Träumen. Gottfried Wenzelmann
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So können Träume in der seelsorglichen Begleitung eine wichtige Hilfe sein, den roten Faden im (geistlichen) Leben zu finden, zeigen sie doch häufig sehr eindrücklich und einprägsam, wo die Seele der Ratsuchenden steht und was für sie in den Blick zu nehmen ist. Immer wieder ermöglichen Träume beeindruckende Einblicke in das Wesen eines Menschen und zeigen sich dabei in ihren Urteilen als unparteiische Quelle der Information über den Zustand der Seele. Sie weisen ebenso auf Wachstum und Verwandlung wie auf Stillstand und ungesunde Orientierung der Träumenden hin. Es zeigt sich, dass unter geistlichem Gesichtspunkt Gotteserfahrung und Selbsterfahrung zusammengehören; beides ist zwar zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Sehr treffend bemerkt in dieser Richtung Ulrich Kühn: „Zum ganzheitlichen Glauben gehört demnach, auch das einzubeziehen, was unbewusst ist und etwa durch Träume bewusst werden kann. Ganzheitlich glauben heißt für mich, den verdrängten und abgespaltenen Teilen der Persönlichkeit zu begegnen und – wenn sie ins Bewusstsein drängen – sie nicht länger abzuwehren.“8 Wenn ich offen bin für das, was meine Träume anzeigen, werden sich immer wieder beide Erfahrungsweisen von psychischer Befindlichkeit und geistlicher Realität miteinander verbinden. Das, was ich wahrnehme, will an der Hand Gottes aufgenommen und ausgehalten werden – auch dort, wo es Unangenehmes und Unheiles in mir betrifft. Dieser ehrliche Blick auf sich selbst ist umschlossen vom liebevollen Anblick Gottes, der ohnehin weiß, was in mir alles schlummert. Zugleich gilt: Träume zwingen uns nichts auf und sie legen uns nicht negativ fest. Sie sind eine gute Gabe Gottes auch dort, wo sie uns zu einer nüchternen Selbsterkenntnis aufrufen. Indem wir sie annehmen, helfen sie uns zu geistlichem und menschlichem Wachstum.
2.
Exkurs in die Schlafforschung und Neurobiologie der Träume
Die menschliche Fähigkeit zu träumen ist psychophysisch hochkomplex. Es ist ebenso interessant wie hilfreich, sich einige grundlegende Zusammenhänge dieses Geschehens klarzumachen. Ich bin kein Spezialist in neurologischen Fragen. Deshalb werde ich mich mit den neurobiologischen Zusammenhängen nur so weit befassen, wie es mir für den Zusammenhang dieses Buches relevant erscheint.9
2.1 Ein Blick auf die Schlafforschung
In den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts hat die Traum- und Schlafforschung entdeckt, dass der nächtliche Schlaf sich in Rhythmen vollzieht. In regelmäßigen Abständen treten Schlafphasen mit raschen Augenbewegungen, die sogenannten REM-Phasen (Abkürzung für rapid eye movement) auf. Im REM-Schlaf zeigt sich im Gehirn eine hochfrequente Aktivität, die der im Wachzustand ähnelt. Deshalb bezeichnet man diese Schlafphase auch als „paradoxen Schlaf“. Während des REM-Schlafs ist eine vollkommene Entspannung der Muskulatur festzustellen mit Ausnahme der Atem- und Augenmuskulatur. Auf diese Weise kann die hohe Aktivität im Traumgeschehen nicht unbeabsichtigt in Körperbewegungen umgesetzt werden.
Die REM-Phasen, die zehn bis 60 Minuten dauern können, werden von den sogenannten Non-REM-Schlafphasen unterschieden. Ein gesamter Schlafzyklus, der beide Phasen umfasst, dauert ca. 90 Minuten. In der ersten Nachthälfte dominieren der Tiefschlaf-, gegen Ende der Nacht die REM-Phasen. Die Non-REM-Schlafphasen sind von unterschiedlich tiefem Schlaf gekennzeichnet. Mit zunehmender Schlaftiefe sinkt in der Non-REM-Phase die Herzfrequenz ab. Die Schlafforschung hat inzwischen festgestellt, dass wir sowohl in REM-Phasen als auch in Non-REM-Phasen träumen, dass die Träume in den beiden Phasen jedoch eine deutlich andere Qualität haben: Während Träume in der REM-Phase lebendig, bildhaft, emotional und häufig mit dem Vorherrschen des Visuellen verbunden sind, erscheinen Träume in der Non-REM-Phase kürzer, rationaler und logischer aufgebaut. Letztere sind dem Wachdenken ähnlicher.
Zu Testzwecken wurden Schläfer über mehrere Nächte hinweg konsequent geweckt, wenn das EEG (Elektroenzephalogramm) den Beginn eines Traumes anzeigte. Dabei zeigte sich: Wird eine Person über längere Zeit am Träumen gehindert – wohl gemerkt am Träumen und nicht am Schlafen –, treten bei Tage zunächst Ängste, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, bei längerer Traumverhinderung dann Bewusstseinsstörungen und Halluzinationen auf. Die Testpersonen wurden mehr und mehr depressiv. Die Gefahr, bei einem Verkehrs- oder Arbeitsunfall zu verunglücken, stieg um das 2,5-Fache. Nach etwa spätestens sieben Nächten mit andauerndem Traumentzug erfolgte ein totaler seelischer Zusammenbruch, dem Zustand einer Psychose vergleichbar. Ohne eine lebensbedrohliche Gefährdung der Versuchspersonen zu riskieren, ließ sich das Experiment nicht fortsetzen.
Weiter konnte festgestellt werden, dass diese Personen nach Beendigung der Testphase in den Nächten nach dem Traumentzug eine vermehrte Traumaktivität aufwiesen; in den ersten Nächten stiegen die Traumphasen von vorher 19 auf 28 Prozent. Die Versuchspersonen verschafften sich also, vereinfacht formuliert, so etwas wie einen Ersatz für die in der Nacht zuvor gestohlenen Träume.
Diese Versuche machen auf eindrückliche Weise deutlich, dass die Traumtätigkeit einen Sinn haben muss. Sie ist eine psychische Notwendigkeit für eine Bewusstseinsklarheit im Wachzustand. Allgemeiner gefasst: Körperliches Ausruhen im Schlaf und Träumen sind nicht dasselbe. Das Träumen ist unerlässlich für die Aufrechterhaltung des seelischen Gleichgewichts. Das gilt selbst dann, wenn die Träume nicht erinnert werden können.
2.2 Der neurobiologische Hintergrund von Träumen
Machen wir uns nun noch einige neurobiologische Zusammenhänge klar, die die Traumforschung herausgefunden hat:
Wir wissen heute, dass der Wach- und der Schlafzustand von zwei verschiedenen Gehirnzentren gesteuert werden, die beide im Hirnstamm, dem ältesten Teil des Gehirns, lokalisiert sind. Im Wachzustand ist das Wachzentrum aktiv. Es bewahrt uns, solange es aktiv ist, vor dem Einschlafen. Solange dies geschieht, haben wir auch Zugang zu unserer Motorik. Im Schlafzustand dominiert das Schlafzentrum. Im Schlaf bestehen andere neuronale Verbindungen zwischen einzelnen Hirnregionen und -funktionen als im Wachzustand. Dies möchte ich jetzt skizzieren, weil diese neurobiologischen Einsichten helfen können, ein vertieftes Verständnis für die Bedeutung von Träumen zu erschließen. Am Träumen sind nach Michael Ermann10 verschiedene Regionen des Gehirns beteiligt:
– Das Frontalhirn, also das Stirnhirn: Hier befindet sich in der weißen Substanz oberhalb der Augenhöhlen ein Bündel von Nervenfasern, von dem aus die Traumtätigkeit durch Ausschüttung der Überträgersubstanz Dopamin in den übergeordneten Hirnregionen ausgelöst wird. Diese Substanz motiviert das, was ganz allgemein als Begehren, also die Libido, bezeichnet werden kann. Die Region des Frontalhirns kann man als Motivationssystem bezeichnen.
– Die beiden seitlichen Partien des Gehirns oberhalb der Ohren, die Temporallappen: Hier befindet sich die Region, in der Wahrnehmungen zu Gedanken und Erinnerungen weiterverarbeitet und wieder abgerufen werden können. Sie gelten als das Gedächtnis- und Wahrnehmungssystem.
– Das Zwischenhirn im Innern, das den Hirnstamm mit dem Neuhirn (der Hirnrinde) verknüpft: In dieser Region sind vornehmlich der Hippocampus, der die Form eines Seepferdchens hat, und die Amygdala, der Mandelkern, an der Gestaltung von Träumen beteiligt, die zum Beispiel für die Affektivität in Träumen zuständig sind. Man kann auch von einem Emotionssystem sprechen.