Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Franziska Burger kam hinter dem Tresen hervor, wo sie gerade Getränke eingeschenkt hatte. Franz Thurecker streckte seinen Kopf durch die Küchendurchreiche. Zwei große Schüsseln mit dampfender Suppe hatte er dort stehen. Dazu Körbe mit frischem Brot, das der Senner erst am Morgen gebacken hatte.
»Himmel, ist das ein Betrieb heut’«, stöhnte er. »Mit so vielen Leuten hab’ ich gar net gerechnet.«
»Freu’ dich doch«, meinte seine Nichte. »Ist doch ein gutes Zeichen. Wenn die Saison zu End’ ist, bist’ wieder ganz allein’, für mindestens vier Monat.«
Der grauhaarige Senner nickte, während er dem Madel hinterherschaute. Recht hatte sie ja, die Franzi. Aber wenn er auch im allgemeinen den Trubel liebte, den die Touristen auf seiner Hütte veranstalteten, war er doch froh, wenn so mancher Tag wieder ruhiger war, und Franz sich seinem geliebten Käse widmen konnte.
Ein Strahlen ging über das Gesicht des Alten, als sich die Hüttentür öffnete, und ein weiterer Wanderer eintrat. Rasch wischte Franz sich die Hände an einem Küchentuch ab und eilte dem Gast entgegen.
»Hochwürden, das ist aber eine Freud’!«
»Grüß dich, Franz«, sagte Sebastian Trenker und schüttelte die dargebotene Hand. »Hast ja reichlich zu tun, wie ich seh’. Schön, daß deine Nichte dir zur Hand geht.«
»Ja, das Madel verbringt seine Ferien am liebsten da heroben, bei seinem alten Onkel.«
»Na, na, das alt hab’ ich aber net gehört«, schmunzelte der Geistliche. »Schaust doch immer noch zehn Jahr’ jünger aus, als du wirklich bist.«
Tatsächlich waren dem Alten die gut siebzig Jahre nicht anzusehen. Franz führte das auf eine gesunde Lebensweise und die gute Alpenluft zurück. Da er Sebastian Trenkers Vorliebe für frische Almmilch kannte, hatte er schnell einen Krug aus dem Kühlschrank geholt und, zusammen mit einem Glas, auf den Tisch gestellt. Der Bergpfarrer bediente sich und wartete geduldig darauf, daß der Senner Zeit fand, sich zu ihm zu setzen.
Nach einer Weile war der Gästeansturm bewältigt, und Franz und seine Nichte kamen an Sebastians Tisch.
Sie hatten eine Schüssel mit deftigem Eintopf mitgebracht, der aus geräuchertem Fleisch, Suppengemüse, Kartoffeln und Graupen bestand. Gemeinsam ließen sie es sich schmecken. »Den Eltern geht’s gut?« erkundigte sich der Geistliche bei dem Madel.
Liesl, Thurecker-Franz’ jüngere Schwester, lebte mit Mann und Tochter in der Kreisstadt. Franziska arbeitete dort im Büro eines Unternehmens der Lebensmittelbranche, ihr Vater war Angestellter einer Bank. Liesl Burger arbeitete halbtags in ihrem erlernten Beruf, als Arzthelferin.
»Die beiden sind gesund und munter«, erzählte Franzi. »Sie machen gerad’ Urlaub an der Nordsee.«
»Da hat’s dich aber net hinzieh’n können«, stellte Sebastian fest.
»Nein«, schüttelte das Madel den Kopf, »wenn ich Urlaub hab’, bin ich am liebsten beim Onkel Franz.«
Es freute den Bergpfarrer, zu hören, daß Franzi so an der Heimat hing. Es gab etliche, vor allem junge Leute, die lieber woanders – in der weiten Welt – ihre Ferien verbrachten. Dagegen war auch nichts zu sagen, wenn man sich doch immer wieder mal in Erinnerung rief, wie schön es auch zu Hause sein konnte. Nicht wenige zog es ganz und gar in die Fremde.
Die hübsche Franzi gehörte indes nicht dazu. Dabei hatte ihr, mit ihren zweiundzwanzig Jahren, alles offen gestanden. Nach ihrer Ausbildung, die sie mit besten Noten abschloß, hätte sie überall arbeiten können. Doch ihre Liebe zur Heimat bewog sie, sich nicht woanders umzuschauen. Ohne ihre geliebten Berge hätte sie es in einer anderen Umgebung bestimmt nicht lange ausgehalten.
Bald nach dem Essen machte sich Sebastian wieder auf den Heimweg. Es war immer nur ein kurzer Besuch auf der Kandereralm, aber meistens wartete zu Hause immer noch Arbeit auf den guten Hirten von St. Johann. Wie auch heute, wo er am Abend noch ein Traugespräch mit zwei heiratswilligen jungen Leuten hatte.
Zufrieden stieg der Seelsorger hinab. Für den Rückweg benutzte der erfahrene Wanderer eine andere Route, die weniger zeitaufwendig war, als der Herweg. Im Pfarrhaus hatte sich schon Max eingefunden, als Sebastian dort ankam. Der Bruder des Geistlichen, und Polizist des Dorfes, freute sich heute besonders auf das Abendessen, wußte er doch, daß der Thurecker-Franz immer ein großes Stück Bergkäse mit herunterschickte.
Sophie Tappert hatte schon den Tisch gedeckt, auf dem nur noch eben jener Käse fehlte, von dem Max so schwärmte. Wie alle Mahlzeiten im Pfarrhaus, verlief auch das Abendessen in gemütlicher Atmosphäre. Die Haushälterin, von Natur aus eher schweigsam, trug nur selten etwas zur Unterhaltung bei, doch die beiden Brüder tauschten die letzten Neuigkeiten aus.
»Der Doktor hat übrigens erzählt, daß der Professor seinen Besuch angekündigt hat«, berichtete Max. »Ihm hat’s hier so gut gefallen, daß er auch seine Frau mitbringen will.«
Mit einem Seitenblick in Sophie Tapperts Richtung fuhr der Polizist schmunzelnd fort:
»Er läßt fragen, ob du net Lust hast, wieder einmal mit ihm zu fliegen…?«
Die Augen der Pfarrköchin weiteten sich vor Entsetzen. Stand sie ohnehin schon Todesängste aus, wenn Sebastian in den Bergen unterwegs war, so war diese Angst noch gesteigert worden, als der Bergpfarrer vor nicht allzu langer Zeit, als Gast des bekannten Internisten, Professor Dr. Bernhard, zu einem Rundflug über das Wachnertal gestartet war. Der ehemalige Doktorvater des Dorfarztes Toni Wiesinger, war begeisterter Hobbypilot.
Sebastian sah den entsetzten Blick seiner Haushälterin. »Keine Angst, Frau Tappert«, beruhigte er sie. »Fliegen ist weniger gefährlich, als Autofahren.«
An seinen Bruder gewandt, bemerkte er: »Nimm ein bissel Rücksicht auf uns’re gute Frau Tappert. Es reicht wenn sie’s hinterher erfährt.«
Die Haushälterin runzelte die Stirn.
»Das macht’s aber auch net erträglicher«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer.
*
Der junge Mann in dem Reisebus, der sich allmählich dem Alpendorf näherte, sah teilnahmslos aus dem Fenster. Die Landschaft draußen rauschte vorbei, ohne daß Robert Feldmann wirklich wahrnahm, was er sah. Statt dessen stellte er sich immer wieder die Frage, ob es wirklich richtig war, was er tat, oder ob er nicht vielmehr zu Hause, in München, hatte bleiben sollen? Dort hätte er sich in die Arbeit stürzen können und somit von diesen quälenden Gedanken befreit sein.
Seit sie am Morgen aus der bayerischen Landeshauptstadt abgefahren waren, dachte er wieder öfter an das Ereignis vor zwei Jahren, das seinem Leben eine so unerwartete Wendung gegeben hatte…
»In wenigen Minuten erreichen wir St. Johann«, unterbrach die Stimme des Busfahrers seine Gedanken. »Ich wünsche Ihnen schon jetzt einen schönen Urlaub, und freu’ mich darauf, Sie in zwei Wochen wieder abzuholen.«
Zwei Wochen. Robert Feldmann überlegte, wann er zuletzt zwei Wochen am Stück Urlaub gemacht hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein!
Freunde hatten auf ihn eingeredet, sich endlich einmal Zeit, für sich selbst zu nehmen. Alles fallen zu lassen, an nichts anderes zu denken, als an sich selbst. Aus diesem Grund war er auch nicht mit dem eigenen Wagen gefahren, sondern hatte die entspannte Art des Reisens mit dem Autobus gewählt.