Das Familienleben der Tiere. Mario Ludwig
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Allerdings ist, wo Treue draufsteht, nicht immer auch Treue drin. So war sich die Wissenschaft lange Zeit ziemlich sicher, dass sich Herr und Frau Seepferdchen ein Leben lang treu sind. Zurückzuführen ist diese, für einen Fisch doch ziemlich bemerkenswerte Tatsache auf eine Studie aus dem Jahr 1992, in der australische Wissenschaftler eine einzige Seepferdchenart, das „Whites Seepferdchen“, in Sachen Treue einmal etwas genauer unter die Lupe nahmen. Und siehe da, die kleinen Fische blieben sich auch dann treu, wenn andere möglicherweise attraktivere Partner zur Verfügung standen. Ein Resultat, das von den Medien begeistert aufgegriffen und schnell für alle Seepferdchen verallgemeinert wurde. Und fortan schrieben Journalisten nur allzu gerne von der unverbrüchlichen Liebe der niedlichen kleinen Tiere mit dem Pferdekopf. Aber bald tauchten erste Meldungen von Aquarien und auch von privaten Seepferdchenhaltern auf, die das Bild von der ewigen Seepferdchentreue gewaltig ins Wanken brachten. Nicht nur, dass einige Seepferdchenarten anscheinend alles andere als monogam waren oder sich, wie das Dickbauchseepferdchen, noch nicht einmal zu Paaren zusammenfanden, sondern bekennende Singles waren.
Diese ersten Beobachtungen wurden durch eine Studie an Westaustralischen Seepferdchen aus dem Jahr 2000 bestätigt, nach der mindestens die Hälfte der Tiere ihre Partner nach jedem Brutvorgang wechseln. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2004 an australischen Kurzkopfseepferdchen zeigte, dass diese Seepferdchenart in Gruppen lebt, wobei sich die Gruppenmitglieder, egal ob Männchen oder Weibchen, mit jedem gerade verfügbaren Partner paaren. Ähnliches gilt für europäische Seepferdchenarten. Dort kommt es offensichtlich auf die Größe an. Als man im Versuch einem Seepferdmann der Art „Langschnäuziges Seepferdchen“, das in einer scheinbar festen Beziehung mit einem Weibchen lebte, ein größeres Weibchen präsentierte, verließ der treulose Ehemann sofort schnöde sein angestammtes Weibchen und wandte sich der neuen und wohl auch attraktiveren Partnerin zu.
Im Jahr 2006 wurde an den neun deutschen Sea Life Aquarien eine überaus interessante Untersuchung in Sachen Seepferdchentreue durchgeführt: Für diese Studie hat man insgesamt 45 Seepferdchen aus drei verschiedenen Arten mit farbigen Halsbändern ausgestattet. Anhand dieser Halsbänder konnte man erkennen, welches Männchen zu welchem Weibchen gehört. Anschließend wurde über einen Zeitraum von vier Monaten das Liebesverhalten der Pärchen streng protokolliert. Das Ergebnis der Studie war eindeutig: Monogamie ist zumindest für die Seepferdchen in den Aquarien in den allermeisten Fällen ein Fremdwort. Nur ein einziges Seepferdchenpaar war sich während des gesamten Untersuchungszeitraumes treu geblieben, der Rest hatte oft sogar mehrfach die Partner gewechselt, gleichgeschlechtliche Interaktionen übrigens inklusive. Offensichtlich muss die Mär vom ach so treuen Seepferdchen heute wohl endgültig ad acta gelegt werden.
Aber auch bei den Treusten der Treuen gibt es Seitensprünge. Tannenmeisen etwa führen im Regelfall eine lebenslange Ehe. Aber neuere Untersuchungen zeigen: Tannenmeisen gehören unter Singvögeln zu den Top 10 in Sachen Seitensprung. Jedes dritte Küken der Erstbrut ist ein „Kuckuckskind“ (stammt von einem anderen Männchen), bei der Zweitbrut ist es sogar jedes zweite.
Aber was passiert, wenn ein Weibchen ein Männchen beim Fremdgehen erwischt? Da kann es durchaus passieren, dass ähnlich wie bei uns Menschen der Haussegen in eine gewaltige Schieflage kommt. Etwa beim amerikanischen Rotrückensalamander, einem Lurch, der, sein Name verrät es schon, in den feuchten Laubwäldern und Sumpfgebieten der USA und Kanadas zu Hause ist. Kehrt ein Rotrückensalamandermann nach einem außerehelichen Tête-à-Tête zu seinem angestammten Weibchen zurück, kann dieses den Seitensprung des Gatten im wahrsten Sinne des Wortes riechen. Bleiben doch die Pheromone der Lurchgeliebten an der Haut des Fremdgängers haften und überführen so das treulose Männchen. Und das hintergangene Eheweibchen versteht in Sachen Treuebruch gar keinen Spaß: Wissenschaftler der Universität von Louisiana konnten beobachten, dass sich die betrogenen Ehefrauen bei der Heimkehr des treulosen Männchens regelrecht in Positur stellen, um möglichst groß und drohend zu erscheinen und anschließend den Sünder meist auch noch kräftig ins Bein beißen.
Weshalb die Salamanderweibchen im Gegensatz zu allen anderen Amphibien bei ihren Männern derart auf Treue bestehen, hat die Wissenschaft noch nicht geklärt. Monogame Amphibien sind selten.
Untreue wird aber auch im Tierreich ab und an nicht nur von der Gattin, sondern auch vom Leben bestraft. Zumindest bei den Marienkäfern ist das so, genauer gesagt, bei den Zweipunkt-Marienkäfern: Diese kleinen Käfer, die im englischen Sprachraum auf den hübschen Namen „Lady Beetle“ hören, halten von Treue nicht allzu viel. Wie anders wäre es zu erklären, dass sie etwa alle zwei Tage ihren Sexualpartner wechseln. Für diese Untreue zahlen die Käfer mit den beiden charakteristischen Flecken auf den Flügeldecken jedoch einen hohen Preis: Sie handeln sich eine Art Geschlechtskrankheit ein, denn bei der Kopulation wird auch eine winzige Milbe namens Coccipolipus hippodamiae übertragen, die die unangenehme Eigenschaft besitzt, weibliche Marienkäfer unfruchtbar zu machen. Und das hat durchaus unangenehme Folgen: Durch die häufig wechselnden Geschlechtspartner sind manchmal bis zu 90 Prozent der Marienkäferweibchen einer Population unfruchtbar. Aber existenzbedrohend ist diese Promiskuität der Marienkäfer nicht: Die Weibchen werden nicht sofort unfruchtbar, sondern erst drei Wochen nach dem Milbenbefall. Genug Zeit, um Eier abzulegen und eine neue Generation zu gründen.
Einen noch höheren Preis für ihre Untreue zahlen Hummeln, folgt man Untersuchungen von Wissenschaftlern der ETH in Zürich: Bei Hummeldamen verkürzt Untreue sogar die Lebenserwartung. Warum das so ist, haben die Wissenschaftler allerdings noch nicht herausgefunden.
Die ganz große Treue fürs Leben findet man dagegen bei Tieren, die bei uns in Deutschland kaum ein Mensch kennt, bei den Präriewühlmäusen. Präriewühlmäuse sind, der Name verrät es schon, in den nordamerikanischen Prärien zu Hause. Dort sind die kleinen Nager jedoch nicht gerade übermäßig beliebt, da sie die Felder der Farmer mit ihren Bauten unterminieren und deshalb als „Schädlinge“ verfolgt werden. Beobachtungen im Freiland, aber auch Laborversuche zeigen, dass Präriewühlmäuse streng monogam leben. Und das betrifft sowohl Männchen als auch Weibchen. Die „Einehe“ beginnt und das ist offensichtlich entscheidend, mit einer bis zu 40-stündigen Dauerkopulation. Danach bleiben beide Partner unzertrennlich und tauschen bei jeder Gelegenheit Zärtlichkeiten aus. Nach außen grenzt sich das Wühlmauspaar deutlich ab und verteidigt sein Revier sehr aggressiv gegenüber Konkurrenten. Die Treue bei Präriemäusen geht sogar über den Tod hinaus: Stirbt bei den Präriewühlmäusen ein Partner, verbandelt sich der Witwer oder die Witwe nicht mehr neu.
Kuschelhormon macht Menschen monogam
Das als Kuschelhormon bekannte Hormon Oxytocin macht nicht nur Präriewühlmäuse treu, sondern auch Menschen. Vielleicht nicht im wirklichen Leben, aber zumindest im Experiment ist das so: Eine winzige Dosis Oxytocin und schon bleibt der Ehemann sehr wahrscheinlich treu. Das konnten Wissenschaftler der Universität Bonn mithilfe eines einfachen Experiments nachweisen: Die Forscher zeigten 40 heterosexuellen, männlichen, in einer festen Beziehung lebenden Probanden Fotografien ihrer eigenen Partnerin, aber auch Bilder unbekannter Frauen. Zuvor hatte die Hälfte der Versuchsteilnehmer mithilfe eines Nasensprays eine kräftige Dosis Oxytocin, die andere Hälfte lediglich ein Placebo verabreicht bekommen. Während des Experiments wurde die Gehirnaktivität der Probanden aufgezeichnet. Und siehe da: War den Herren der Schöpfung Oxytocin verabreicht worden, zeigte sich im Gehirn der Probanden, im Nucleus accumbens, dem Sitz des menschlichen sogenannten „Belohnungssystems“, eine starke Aktivität. Eine Aktivität, die bei den Versuchsteilnehmern, die lediglich ein Placebo erhalten hatten, nicht auftrat. Will heißen, durch die Oxytocinzufuhr empfanden die Probanden die eigene Partnerin attraktiver und begehrenswerter als die fremden