Träumen. Gottfried Wenzelmann
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Für die Traumtheorie und -praxis ergibt sich vor diesem grundlegenden Hintergrund Folgendes: Die Gestalttherapie geht davon aus, dass Träume existenzielle Botschaften für die Träumenden bereithalten, die es verstehen zu lernen gilt. Alle Einzelheiten des Traums verkörpern Teile des Selbst, in denen Perls zum einen die unvereinbarten und sich widersprechenden Seiten, zum andern die nicht gelebten und verdrängten Persönlichkeitsanteile sieht, die das Ich bisher verleugnet und vermieden hat. So zeigt der Traum, was der Träumer in seinem Alltag zu leben vermeidet. Die sich widersprechenden und verleugneten Anteile projiziert das Ich des Träumers nach außen und nimmt sie nicht als Teil von sich selbst wahr.
Im Zuge gelingender Traumarbeit geschieht eine zunehmende Auflösung dieser Projektionen. Das Ich soll dabei wieder heimholen, was in seiner Fragmentierung verloren gegangen war. Perls war bestrebt, den Träumer zum unmittelbaren Erleben des Trauminhaltes zu führen, um auf diese Weise die Botschaft des Traumes zugänglich zu machen. Indem der Traum erfahrungsmäßig zugänglich gemacht wird, soll er seine Kraft in der Korrektur und Erweiterung des Lebens entfalten. Noch unverbundene Persönlichkeitsanteile warten seiner Theorie nach darauf, in der Verarbeitung des Traummaterials miteinander verbunden zu werden.
Dazu sind folgende vier Punkte in der Arbeit mit Träumen erforderlich:
Identifizieren,
Ausspielen,
Auseinandersetzen,
Integrieren.
Mit diesen vier Schritten soll der Traum nicht zuerst theoretisch reflektierend angegangen werden, sondern er soll für den Träumer zu einem existenziellen Ereignis werden. Der Träumer soll dafür selbst aktiv werden. Mit diesen Schritten setzt der Träumer seinen Traum in Szene. Dabei werden Blockaden erlebt und prozesshaft gelöst. Im Darstellen und Nacherleben jeder Traumgestalt kann der Träumer diesen Gestalten begegnen, das Abgespaltene integrieren und zur seelischen Stärkung finden. Die Traumarbeit als Selbsterfahrung im Dienst seelischer Gesundheit und Stabilität führt den Träumer mehr und mehr zu seiner Ganzheit.
Die Gestalttherapeutin Brigitte Holzinger zeigt sehr konkret, wie bei dieser Therapie in der Traumarbeit vorgegangen wird17:
„1) Wir fordern den Patienten auf, den Traum in der Ich-Form, in der Gegenwart zu erzählen, als ob der Traum gerade passieren würde.
2) Als zweiten Schritt machen wir den Patienten zum Bühnenregisseur: Mach dir doch bitte eine Bühne für deinen Traum zurecht. Sprich bitte als die Traumfigur in der Gegenwart, als ob der Traum jetzt, im Hier und Jetzt, geschehe. Nimm der Reihe nach alle Rollen der Personen und Gegenstände ein, die in deinem Traum vorkommen. Erzähle, was du erlebst und wie dir in diesen Rollen zumute ist.
3) Als dritten Schritt zentrieren wir zwei Traumfiguren, die den Hauptkonflikt verkörpern.
4) Der Träumer spricht in der Gegenwart aus, was sein Kontrahent zu ihm vorher im Rollenspiel gesagt hat, in seinem jeweils angebrachten Alter, in der ihm angemessenen Sprache. Er spricht in der Ich-Form: … Die Rollenspiele werden fortgesetzt, bis der verbale Ausdruck sich mit dem empfundenen Gefühl deckt und der Erzähler […] dessen gewahr wird.
5) Was sich als Hauptgefühl herauskristallisiert hat, wird der Situation angemessen ausgedrückt und mit der Therapeutin anschließend besprochen.“
Wie ist die gestalttherapeutische Traumtheorie F. Perls zusammenfassend zu beurteilen?
Wer sich auf diesen Ansatz mit den eigenen Träumen einlässt, wird zu einer sehr tief gehenden Begegnung mit sich selbst geführt. Dabei wird der träumenden Person nichts von außen übergestülpt. Die Erschließung der Träume geschieht aus dem Inneren heraus.
Außerdem kann ein Traum mit der gestalttherapeutischen Methodik sehr differenziert und detailreich angeschaut werden. Der Traum kann sich hierbei sehr ausführlich „aussprechen“ und seine Botschaft differenziert mitteilen. So können beim Träumer Wandlungsprozesse in Gang kommen.
Als Grenze sind folgende Aspekte zu nennen:
– Träume werden zu einseitig als Problemanzeiger verstanden. Das in ihnen enthaltene Potenzial kommt zu kurz. Häufig ist der in das weitere Leben des Träumers weisende, der so-genannte final-prospektive Aspekt ein möglicher wichtiger Entwicklungshinweis.
– Außerdem ist die Stärke des gestalttherapeutischen Umgangs mit Träumen zugleich auch seine Schwäche: Wer einen Traum mit dieser Methodik bearbeiten will, benötigt sehr viel Zeit. In der Praxis steht diese oft gar nicht zur Verfügung. Von daher wird diese Methodik in der Praxis nur mehr partiell zum Einsatz kommen, ohne die Möglichkeit, sie in extenso anzuwenden.
3.5 Was aus der Vielzahl der traumtheoretischen Ansätze für die Praxis der Traumdeutung erfolgen kann
Am Ende des kleinen Überblicks über verschiedene Traumtheorien – und dieser Überblick ließe sich problemlos noch erweitern – stellt sich die Frage: Welche Theorie und Deutungsmethode erfassen den Traum richtig?
Doch diese Frage ist falsch gestellt. Sie führt in die Irre, weil mit der Frage nach Richtig und Falsch eine Exklusivität der einzelnen Theorien herbeigeführt wird. Wird die einzelne Theorie mit einem Anspruch vertreten, der den anderen Theorien ihre Berechtigung nicht zugestehen kann, entstehen Probleme, die sich ohne einen solchen Anspruch nicht ergäben. Es gibt nicht die allein richtige Methodik. Ann Faraday hat sicher recht, wenn sie pointiert sagt: „Keine Theorie kann für sich allein der Fülle von Träumen gerecht werden …“18 Welche Probleme durch einen massiven Exklusivitätsanspruch entstehen, hat der Bruch zwischen Sigmund Freud und Carl Gustav Jung gezeigt; die geradezu dogmatisch anmutende Position Freuds hat diesen Bruch unausweichlich gemacht.
Wir haben bei den oben skizzierten vier Traumtheorien jeweils Stärken und Schwächen betrachtet. Die Traumtheorien mit ihrer unterschiedlichen Methodik können sich ergänzen. In der Praxis zeigt sich, dass Träume mit verschiedener Methodik zugänglich gemacht werden können. Traumtheorie und Methodik sollen zum Traum passen und nicht umgekehrt. Entscheidend ist allerdings nicht eine bestimmte Methodik, sondern die Erschließung des Traums für den Träumer, sodass es bei ihm zu einem Aha-Erlebnis und durch das Verstehen des Traumes zu (im Kontext des christlichen Glaubens geistlichen) Wandlungsprozessen kommt.
Bei der Beantwortung der oben gestellten Frage kommt hinzu, dass in der Handhabung der Traumdeutung der Subjektivität eine legitime Rolle zukommt: Das gilt für die Subjektivität sowohl der Person, die therapeutisch oder seelsorglich begleitet, als auch für die der träumenden Person. Beide haben ihre eigene Prägung und Ausbildung. Beide stehen vor der Aufgabe, einen Weg zum Traumverständnis zu finden, der ihnen jeweils am angemessensten erscheint. Für Therapeuten und Seelsorger ist entscheidend, dass ihr Umgang mit den Träumen in die gesamte Behandlungskonzeption – für den Seelsorger kommt hier der Glaube ins Spiel – integriert ist. In der Seelsorge hat dieser Umgang dem Ratsuchenden, dem