Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Auf der Röntgenaufnahme ist uns ein verdächtiger Schatten aufgefallen. Und auch die Blutuntersuchung gibt Anlass zur Sorge«, redete Jenny nicht lange um den heißen Brei herum. Wenn möglich, sank Marion Körber noch ein wenig mehr auf dem Stuhl zusammen.
»Was heißt das im Klartext?«, fragte sie mit rauer Stimme. Vor Aufregung war ihr Mund trocken, und sie trank einen Schluck von dem Wasser, das Jenny ihr nach der Begrüßung angeboten hatte.
»Dass wir so schnell wie möglich operieren sollten, um herauszufinden, mit welchem Feind wir es tatsächlich zu tun haben.« Jenny Behnisch lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und maß ihre Patientin mitfühlend.
»Allmählich mache ich mir jetzt wirklich Sorgen«, gestand Marion Körber.
»Verständlich. Sie sollten sich allerdings nicht verrückt machen, bis wir endgültige Gewissheit haben«, versuchte Jenny, das Unmögliche möglich zu machen, wohlwissend, dass es in solchen Situationen keinen Trost geben konnte.
Marion verschränkte ihre zitternden Finger ineinander und starrte die Klinikchefin aus weit aufgerissenen Augen an. Sie wirkte wie ein verängstigtes Kaninchen beim Anblick eines Fuchses.
»Was haben Sie als nächstes vor?«
Jenny lächelte sanft.
»Am liebsten würde ich Sie gleich morgen früh auf den OP-Plan setzen. Mittels eines sogenannten Schnellschnittes während der Operation würde ein Pathologe die Art des Tumors ermitteln, und wir könnten das bösartige Gewebe gegebenenfalls sofort entfernen.«
»Morgen früh? Aber ich habe eine minderjährige Tochter«, entfuhr es Marion Körber. »Die kann ich doch nicht einfach so allein lassen.«
Jenny Behnisch wusste gar nicht mehr, wie oft sie solche Gespräche schon geführt hatte. Sie wusste nur, dass sie sie immer noch nicht mochte und niemals Routine in solchen Dingen haben würde.
»Ich verstehe ja, dass Sie jetzt durcheinander sind. Das alles kommt ein bisschen plötzlich«, redete sie mit Engelszungen auf ihre Patientin ein. »Falls wir es aber wirklich mit einem bösartigen Tumor zu tun haben, sollten wir so schnell wie möglich handeln. Alles andere wäre fataler Leichtsinn.«
»Ich weiß.« Sichtlich nervös zupfte Marion mit den Zähnen an der Unterlippe. »Das heißt, ich weiß es nicht … Ich muss nachdenken.«
Jenny stützte sich auf die Ellbogen und lehnte sich ein Stück vor. Sie ließ ihre Patientin nicht aus den Augen, als sie sagte:
»Aber bitte nicht zu lange.«
Marion Körber hörte sie offenbar gar nicht. Ihre Augen schwammen in Tränen.
»Meine Tochter … Ich kann sie nicht auch noch im Stich lassen. Ihr Vater ist vor ein paar Jahren gestorben … Wir sind erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Klara hat niemanden hier.«
Nur mit Mühe gelang es der Klinikchefin, ein Seufzen zu unterdrücken.
»Frau Körber, ich rate Ihnen dringend davon ab, den Eingriff zu lange hinaus zu zögern. Es können sich Metastasen bilden. Mit jedem Tag, den sie ungenutzt verstreichen lassen, gehen Sie ein unnötiges Risiko ein. Lassen Sie sich operieren. Auch im Interesse Ihrer Tochter.«
Marion Körber sagte nichts mehr. In sich zusammengesunken saß sie auf dem Stuhl und dachte nach. Und auch Jenny hatte jedes Argument in den Ring geworfen, das ihr eingefallen war. Lähmendes Schweigen machte sich im Büro der Klinikchefin breit. Nur gedämpft drangen die Geräusche des Klinikbetriebs durch die Bürotür. Gummisohlen quietschten leise, hier und da war ein Lachen zu hören, Geschirr klapperte.
»Wie gesagt, ich muss darüber nachdenken.« Auf einmal kam Leben in Marion Körber, und sie erhob sich mit plötzlicher Entschlossenheit aus dem Stuhl. »Vielen Dank für Ihre Mühe.« Ehe Jenny Gelegenheit hatte, ein weiteres Wort zu sagen, ging Marion entschlossenen Schrittes zur Tür und verließ grußlos das Zimmer.
Einen Moment lang war die Klinikchefin versucht, ihrer Patientin zu folgen. Doch die nächsten Besucher warteten schon darauf, von Jennys Assistentin Andrea Sander eingelassen zu werden.
*
»Chefin, wir brauchen dringend mehr Schwestern. Sonst können wir den Ansturm der Patienten nicht mehr bewältigen«, erklärte Schwester Elena. Zusammen mit dem Arzt Dr. Matthias Weigand stand sie bei Jenny Behnisch im Büro. Eine sorgenvolle Falte teilte ihre hübsche Stirn.
Auch Matthias hatte ein Problem.
»Haben wir nicht zufällig noch ein paar leer stehende Zimmer? Inzwischen müssen wir sogar die Privatpatienten zusammenlegen.«
Mit betretener Miene saß die Klinikchefin an ihrem Schreibtisch und musterte ihre Mitarbeiter schweigend. Seit der Orkan übers Land gerauscht war und seine Spur der Verwüstung gezogen hatte, herrschte Ausnahmezustand an der Behnisch-Klinik.
»Ich habe Andrea schon Bescheid gesagt. Sie tut nichts anderes, als hinter unseren Aushilfekräften her zu telefonieren. Aber so einfach ist es leider nicht, spontan Leute zu bekommen. Ich tue, was ich kann.« Seufzend wandte sie sich an Mathias Weigand. »Und was die Zimmer betrifft … locken Sie die Privatpatienten mit den Rückerstattungen, die sie von den Krankenkassen erwarten können, wenn sie auf ein Einzelzimmer verzichten. Eine andere Lösung fällt mir im Augenblick nicht ein.«
Dr. Weigands Miene erhellte sich.
»Das ist eine ausgezeichnete Idee.« Zufrieden mit dieser Lösung verabschiedete er sich von Jenny.
Schwester Elena folgte ihm. Es gab genug zu tun, und sie vertraute darauf, dass die Chefin auch für ihr Problem wie immer eine Lösung fand. Während sie neben dem Arzt den Gang hinunter ging, klappte sie die Mappe auf, die sie bei sich trug.
»Heute haben wir zwei Neuzugänge auf der Orthopädie«, teilte sie ihrem Kollegen mit. »Ein Verdacht auf einen komplexen Meniskusriss und einen akuten Hallux Valgus. Der Hallux ist schon auf dem Zimmer. Denkst du, ich kann den Meniskus dazulegen? Der ist privat.«
»Einen Versuch ist es zumindest wert. Du hast ja gehört, welche Losung die Chefin ausgegeben hat. Wir sehen uns.« Sie waren an einer Ecke angekommen, an der sich der Flur teilte. Matthias musste den linken Weg wählen, während Schwester Elena nach rechts abbog.
»Also gut«, murmelte sie vor sich hin und klappte die Mappe wieder zu. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie aufgebrachte Stimmen hörte, die mit jedem ihrer Schritte lauter wurden.
»Wozu bezahle ich meine private Versicherung? Glauben Sie, ich werfe mein Geld freiwillig zum Fenster raus?«, zeterte niemand anderer als Else Unterholzner lautstark, als Schwester Elena um die Ecke bog.
»Und wenn Sie ausnahmsweise die Zähne zusammen beißen und vielleicht doch zusammen mit Frau …«, redete eine Schwester mit Engelszungen auf die Dame ein, die aussah, als wäre sie direkt einem Modemagazin entsprungen.
»Niemals!«,