Vermailt. Anja Nititzki

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Vermailt - Anja Nititzki

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war kaputt. Er kam nach der Reparatur mehrfach zu mir und wollte mir einreden, dass er eine Zange in meiner Dusche vergessen habe. Ich verneinte, also rief er immer wieder bei mir an und fragte, was ich denn heute trage. Es war schlimm. Ein Freund half mir und ging ans Telefon: „Wenn du noch einmal anrufst, dann schneide ich ihn dir ab!“ Danach war Ruhe. Ich vergesse das nicht.

       Betreff: Re: Was trägst Du?

      Datum: 14. 08. 2012, 09 : 14:11

      Davon hatte ich ja keine Ahnung, das tut mir sehr leid! Anna, ich liebe Deine Energie, Deine Ausstrahlung. Ist das besser?

       Betreff: Fragen

      Datum: 14. 08. 2012, 09 : 18:43

      Ja, viel besser, Roger. Darf ich Dich etwas fragen? Ich meine, bevor wir uns treffen. Ich will noch einiges wissen.

       Betreff: Re: Fragen

      Datum: 14. 08. 2012, 09 : 20:00

      Ja, Anna. Du darfst mich alles fragen. Nur zu!

       Betreff: Aw: Fragen

      Datum: 14. 08. 2012, 09 : 20:59

      Wo und wie hast Du eigentlich Deine Haare gelassen? Ich habe noch nie einen Mann ohne Haare getroffen.

       ***

       Betreff: Elbe-Nazi

      Datum: 15. 08. 2012, 09 : 29:56

      Mit fünfzehn hatte ich noch Haare. Wo heute meine Glatze in der Sonne glänzt, wippten damals dunkelblonde Locken. Ich hatte sie mir abschneiden und die übrigen Stoppeln schwarz färben lassen. Übrig ließ ich einen kleinen, schmalen Zopf am Hinterkopf, der aussah wie ein Korkenzieher. Das war damals revolutionär, sah sicher albern aus und es provozierte meinen Klassenlehrer. Meine „Westler-Frisur“ erschüttere die sozialistische Schule in ihren Grundfesten! Er hatte wohl zu viel Westfernsehen geschaut und die Haarmode des Klassenfeindes studiert. Er sorgte dafür, dass ich keine Zulassung zum Abitur bekam.

      Starre und sinnlose Regeln fordern meinen Widerspruchsgeist heraus, dagegen kann ich nichts machen. Mit der Mauer fielen dann auch meine Haare, wobei da kein unmittelbarer Zusammenhang bestand.

      Einmal wurde mir meine Glatze zum Verhängnis. Ich war auf „Heimaturlaub“ in Dresden, kurz nachdem die Mauer gefallen war und ich dem Frieden langsam traute, fuhr ich zurück, um ein paar Sachen zu holen. Damals lieferten sich Linksautonome und Rechtsradikale, wir nannten sie „Antifas“ und „Faschos“, gelegentlich Kämpfe auf der Straße. Die Linken fürchteten wohl, dass die Nazis durch die Wiedervereinigung wieder Land gewinnen könnten. Deshalb wurden auch nicht in Rudeln auflaufende, einsam am Elbufer spazierende Männer mit Glatzen bereits als Bedrohung empfunden. Ich hörte die Antifas schon von weither grölen. Sie hatten Bier und Spaß und die Idee, einen freilaufenden, wenn auch nur vermeintlichen Fascho wie mich zu verprügeln, ihm auf die Glatze zu hauen. Panik machte sich in mir breit, als der Lärm immer näher an mein Ohr drang. Sie haben nicht versucht, sich leise anzuschleichen, nein, sie polterten von hinten an mich heran. Ich wusste, dass ich den Linken nicht zu erklären brauchte, dass meine Glatze nicht gewollt, sondern mir gegen meinen Willen einfach zugefallen war. Ich verspürte nackte Angst. In meiner Verzweiflung begann ich zu laufen, zu rennen. Die lallende Meute war erstaunlich fit, trotz Alkoholkonsums oder gerade deshalb. Sie waren mir auf den Fersen, immer dichter. Ich hatte Angst um mein junges Leben.

      Ich hatte Glück im Unglück, denn ich war auf der Uferseite unterwegs, von der aus man auf Dresdens prächtige Altstadt blicken kann. Die Uferseite, von der aus die Touristen bis heute die schönsten Postkartenfotos machen. Der Einstieg ins Wasser ist dort seicht, nicht steil und mit Mauern befestigt wie gegenüber.

      In meiner Panik stürzte ich mich ins kalte Elbewasser. Es war furchtbar, denn es war Winter, trotzdem sprang ich. Das Ufer war steinig, Geröll. Ich stolperte in die Elbe und versuchte mich in Ufernähe treiben zu lassen, ich hatte Angst, von dem breiten Fluss erfasst und davongetragen zu werden. Aber alles war besser, als von besoffenen Linken aus Dummheit gekillt zu werden.

      Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Ich trieb schnell einige hundert Meter voran. Die Antifas blieben grölend am Ufer stehen und freuten sich über meinen feuchten Abgang. Einen gefühlten Kilometer weiter konnte ich mich ans Ufer retten. Unversehrt. Mir war nur furchtbar kalt. Aber das war besser als alles, was mir bevorgestanden hätte, wenn ich nicht in die Elbe gegangen wäre.

      „Oben ohne“ zu leben war für mich also manchmal ein Problem. Jetzt nicht mehr. Was ist mit Deinem Haar? Ist das Rot echt?

      Ich habe noch nie eine Frau mit roten Haaren getroffen.

       ***

       Betreff: Re: Elbe-Nazi

      Datum: 16. 08. 2012, 08 : 31:54

      Ja, meine Haarfarbe ist echt. Das Rot war durchaus konform mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Als Kind wurde ich oft gehänselt. Man nannte mich „Pumuckl“, wie den kleinen Kobold aus einer Kinderfilmserie, oder „Duracell“, wie die Batterie mit dem Kupferkopf. Die gab es in unseren dünn bestückten Geschäften im Osten freilich nicht zu kaufen, wie Du sicher noch weißt. Die Kinder hatten sich aber im Westfernsehen gründlich über die Produktvielfalt in unserem kapitalistischen Nachbarland informiert und sofort mit meiner Haarfarbe in Verbindung gebracht.

      Meine Zulassung zum Abitur sollte aber nicht an Haarspalterei scheitern, sondern daran, dass ich mich weigerte, meinen monatlichen FDJ-Beitrag zu entrichten. Dreißig Ostpfennig waren mir schlichtweg eine zu große Investition in die Freie Deutsche Jugend.

      Ich wurde bekehrt. Es wäre doch schade, wenn ein Arbeiterkind wie ich nicht studieren könne wegen dreißig Pfennigen.

      Nach dem Abitur färbte ich meine Haare grün. In der Grünphase meines Lebens fühlte ich mich alternativ. Ich trug schwarze Lumpen und war militant gegen alles. Jetzt bin ich nur noch ich.

      Nächste Frage: Rauchst Du? Ich nicht. Hier kommt meine Geschichte zum Rauchen: Ich hab es nur ein einziges Mal versucht. Eine Verzweiflungstat. Eine Geschichte, für die ich mich schäme, ich erzähl sie Dir trotzdem: Ich war schwer verliebt. Der Angebetete besuchte mich, um nie wiederzukommen, und er rauchte dabei. Das durfte er in meiner Nichtraucherwelt. Ich war so süchtig nach seinen Lippen, dass ich seine alten Kippen aufgeraucht habe, nachdem er weg war. Das ist peinlich. Es ist etwa fünfzehn Jahre her. Wie konnte ich mich nur so sehr erniedrigen. Ich habe nie wieder eine Zigarette angerührt und ihn auch nicht.

       ***

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