kühn in seiner These, dass Träume eine „Symbolisierung von Emotionen“ darstellen. Träume lassen sich als Gesichter unserer Gefühle und der mit ihnen verbundenen Kräfte verstehen. Sie sind Gefühle in (bewegten) Bildern. Von daher gilt: Begegnen wir unseren Träumen, so begegnen wir der Tiefe unseres Lebens, weil Gefühle Lebendigkeit und Tiefe in unser Leben bringen.

      Träume sind ein Spiegelbild des Träumers; sie geben ihm ungeschminkt Einblick in sein Leben mit seinen häufig unverarbeiteten Erlebnissen. Sie geben Einblick in die Tiefenschichten unserer träumenden Persönlichkeit. Häufig führen sie vor Augen, was wir im Alltag vermeiden, was an konflikthaften Erlebnissen unverarbeitet geblieben ist oder wo wir einer einseitigen Lebensweise verfallen sind. Manchmal deuten sie auch zukünftige Lebensmöglichkeiten an, weisen auf ungenutzte Potenziale hin und unterstützen uns dabei, zu einem ganzheitlicheren Leben zu finden. Sie können mahnen oder warnen. So findet sich in Träumen beides: Auf der einen Seite Schreckliches und Gefahrvolles und auf der anderen Seite Schönes und Erfreuliches, was mit unseren Sehnsüchten und Wünschen zu tun haben kann. Sie können uns helfen, auf der psychologischen Ebene tiefer zu unserer Wahrheit zu finden und innerlich mehr ganz, mehr heil zu werden. So sind sie eine Art innerer Begleiter auf unserem Entwicklungsweg der Reifung.

      Mit dem allem liefern Träume den Träumenden so etwas wie einen „Diskussionsbeitrag“4 des Unbewussten, der vom Bewusstsein aufgegriffen werden kann. Somit tragen sie zu einer vertieften Selbsterkenntnis bei, um möglicherweise unsere Lebensorientierung zu korrigieren. Das Spezielle dieses Diskussionsbeitrages besteht darin, dass er im Traum in einer Bildsprache präsentiert wird. Diese Bilder wollen verstanden werden. Und dazu bedarf es der Deutung. Die Frage der Traumdeutung ist entscheidend für die Frage danach, was Träume den Träumenden zu sagen haben.

      Vor dem Hintergrund der soeben skizzierten psychologischen Zusammenhänge wird verständlich, warum Reinhold Ruthe und Lydia Ruthe-Preiss etwas überspitzt formulieren können: „Wer nicht träumt, lebt gefährlich.“5 Die Botschaft der Träume will im Leben der Träumenden aufgenommen und dadurch fruchtbar werden. Unter psychologischem Gesichtspunkt ist Ortrud Grön nur zuzustimmen, wenn sie sagt: „Träume können eindeutig sein oder so vielschichtig, dass sie kaum dechiffrierbar erscheinen. Nur eines sind sie nicht: bedeutungslos.“6 Und es wäre mehr als schade, wenn sie von den Träumenden ungehört und in ihrer wachstumsfördernden Dynamik ungenutzt blieben.

      1.2 Einführung zum seelsorglichen Umgang mit Träumen

      Oben habe ich die psychologische Dimension angesprochen, die auf das Unbewusste verweist. Nun muss die zweite Dimension in den Blick kommen, nämlich die theologisch-seelsorgliche.

      Vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens könnte man sich ja fragen: Warum sollen wir uns überhaupt mit unseren nächtlichen Träumen befassen, wo es Christen doch um Gott und sein Wort in der Bibel gehen sollte? Gibt es für Menschen, die im christlichen Glauben leben und Jesus Christus nachfolgen wollen, nichts Dringlicheres zu tun als sich mit ihren Träumen zu befassen? Oder anders gefragt: Gilt das, was im Hinblick auf Träume bisher gesagt wurde, nur für diejenigen, die dem christlichen Glauben fernstehen? Man könnte sich dabei auch auf Jeremia 23,25 f. berufen, wo der Prophet sich kritisch gegenüber den königstreuen Propheten äußert, die sich bei ihren Prophetien auf ihre eigenen Träume beriefen: „Mir hat geträumt, mir hat geträumt.“

      Es geht bei diesen Überlegungen also um die Frage, ob, und wenn ja, wie Gott als Autor des Traumbriefes zu verstehen ist: Lässt er den Traum in einem „unmittelbaren Eingriff“ entstehen und was würde das für die Interpretation von Träumen bedeuten? Oder wirkt er irgendwie nur „teilweise“ bei der Traumentstehung im Unbewussten mit und was würde das dann für die Arbeit mit Träumen bedeuten? Weil dieses Buch primär vom seelsorglichen Umgang mit Träumen handelt, möchte ich auf die Frage eines geistlich begründeten Umgangs mit Träumen bereits an dieser Stelle ausführlicher eingehen.

      Ich beginne mit der These, dass ein spezifisch seelsorglicher Ansatz im Umgang mit Träumen unter dem Anspruch steht, in zweierlei Hinsicht sachgerecht zu sein:

      Er hat auf der einen Seite im Hinblick auf psychologische Einsichten zur Traumdeutung sachgerecht zu sein. Die Arbeit mit Träumen in der Seelsorge hat die psychologische Forschung nicht nur als notwendiges Übel zur Kenntnis zu nehmen, sondern verantwortlich einzubeziehen und fruchtbar zu machen. Immer wieder begegnet einem in der Praxis eines seelsorglichen Umgangs mit Träumen, die psychologische Deutungshilfen einbezieht, die Meinung: Das ist doch nur „psychologischer Kram“. Mit diesem Urteil im Hinterkopf würde sich ein Christ den Bezug zu einem psychologisch sachgerechten Umgang mit Träumen verstellen.

      Auf der anderen Seite hat ein seelsorglicher Ansatz des Umgangs mit Träumen auch im Hinblick auf das Zentrum des christlichen Glaubens sachgerecht zu sein. Es wäre unangemessen, wenn bei einer seelsorglichen Bearbeitung von Träumen der Gottesbezug als „frommes Zeug“ praktisch ausgeklammert werden müsste. Ein Christ würde sich dann unkritisch an die Psychologie – egal welcher Schule – verkaufen.

      Für einen im dargelegten Sinne doppelt sachgerechten Ansatz bietet sich das Zentrum des christlichen Glaubens an, nämlich der dreieinige Gott. Gehen wir diesem Geheimnis nach und betrachten es im Hinblick auf den seelsorglichen Umgang mit Träumen:

      Der erste Glaubensartikel im apostolischen Glaubensbekenntnis formuliert: „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Die gesamte Schöpfung wird hier als aus dem Willen Gottes entsprungen begriffen. Dazu gehört auch der Mensch. In diesem Sinne beginnt Martin Luther seine Erklärung zum ersten Glaubensartikel mit den Worten: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat …“ Und Luther entfaltet in der Fortsetzung: „… mir Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält …“ Wir können unter dem Gesichtspunkt unseres Themas diesen Gedanken dahingehend entfalten, dass Gott uns mit unserem Unbewussten geschaffen hat. Auf diesem Hintergrund wäre es befremdlich, wenn er mit unseren Träumen nichts zu tun hätte. Er hat uns die Fähigkeit mitgegeben zu träumen und uns damit verstehend zu beschäftigen. Und Gott hat den Menschen den Auftrag gegeben, sich „die Erde untertan“ (1. Mose 1,28) zu machen. Zu diesem Auftrag gehört das weite Feld der Wissenschaft, auch der psychologischen Wissenschaft. Unter diesem Auftrag kann der Christ offen mit Einsichten der Psychologie – auch denen der Traumforschung – umgehen. Das gilt auch für wissenschaftliche Einsichten, die von Forschern ohne Gottesbezug herausgefunden wurden, sofern sie innerhalb der wissenschaftlich gegebenen Grenzen bleiben. Die psychologische Wissenschaft kann zum Wesen des Menschen unter dem Gesichtspunkt seines Gottesbezugs nichts sagen. Mit dem Gesagten eröffnet sich dem christlichen Glauben vom ersten Glaubensartikel her die Freiheit, sich psychologische Erkenntnisse für den seelsorglichen Umgang mit Träumen fruchtbar zu machen.

      Der zweite Glaubensartikel spricht das Bekenntnis zu „Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn“ aus. Im Tod Jesu für uns am Kreuz wird der Zustand der Welt und des Menschen unter der Sünde offenbar. Sünde ist Trennung von Gott. Der Mensch und die ganze Welt sind von dieser Trennung betroffen und leben im Aufstand gegen den lebendigen Gott. Von diesem Aufstand ist der Mensch in allen seinen Dimensionen betroffen, also in seiner physischen, psychischen und spirituellen Dimension. Auch die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Arbeit ist von der Macht der Sünde bedroht; das gilt auch für die psychologische Wissenschaft. Auch die Fähigkeit des Menschen zu träumen wird immer wieder in diesen Sog der Trennung von Gott hineingezogen. Es gibt keinen Bereich im Menschen, der nicht von der Sünde betroffen wäre. Es ist eine in manchen christlichen Kreisen beliebte Denkfigur, das innerste Selbst, das sich aus dem Unbewussten in Träumen meldet, als einen göttlichen Kern zu betrachten.

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