Das magische Wien. Gerhard Kunze

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Das magische Wien - Gerhard Kunze

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Lauf der Gestirne genau studieren, denn die Grundregel der Alchemie lautet: „Wie oben, so unten“ – wie am Himmel, so auf Erden.

      Gleich daneben steht sich eine Vitrine aus Panzerglas, in der das Juwelenbouquet ausgestellt ist. Es handelt sich dabei um einen bunten Blumenstrauß aus 1500 Diamanten, 1200 Farbsteinen und ebenso vielen Seidenblättern, den Kaiserin Maria Theresia ihrem Gatten zur Grundlage der Edelsteinsammlung des Museums, die zur traditionsreichsten und wertvollsten Sammlung der Welt wurde, schenkte.

      Ein paar Vitrinen weiter findet sich das traurige Ergebnis eines Versuchs, den der Kaiser mit dem Physiker und Jesuitenpater Joseph Franz SJ und einem Häufchen kleiner Diamanten unternahm, der so hoffnungsfroh begonnen hatte: Es war an einem heißen Hochsommertag im Jahr 1751, vermutlich am 31. Juli. Die Sonne stand hoch am Himmel, als eine kleine Gruppe festlich gekleideter Personen – der Kaiser in Begleitung des Paters, einigen Helfern und Offizieren der Schlosswache – die schützende Kühle von Schloss Schönbrunn verließ und hinaus vor das Gebäude in die pralle Sonne trat. Gerade wurde von einem Wagen ein zwei Meter hohes, dreibeiniges Gestell abgeladen, das mit einer kostbaren Decke in den Farben des Kaisers verhüllt war: ein beweglicher Hohlspiegel mit 150 Zentimetern Durchmesser, auf dem das 70 Zentimeter hohe Relief einer Palme zu sehen war. Dieser Baum gilt als Symbol des Lebens und steht seit der Antike für Frieden, Freude und Sieg, außerdem gehört die Palme zu den Mariensymbolen. Durch ihre immergrünen Blätter sind diese Pflanzen auch Sinnbild für Auferstehung und ewiges Leben. Vor dem Spiegel wurde nun ein kleines, in der Höhe verstellbares, viereckiges Tischchen in Stellung gebracht, auf das Pater Joseph Franz eine dreieckige Schale aus Metall stellte. Damit waren die Vorbereitungen für das geheimnisvolle Experiment beendet. Das Viereck des Tischchens symbolisiert die Erde und die dreieckige Schale die Verbindung zum Überirdischen. Die Drei gilt als die göttliche Zahl und das Symbol der Lebenskraft. Und vier plus drei ist sieben, die heilige Zahl, eine der wichtigsten in der Magie, die Gott und Welt miteinander verbindet. Nun holte ein Wachoffizier eine kostbare Schatulle und öffnete sie vor dem Kaiser. Der entnahm eine Handvoll kleiner Diamanten und legte diese auf die dreieckige Schale. Inzwischen war die Hülle vom Spiegel entfernt worden, der nun so ausgerichtet wurde, dass die gebündelten Sonnenstrahlen mit etwa 1000 Grad direkt auf die Diamanten trafen. Die Idee hinter diesem Experiment: die kleinen Edelsteine mithilfe dieser höllischen Hitze zu einem großen Kristall zusammenzuschmelzen. Zunächst passierte gar nichts. Dann begann es zu knistern, und es bildete sich Rauch, der immer stärker wurde. Schließlich standen die kleinen Schmuckstücke in Flammen und verbrannten zu einem rabenschwarzen klebrigen Häufchen Asche mit angekohlten oder trüb gewordenen Resten der Diamanten. Das Experiment war gescheitert und dennoch ein Beitrag für die Wissenschaft, denn man wusste nun: Diamanten sind aus Kohlenstoff und verbrennen zu Asche. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Lötsch, der ehemalige Generaldirektor des Naturhistorischen Museum, sagte: „Allein für diese Erkenntnis hätte der Kaiser einen Nobelpreis verdient.“ Das Experiment wurde nicht wiederholt und die verkohlten Reste der Diamanten kamen in die kaiserliche Naturaliensammlung. Der Brennspiegel aber wurde von Maria Theresias Hof verbannt: Geräte, mit denen man Diamanten verbrennen kann, haben hier nichts verloren, hieß es. Er ist heute im Technischen Museum zu sehen.

       Vaterunser und Daumenschraube

      „Samstag, den 15. dieses, nach gehörter Heiliger Messe geruheten Vormittag beede Kaiserl. Majestäten Sich mit denen inn- und ausländischen Staatssachen zu beschäftigen und Nachmittag Sich in dem Schönbrunnergarten mit Spazierengehen zu belustigen“, war im Juli 1752 im „Wiener Diarium“ zu lesen. Während der Regierungszeit Maria Theresias finden wir fast in jeder Ausgabe der 1703 gegründeten, ältesten Zeitung der Welt, die wir heute als „Wiener Zeitung“ kennen, Beschreibungen vom Besuch der Heiligen Messe durch die Herrscherfamilie. Maria Theresia und Franz Stephan kannten die geheimen Bedeutungen der Gebete und nutzten sie als Quelle der Kraft. Besonders das Vaterunser, das älteste und bekannteste Gebet der Welt, bewährt sich angeblich als Wegweiser zu Glück, Zufriedenheit und einem erfüllten Leben. Man sagt, es hätte seine heilsame Wirkung in den fast 2000 Jahren, seit es Jesus den Menschen gelehrt hat, nicht verloren. Wer die einzelnen Sätze des Vaterunser sorgfältig spricht oder liest – laut oder stumm ist dabei nicht von Bedeutung, wichtig ist die Konzentration auf die Worte – und das Gebet täglich wiederholt, würde bald bemerken, wie sich das Leben auf unerwartete Weise zum Positiven wendet und alle Wünsche erfüllt werden. Jeder kann dies mit den zehn Zeilen des Vaterunser bei sich selbst ausprobieren:

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      Wallfahrtskirche Maria Geburt in Hietzing, Ausgangspunkt für Maria Theresias „Via Sacra“ (siehe Seite 104).

      Vater unser, der du bist im Himmel,

      Geheiligt werde dein Name,

      Dein Reich komme,

      Dein Wille geschehe,

      Wie im Himmel, so auf Erden.

      Unser tägliches Brot gib uns heute,

      Und vergib uns unsere Schuld,

      Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,

      Und führe uns nicht in Versuchung,

      Sondern erlöse uns von dem Bösen.

      Aus diesem Grund kann auch jede Kirche von Wien als starker Kraftort gesehen werden – einige mehr, andere weniger. Zur Zeit Maria Theresias waren die Zeitungsberichte über ihre täglichen Kirchenbesuche auch ein starkes politisches Signal, das bis in den Vatikan und in der übrigen Welt zu hören war und lautete: Wir sind ein katholisches Land. Allerdings: Nicht-Katholiken konnten keine Toleranz erwarten, weil „dann kann man das Volk ja überhaupt nicht mehr regieren“, meinte Maria Theresia einmal zu ihrem Sohn Joseph II. (1741–1790) zur Frage der Religionsfreiheit. Vom Vatikan wollte man sich aber isolieren, nach Rom zu pilgern wurde verboten, 24 Feiertage strich man. An den neu geschaffenen Halbfeiertagen sollten die Kirchengänger anschließend wieder zurück zur Arbeit. Das zeigte das Herrscherpaar auch selbst am Samstag vor: erst Gottesdienst dann weiterarbeiten. Ziel war die Verlängerung der Arbeitszeiten. Nicht nur in Industrie, Handwerk und Landwirtschaft, auch bei Beamten wurde die Dienstzeit von sechs auf acht bis neun Stunden erhöht – vermutlich führte das zur Erfindung des Büroschlafs.

      Maria Theresias Regierungszeit war geprägt von Maßnahmen, die unter dem Namen „Theresianische Staatsreform“ in die Geschichte eingingen und teilweise bis heute wirksam sind. Da gab es die Reform der Staatsorganisation, die Heeres-, die Justiz-, die Wirtschafts- und die Bildungsreform. Am bekanntesten wurde die Einführung der Unterrichtspflicht, die am Nikolaustag des Jahres 1774 in Kraft trat: Als Erstes wurden einklassige Volksschulen für die sechs- bis zwölfjährigen Kinder am Land eingerichtet. In den 240 Jahren, die seither vergangen sind, entwickelte sich das österreichische Bildungssystem, vielleicht weil daran ständig gefeilt und es dauernd reformiert wird, zu einem der besten weltweit.

      Als kompliziert erwies sich die Abschaffung der „Tortur“. Bis Jänner 1776 durfte in Maria Theresias Österreich nach richterlichem Beschluss „fachmännisch“ gefoltert werden. Sieben Jahre vor dem Verbot ließ die Herrscherin sogar noch ein Handbuch für Scharfrichter (die berüchtigte „Constitutio Criminalis Theresiana“) drucken. Darin wird beispielsweise exakt beschrieben, wie man Daumenschrauben anlegte, wobei es zwei Arten gab: die Prager und die Wiener Tortur – beide gleichermaßen grausam und schmerzhaft. In dem Werk war außerdem nachzulesen, wie man den „Spanischen Stiefel“ aus Eisen an die Beine anlegt und dem Inquisit möglichst große Qualen bereitet, ohne ihm dabei die Kniescheibe zu brechen, oder auf welche Weise die Inhaftierten zur „Peinlichen Tortur“ nach Prager Art auf Leitern gespannt und fachgemäß

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