Träumen. Gottfried Wenzelmann
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Der zweite Glaubensartikel eröffnet zugleich mit dem Blick für die Sünde die Realität der Erlösung durch Jesus Christus. In seiner Auferweckung hat er die Macht der Sünde überwunden. Diese Realität hat heilvolle Konsequenzen für den Umgang mit Träumen. Der Mensch ist nicht auf die physischen oder psychischen Spuren der Sünde festgelegt. Das gilt zum einen für die selbst vollzogenen Sünden der Träumenden. Zum Beispiel weisen Träume immer wieder auf destruktive Haltungen der Träumenden sich selbst oder anderen gegenüber hin. Zum anderen weisen Träume ebenfalls immer wieder auf erfahrene Sünden der Träumenden hin, die sie von anderen her betreffen und unter denen sie zu leiden haben. Sehr eindrücklich zeigen das Träume, die mit traumatischen Erfahrungen in Verbindung stehen. Wenn im Traum solche Zusammenhänge ans Licht kommen, dann können sie mit der Erlösung durch Jesus Christus in Verbindung gebracht werden. Wo in Träumen Hinweise auf Sünde mit falschen Einstellungen oder Handlungen sich selbst oder anderen gegenüber auftauchen, können sie vor Jesus Christus gebracht werden und so zu einem Weg der Umkehr führen. Wo Träume den Träumer auf durch andere erlittene Sünden und deren Folgen hinweisen, können diese Zusammenhänge – häufig in einem längeren Prozess – in die heilende Gegenwart des auferstandenen Christus gebracht werden. Das Traumgespräch bekommt daher unter dem Blickwinkel des zweiten Glaubensartikels einen realistischen Blick für die von der Sünde geprägten Zusammenhänge sowie für die vergebende, heilende und erneuernde Gegenwart des auferstandenen Gekreuzigten.
Im dritten Glaubensartikel bekennt sich die Gemeinde Jesu zum Heiligen Geist. Der Geist Gottes ist der uns gegenwärtig zugewandte und diese Welt erneuernde Gott. Er ist Gott, der auch unsere verborgenen Tiefen gestaltet. Das betrifft die seelsorgliche Arbeit mit Träumen in verschiedener Hinsicht:
Zum einen rechnen Glaubende damit, dass der Heilige Geist bis in das Unbewusste hineinwirkt. Wann und wie das geschieht, steht nicht in der Verfügung der Träumenden oder derer, die die Traumarbeit begleiten. Es ist jedoch immer wieder zu erleben, dass Träume in bildhafter Weise so etwas wie einen Abdruck des Wirkens Gottes durch seinen Heiligen Geist darstellen. Es gibt kein „christliches Unbewusstes“. Wir haben mit allen Menschen, auch mit denen, die nicht an Gott glauben, das Unbewusste gemeinsam. Wenn jedoch ein Mensch sein Leben ihm ganz anvertraut, dann vertraut er sich auch mit seinem Unbewussten dem lebendigen Gott an. Hier wird deutlich, dass Gott der Heilige Geist sich in seinem Wirken auf Gott den Schöpfer rückbezieht, dass also der dritte Glaubensartikel auf den ersten bezogen ist. Unter diesem Gesichtspunkt gibt auch der dritte Glaubensartikel eine Freiheit im Umgang mit Einsichten der Psychologie zur Traumdeutung.
Ferner ist dem Artikel über den Heiligen Geist das ganze Gebiet der Offenbarungsträume zugeordnet. Es gibt ernst zu nehmende Berichte von Offenbarungen Gottes in Träumen. Darauf wird im Abschnitt 6.6 eingegangen.
Der Bezug auf den Heiligen Geist setzt zugleich eine Grenze im Hinblick auf einen selbstherrlichen Umgang mit Träumen. Das Wirken des Heiligen Geistes ist nicht machbar. Hier sind die Menschen, die sich auf Gottes Geist verlassen, radikal (= an die Wurzel gehend) vom lebendigen Gott abhängig. Die Begrenzung, die mit dem Bezug auf den Heiligen Geist gegeben ist, macht eine prinzipielle Leugnung der Wirksamkeit Gottes in Träumen unmöglich. Wenn dies von psychologischer Seite her geschähe, müsste das klar als Grenzüberschreitung psychologischer Kompetenz bezeichnet werden.
Weiter können diejenigen, die als Christinnen und Christen Träume in der Traumarbeit einbringen, und diejenigen, die sie zu bearbeiten helfen, mit aktuellen Impulsen des Heiligen Geistes für das Verständnis von Träumen rechnen. Das kann sich zum Beispiel unspektakulär darin ereignen, dass sich in einem Gespräch, in dem der Heilige Geist einbezogen wird, bei einem zunächst unverständlich erscheinenden Traum eine überraschende Klarheit zeigt. Oder es kann durch den Heiligen Geist zu einem deutlichen inneren Eindruck kommen, den ein Ratsuchender oder Begleiter als deutendes Reden Gottes zum Verstehen eines Traumes erlebt.
Schließlich kann der Heilige Geist bewusst erbeten werden, wenn es darum geht, die Einsichten und Hinweise eines Traumes im praktischen Lebensvollzug umzusetzen. Der Heilige Geist bewirkt immer wieder durch Träume Prozesse der Heiligung und Verwandlung in denen, die Jesus nachfolgen. Dieser Zusammenhang wird uns noch im Abschnitt 6.5 ausführlicher beschäftigen.
Fassen wir den Ertrag der theologisch-geistlichen Begründung für das geistliche Verstehen von Träumen und die Verwendung psychologischer Einsichten im seelsorglichen Umgang mit ihnen zusammen:
– Die Begründung ist mit dem Glauben an den dreieinigen Gott gegeben. Gott der Schöpfer hat den Menschen mit dem Unbewussten geschaffen. Er hat ihm die Fähigkeit zu träumen geschenkt. Das schenkt uns die Freiheit, psychologische Einsichten zur Traumdeutung in die seelsorgliche Begleitung einzubeziehen.
– Jesus Christus schenkt mit seiner Erlösung einen nüchternen Blick für die Realität der Sünde sowohl in einer sich selbst überhöhenden Wissenschaft als auch in Träumen. Und er öffnet die Tür zu Heilung, Verwandlungsprozessen und zur Vergebung.
– Der Heilige Geist bezieht sich auf Gottes Schöpfung, wozu auch das Unbewusste und die Träume gehören, und hilft, sie im Sinne der Heiligung aufzugreifen und zu leben. Der Heilige Geist kann darüber hinaus auch Offenbarungsträume schenken, die ein rein psychologisches Verstehen von Träumen übersteigen.
Vor dem Hintergrund des soeben Dargelegten ist nun eine theologisch begründete anthropologische Standortbestimmung möglich. Mit der Grafik versuche ich sie anschaulich zu machen.
Die Abbildung versucht, die Verbindung (und Unterscheidung) der psychischen Verfasstheit des Menschen bei gleichzeitiger Bezogenheit auf die Realität Gottes (und der Sünde) im Hinblick auf einen seelsorglichen Umgang mit Träumen zu veranschaulichen:
Der kleinste Kreis stellt das Bewusstsein dar, also das, was sich im Laufe der Entwicklung an Ich-Bewusstsein entwickelt hat. Das Unbewusste umgibt das Bewusstsein als ein größeres Ganzes.7 Zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten besteht ein vielschichtiges Verhältnis von wechselseitiger Beeinflussung. Vielschichtige Eindrücke des täglichen Lebens erreichen das Unbewusste, und umgekehrt kommen Impulse aus dem Unbewussten ins Bewusstsein. Der Doppelpfeil weist auf diesen wechselseitigen Austausch hin. Man kann nun sagen, dass die Träume an der Grenze zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten angesiedelt sind. Sie greifen in ihrer Bildwelt Eindrücke des Bewusstseins auf und gestalten sie vom Unbewussten her in spezifischer Weise um.
Das Ich-Bewusstsein und das Unbewusste werden von der Realität Gottes und von der Realität der Sünde umgriffen, in der Grafik mit einem hellen und einem dunkelgrauen Ring symbolisiert. Beide Realitäten stehen in Verbindung mit dem Bewusstsein und dem Unbewussten und wirken auf sie ein; diese Verbindung deuten die gestrichelten Pfeile an. Der helle Ring umgreift den dunkelgrauen: Die Realität Gottes und seine Erlösung überwinden die Realität der Sünde, auch wenn damit die Sünde noch nicht endgültig bedeutungslos geworden ist. Der helle Ring, der den dunkelgrauen umfasst, soll die Wahrheit des paulinischen Wortes aus Römer 5,18 darstellen: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.“
Freilich ist bei dieser Darstellung eine Abgrenzung nötig: Wenn in der grafischen Darstellung die Realität der Sünde von der Realität Gottes umschlossen dargestellt ist, soll damit nicht gesagt werden, dass das Böse und der Böse in Gott selbst hineingenommen sind. Diese Vermischung von Gut und Böse in Gott wird von Carl Gustav Jung und seiner Schule vertreten; darauf wird in Abschnitt 6.4.1 bis 6.4.6 näher eingegangen. Eine solche Vorstellung entspricht nicht dem biblischen Denken. Ihr soll durch die grafische Darstellung nicht Vorschub geleistet werden; darin liegt eine Grenze der Darstellung. Hier geht es lediglich um die