Die Königin der Tulpen. Christian Macharski

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Die Königin der Tulpen - Christian Macharski

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Königin der Tulpen – die bist du!

       8

      Montag, 13. Juli, 19.13 Uhr

      Bernd Bommer hatte den Ball in vollem Lauf aus der Luft angenommen. Er führte ihn so eng am Fuß, als würde er daran festkleben. Mit einem eleganten Schlenker ließ er den ersten Gegner aussteigen. Dann ein Übersteiger, gefolgt von einer lässigen Rechts-links-Kombination, und der nächste Gegner rutschte ins Leere. Jetzt hatte er nur noch zwei Verteidiger vor sich, die ihm frontal entgegenkamen, um ihn in die Zange zu nehmen. Bommer wartete, dann legte er sich den Ball auf die Hacke und katapultierte ihn von hinten über sich hinweg, um ihn hinter den beiden verdutzten Verteidigern wieder aufzu nehmen. Jetzt gab es nur noch ihn und den Torwart. Er lief auf ihn zu und sah die Angst in dessen Augen. Noch drei Meter, dann würde er abziehen, noch zwei Meter, noch einen. Er holte aus – und plötzlich flog von der Seite ein gestrecktes Bein wie ein Dumdumgeschoss gegen sein rechtes Knie. Das Knie verdrehte sich, Bommer wirbelte herum und für endlose Sekunden, in denen er sich in der Luft zu befinden schien, wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Dann schlug er hart mit dem Hinterkopf auf dem grobkörnigen Aschenplatz auf. Wie durch einen Nebel sah er nur noch aus der seitlichen Froschperspektive Trainer Karl-Heinz Klosterbach wild gestikulierend mit seiner Trillerpfeife auf den Platz laufen. Dann verlor er das Bewusstsein.

      Er wurde wieder wach durch einen Schwall Wasser, der ihm aus einem Eimer frontal ins Gesicht geschüttet worden war. Er hatte keine Ahnung, wie lange er weg gewesen war. Ein paar Minuten mussten es gewesen sein, denn er sah, dass Klosterbach mit hochrotem Kopf auf Richard Borowka einredete. Der schrie nicht weniger erregt zurück. Die ganze Mannschaft stand im Halbkreis um die beiden Streithähne herum. Dann erschien auf einmal das Gesicht von Fredi Jaspers direkt vor Bommers Nase. Er sah ihm direkt in die Augen. „Hallo Bernie, da bist du ja wieder.“ Fredi stand auf. Er hielt den leeren Eimer noch in der Hand. Er rief zu den anderen hinüber: „Herr Klosterbach. Der Bernd ist wieder da.“ Klosterbach und Borowka hörten auf zu streiten. Der Trainer kam mit seinen breiten O-Beinen auf Bernie zu. So langsam nahm dessen Wahrnehmung wieder Konturen an. Er wollte aufstehen, doch ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Scheiße, mein Knie, dachte er. Als er danach tastete, spürte er eine tennisballgroße Beule oberhalb vom Schienbein. Er setzte sich benommen auf.

      Klosterbach kniete sich neben ihn. „Hallo Bernie. Schön, dass du wieder wach bist. Bleib mal liegen. Wir haben der Doktor Frentzen angerufen. Der hat gesagt, der kommt gleich raus und macht dir eine Zypresse.“

      „Kompresse.“

      „Was?“

      „Egal. Was ist überhaupt passiert?“

      Klosterbach sah kopfschüttelnd zu Borowka auf, der sich neben ihm aufgebaut hatte. „Unser Richard ist etwas übermotiviert zur Sache gegangen.“

      Borowka hob entschuldigend die Arme. „Spielen wir jetzt Fußball oder Mau-Mau?“

      Klosterbach stand auf und sah ihm direkt in die Augen. Zornig funkelte er ihn an. „Richard! Es gibt ein Unterschied zwischen Verteidigen und vorsätzliche Körperverletzung. Auch wenn beides mit ,F‘ anfängt.“

      Bommer betrachtete sein wild pochendes Knie. Jetzt verstand er und wurde auf der Stelle wütend. Vom Boden aus brüllte er Borowka an: „Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist doch nur ein Trainingsspiel.“

      Borowka trat einen Schritt nach vorne. „Was denn? Ist hier Zwergenaufstand, oder was? Hat der Spacko jetzt auch schon was zu melden? Der Typ ist gerade mal seit zwei Monate dabei und schon fangt ihr alle an zu heulen, wenn der mal in ein Zweikampf umfällt.“

      Bommer machte mit der Hand eine Scheibenwischerbewegung und schüttelte den Kopf. „Zweikampf?! Ich glaub, ich spinne.“

      Borowka fuhr ihn an: „Halt die Fresse, du Vollhorst. Sonst gibt es hier gleich Fratzengeballer.“

      Klosterbach packte ihn hart am Arm. „Jetzt reicht’s, Richard. Beruhig dich mal. Ich würde sagen, du kannst duschen gehen. Und am Mittwoch bleibst du erst mal zu Hause. Vielleicht kühlst du dich dann wieder was ab.“

      Borowka war wie vor den Kopf geschlagen. „Ist das dein Ernst?“

      Fredi machte einen Schritt auf ihn zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah ihn vorwurfsvoll an. „Der Trainer hat recht. Das war Scheiße, was du eben gemacht hast.“

      „Ich glaub’s nicht, Fredi. Jetzt fällst du mir auch noch im Rücken.“ Wütend zog er sich seine Kapitänsbinde vom Arm und warf sie den anderen Mitspielern vor die Füße. „Macht euren Scheiß doch alleine. Und du“, er zeigte mit dem Finger auf Bommer, der immer noch auf dem Boden saß und sein Knie rieb, „du musst mal schwer aufpassen, oder hast du schon mal versucht, mit gebrochene Finger deine Zähne aufzusammeln?“ Es musste sich um eine rhetorische Frage gehandelt haben, denn ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Borowka wütend davon.

      Fredi rief ihm hinterher: „He, warte, du musst mich doch gleich noch mit nach Hause nehmen.“

      Borowka drehte sich um, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. „Fahr doch mit dein neuer Freund nach Hause.“ Dann verschwand er in der Umkleidekabine.

       9

      Montag, 13. Juli, 19.58 Uhr

      Käthe Thönnissen hatte sich gerade in ihren Sessel gesetzt, um die Tagesschau einzuschalten, als es an ihre Apartmenttür klopfte. Sie drehte sich zur Seite und ihre Arthrose meldete sich schmerzhaft. Wenn sie den ganzen Tag auf den Beinen gewesen war, fühlte sie sich abends noch älter, als sie ohnehin schon war. Mit dünner Stimme rief sie: „Ist offen.“

      Dieter Brettschneider, der Leiter des Altenheims, steckte den Kopf zur Tür rein. „Klopf, klopf, Frau Thönnissen.“ Er betrat schwungvoll das Zimmer. „Ich wollte mal sehen, wie es Ihnen geht.“

      Sie sah ihn an und bewegte den Kopf hin und her. „Na ja, es geht so.“

      „Frau Thönnissen. Nicht so bescheiden. Sie sehen aus wie das blühende Leben. Unkraut vergeht nicht, oder?“ Er lachte schallend. Dann blieb er eine Weile unmotiviert im Raum stehen.

      Frau Thönnissen war sich nicht sicher, ob er darauf wartete, dass sie ihm einen Platz anbot. Aber sie hatte keine Lust dazu. Sie wollte einfach nur ihre Ruhe haben. „Ist sonst noch was, Herr Brettschneider?“

      „Ja, wie soll ich sagen?“ Er rieb sich nachdenklich am Kinn und begann im Zimmer auf und ab zu wandern. „Ich frage mich die ganze Zeit, was denn wohl der Kommissar von Ihnen wollte.“

      Sie sah ihn verwundert an. „Er hat meine Zeugenaussage aufgenommen. Warum?“

      Die Antwort schien ihm nicht zu genügen. „Was haben Sie ihm denn gesagt?“

      Die alte Frau zuckte mit den Schultern. „Alles, was ich gesehen habe. Aber ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht, Herr Brettschneider.“ Sie sah ihn streng an.

      Er ignorierte ihren Blick und sagte: „Ach ja?“ Dann kniete er sich mit einer schnellen Bewegung direkt vor ihren Sessel. Er stützte seine Ellenbogen auf ihre knochigen Knie, die zum Teil von ihrem Bademantel verhüllt waren. Dann übte er einen starken Druck auf die Beine aus. Frau Thönnissen zuckte zusammen, die Druckstellen schmerzten und sie sah instinktiv zu ihrem Bett, neben dem der rote Alarmknopf prangte.

      Brettschneider

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