Das Familienleben der Tiere. Mario Ludwig
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Albatrosse versus Killermäuse
Midway, ein winziges Atoll, das einsam mitten im Pazifik, weit entfernt von allen Kontinenten, etwa auf halbem Weg zwischen Kalifornien und Japan liegt, hat nicht nur für die US Navy und die US Airforce als Stützpunkt eine überragende Bedeutung, sondern beherbergt auch eine der größten Albatroskolonien weltweit. Rund 70 Prozent aller Laysanalbatrosse und immerhin fast 40 Prozent aller Schwarzfußalbatrosse brüten auf den drei kleinen Inseln des Midway-Atolls. Seit ein paar Jahren bedroht jedoch eine stetig wachsende Schar kleiner, ungewöhnlicher tierischer Killer die Vogelidylle auf Midway: Hausmäuse, die dort die um ein Vielfaches größeren Seevögel angreifen und töten.
Eigentlich handelt es sich bei Mäusen um Allesfresser, die sich hauptsächlich von Samen, anderer pflanzlicher Nahrung und ab und an auch von ein paar Insekten ernähren. Das änderte sich jedoch schlagartig 2015. In diesem Jahr konnten Wissenschaftler erstmals beobachten, dass Mäuse Albatrosse, und zwar sowohl Küken als auch erwachsene Tiere, attackierten.
Die Wissenschaft vermutet, dass der Wandel der Mäuse von mehr oder weniger friedlichen Allesfressern zu Vogelkillern möglicherweise mit einer schweren Dürreperiode zusammenhängt, die Midway im Jahr 2015 heimgesucht hat. Da es damals nur ausgesprochen wenig Trinkwasser auf den Inseln gab, haben die Mäuse möglicherweise nach trinkbaren Alternativen gesucht und sind dabei beim Blut der Seevögel fündig geworden. Offensichtlich wurde diese Angewohnheit beibehalten und auch an die Jungtiere tradiert.
Die Attacken erfolgen stets mit System und einem gehörigen Maß an Brutalität. Die Mäuse klettern nachts auf den Rücken der schlafenden Vögel, wo sie unerreichbar für den scharfen Schnabel ihrer Opfer sind und beißen dann solange zu, bis Blut zu fließen beginnt. Einige Vögel wurden sogar bei lebendigem Leib aufgefressen.
Insgesamt haben die Mäuse bisher über 1000 Albatrosse getötet. Viele andere erlitten zum Teil schwere Verletzungen oder haben aufgrund der Mäuseattacken ihre Nester aufgegeben. Langfristig gesehen sind die Albatrospopulationen auf Midway massiv bedroht, da sich zum einen die Mäuse massiv vermehren und zum anderen Albatrosse über keine hohe Fortpflanzungsrate verfügen. Ein Albatrosweibchen bringt nur alle zwei Jahre ein einziges Junges zur Welt.
Übrigens: Auch bei den supertreuen Albatrossen wird – das zeigen Erbgutuntersuchungen – ab und an einmal fremdgegangen. Allerdings halten sich die Seitensprünge, zumindest der Albatrosdamen, in Grenzen: Gerade mal ein bis fünf Prozent der Albatrosweibchen lassen sich auf ein außereheliches Techtelmechtel ein. Bei Meisen ist es dagegen rund die Hälfte.
Leider wird der Vogel mit der langen Verlobungszeit von der Weltnaturschutzunion mittlerweile als gefährdet eingestuft. Verantwortlich für diese Einstufung ist jedoch nicht die spätestens seit dem berühmten Disney-Zeichentrickfilm „Bernhard und Bianca“ bekannte Tatsache, dass Albatrosse bei ihren Flügen die mit großem Abstand schlechtesten Starts und vor allem Landungen im gesamten Tierreich hinlegen. In Sachen Start fehlt Albatrossen vor allem eine kräftige Flugmuskulatur, mit der sie schnelle Flügelschläge erzeugen können. Aus diesem Grund haben Albatrosse große Probleme, auf das für das Abheben nötige Tempo zu kommen, und können deshalb nur mit sehr großem Anlauf und reichlich Gegenwind starten. Sind die Windbedingungen ungünstig, brauchen die Meeresvögel oft Dutzende von Anläufen, um sich erfolgreich in die Lüfte heben zu können. Dazu kommt noch, dass die Flügel von Albatrossen sehr lang, aber auch sehr schmal sind und deshalb beim Starten eher der Kategorie unhandlich zugeteilt werden müssen.
Wenn sie sich aber erst einmal in die Luft erhoben haben, macht den großen Meeresvögeln in Sachen elegantes und ausdauerndes Fliegen so leicht keiner etwas vor. Hier kommen den Albatrossen ihre ausgesprochen langen Flügel zupass. Dank dieser Flügel können die Tiere, ähnlich wie ein Segelflugzeug, den Aufwind für energiesparende Gleitflüge nutzen und dabei in kürzester Zeit Tausende von Kilometern zurücklegen.
Bei der Landung wird dann allerdings die im Verhältnis zur Länge sehr überschaubare Breite der Albatrosflügel zum Ärgernis. Die Flügel haben durch ihre geringe Breite eine nur sehr begrenzte Bremswirkung beim Landeanflug. Und als wäre das alles noch nicht genug: Albatrosse sind mit einem Körpergewicht von bis zu 13 Kilogramm unter den flugfähigen Vögeln echte Schwergewichte, die bei der Landung ordentlich Schwung mitbringen. Diese beiden Handicaps versuchen Albatrosse damit auszugleichen, dass sie beim Landeanflug ihre großen Füße nach vorne strecken, um mehr Bremswirkung zu erzielen. Eine Maßnahme, die allerdings relativ wenig hilft, wie die aus zahlreichen Filmen berühmt-berüchtigten Purzelbäume der Meeresvögel zeigen.
Um auf die bedrohliche Situation der Wanderalbatrospopulationen zurückzukommen: Für deren Rückgang ist vor allem die moderne Thunfischfischerei verantwortlich. Die arbeitet mit bis zu 100 Kilometer langen sogenannten „Langleinen“: Angelleinen, die mit bis zu 20 000, mit kleinen Fischen beköderten Haken bestückt sind. Und da die Albatrosse stets den Fangschiffen der Thunfischfischer folgen, um die Bordabfälle abstauben zu können, schnappen sie beim Auswerfen der Leinen ganz gezielt nach den Ködern. Mit der traurigen Folge, dass sie von den Haken oft regelrecht aufgespießt werden und jämmerlich ertrinken, wenn die Leinen dann in die Tiefe absinken. Nach Angaben von Naturschützern kommen auf diese Art und Weise jährlich mehrere hunderttausend Wanderalbatrosse ums Leben.
Supereltern
Es gibt kaum ein Synonym, das so für schlechte Eltern steht wie der Begriff „Rabeneltern“. So werden gemeinhin Eltern bezeichnet, die ihre Kinder vernachlässigen. Genau das Gegenteil von sogenannten „Helikopter-Eltern“, überfürsorgliche Eltern, die sich ähnlich wie ein Beobachtungshubschrauber ständig in der Nähe ihrer Kinder aufhalten, um sie mit großer Liebe zu überwachen und zu behüten. Lange Zeit standen Raben tatsächlich im Ruf, sich nicht nur herzlich wenig um ihren Nachwuchs zu kümmern, sondern ihm sogar noch aktiv Schaden zuzufügen. Alles Unsinn, Raben sind keine schlechten Eltern. Der schlechte Ruf der schwarzen Vögel geht auf eine falsch interpretierte Naturbeobachtung zurück: Junge Raben, die von der Wissenschaft zu den sogenannten Nesthockern gezählt werden, verlassen ziemlich oft auf eigene Faust das Nest, bevor sie überhaupt fliegen können, und sitzen dann oft scheinbar völlig einsam und verlassen unter dem Nest.
Dieses auf den ersten Blick bedauernswerte Bild, das die Jungraben abgaben, führte zu der Vermutung, die kleinen Raben wären von ihren Eltern im Stich gelassen oder noch schlimmer, sogar aus dem Nest geworfen worden. Die Geschichte von der Rabenmutter bzw. vom Rabenvater als schlechte Eltern geht aber auch zum Teil auf die Bibel zurück. Im Buch der Bücher heißt es im Alten Testament, Buch Hiob, Kapitel 31, Vers 41, in der Rede Gottes zum frommen Mann: „Wer bereitet dem Raben seine Nahrung, wenn seine Jungen schreien zu Gott und umherirren ohne Futter?“ Es war kein Geringerer als Martin Luther, der aus dieser Textstelle den Schluss zog, Rabeneltern würden ihre Jungen sträflich vernachlässigen. Kein Wunder also, dass sich schon im 16. Jahrhundert der negativ besetzte Begriff von den Rabeneltern in diversen Erziehungsratgebern wiederfindet. Doch genau das Gegenteil ist richtig: Raben sorgen sich geradezu rührend um ihren Nachwuchs, auch wenn die Jungen das Nest bereits verlassen haben. Die scheinbar schnöde im Stich gelassenen, am Boden hockenden Jungraben werden noch mehrere Wochen von ihren Eltern mit Futter versorgt und auch mit großem Eifer vor Fressfeinden geschützt.
Wer die beste Mutter im Tierreich ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Nach Meinung einiger Zoologen ist die beste Mutter jedoch nicht etwa, wie das zu erwarten wäre, bei den Säugetieren oder Vögeln zu finden, sondern bei den Spinnen, genauer gesagt, bei der australischen Spinnenart Diaea ergandros. Die Weibchen dieser rund zwei Zentimeter großen, zur Familie der Krabbenspinnen gehörenden Spinnenart legen im Frühjahr etwa 40 Eier, aus denen dann im Sommer