Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu hei­ra­ten, um sei­ne Er­fin­dung mit ih­rem Ver­mö­gen zu pous­sie­ren. Aber in­zwi­schen hat­te er sich bei sei­ner Schwä­ge­rin in Pen­si­on ge­ge­ben, denn sein Ma­gen konn­te das Gast­hof­ses­sen nicht mehr ver­tra­gen. Aga­the rech­ne­te nach, dass das be­schei­de­ne Kost­geld des gu­ten al­ten On­kels Be­dürf­nis­se bei wei­tem nicht deck­te. Aber Mama glaub­te je­des Mal, wenn er am ers­ten des Mo­nats sei­ne zwei Gold­stücke ab­lie­fer­te, sie habe einen un­ver­sieg­ba­ren Schatz in Hän­den.

      Die arme Mama hat­te durch die Ver­än­de­run­gen, die durch Pa­pas Ab­schied not­wen­dig wur­den, jede Fas­sung ver­lo­ren. Sie brach bei dem ge­rings­ten An­lass in Trä­nen aus und wur­de von der Furcht ge­pei­nigt, sie müss­ten am Ende alle mit­ein­an­der ver­hun­gern. Kam in­des­sen eine Spit­zen­frau ins Haus, so konn­te sie nicht wi­der­ste­hen, ge­klöp­pel­te Ein­sät­ze zu Kopf­kis­sen für Aga­thes Aus­stat­tung zu kau­fen. Das ge­rings­te Ver­gnü­gen muss­te man sich ver­sa­gen – und im­mer die wun­der­li­che Idee, für die Aus­stat­tung zu­rück­zu­le­gen!

      Aga­the hat­te jetzt tüch­tig zu tun, um den Haus­stand rein­lich und in ge­re­gel­tem Gan­ge zu er­hal­ten. Auf die alte Dor­te war auch kein rech­tes Ver­las­sen mehr. Aga­the war nicht an wirk­li­che Ar­beit ge­wöhnt, und sie litt viel an krank­haf­ten Zu­stän­den, die sie so­gar ih­rer Mut­ter ver­heim­lich­te. Denn dann wür­de viel­leicht Papa da­von ge­hört ha­ben, und das wäre Aga­the un­er­hört pein­lich ge­we­sen. Auch ge­riet er gleich ganz aus dem Häu­schen, wenn ei­nem von ih­nen bei­den et­was fehl­te.

      Es tat nicht Not, sei­ne Stim­mung noch mehr zu ver­düs­tern. Er war oh­ne­hin ge­reizt ge­nug. Kein Wun­der! Wie hat­te er sich ab­ge­ar­bei­tet, bis tief in die Nacht über den Ak­ten ge­ses­sen, um dem Staat zu die­nen. Nun warf der ihn plötz­lich über Bord wie ein läs­ti­ges, über­flüs­si­ges Mö­bel – den kräf­ti­gen Mann, der jetzt mit sei­ner Zeit nichts an­zu­fan­gen wuss­te, als in al­len Zim­mern her­um­zu­ge­hen und zu su­chen, wo er et­was zu ta­deln fän­de. Was hat­te schließ­lich die un­auf­hör­li­che Angst, nir­gends an­zu­sto­ßen, nicht oben und nicht un­ten, nicht rechts und nicht links, dem ar­men Papa genützt?

      Aber um Got­tes wil­len! wenn Aga­the das dem Papa ein­mal vor­ge­hal­ten hät­te … Das Ge­sicht, das sie da zu se­hen be­kom­men ha­ben wür­de!

      Die gan­ze Welt war voll­ge­stopft mit Hei­lig­tü­mern, an die man nicht rüh­ren durf­te, wie Groß­ma­ma ihr Nip­pes­schrank, des­sen In­halt Aga­the als Kind ehr­fürch­tig durch die Glas­schei­ben be­trach­ten durf­te. – Sie wur­de von lau­ter Ge­dan­ken ge­quält, über die sie sich Vor­wür­fe ma­chen muss­te. Es gähr­te ein fort­wäh­ren­der Aufruhr in ihr ge­gen je­des Wort, das die El­tern spra­chen. So lan­ge man war­te­te und im­mer war­te­te, so lan­ge mor­gen viel­leicht das neue Le­ben für uns selbst an­bre­chen konn­te – so lan­ge war es leicht ge­we­sen, Ge­duld zu ha­ben. Aber nun man sah, dass das neue Le­ben nie­mals kom­men wür­de – dass man sich mit ge­ge­be­nen Ver­hält­nis­sen ein­rich­ten muss­te, so gut es ging – nun war es fast nicht mehr zu er­tra­gen, im­mer noch als ein lie­bes un­ver­stän­di­ges Kind be­han­delt zu wer­den, über des­sen Mei­nun­gen man lä­chel­te und scherz­te, oder das man un­ter­wies und er­zog.

      Sie muss­te sehr viel Ge­schick­lich­keit auf­wen­den, da­mit Mama nicht merk­te, dass sie tat­säch­lich den Haus­halt führ­te – sie muss­te fort­wäh­rend lan­ge Kon­fe­ren­zen über die ein­fachs­ten Din­ge mit ihr füh­ren, weil nur so Mama die Über­zeu­gung be­hielt, sie re­gie­re selbst und Aga­the wer­de von ihr an­ge­lei­tet. Wün­sche, Be­dürf­nis­se und Lau­nen der drei al­ten Leu­te – ei­gent­lich wa­ren es vier, denn auch Dor­te war alt und hat­te Lau­nen – muss­ten er­füllt wer­den. Wenn sie sich di­rekt wi­der­spra­chen, so muss­te man doch je­dem an­schei­nend den Wil­len tun oder ihn auf eine fei­ne, net­te Wei­se zu be­frie­di­gen su­chen.

      Papa wur­de böse, so­bald der ge­rings­te An­griff auf sei­nen Kom­fort und auf den vor­neh­men An­strich der Haus­hal­tung ge­macht wur­de. On­kel Gu­stav hat­te al­ler­lei Re­stau­rant-Ge­wohn­hei­ten und war schwer zu über­zeu­gen, dass die in der be­schränk­ten Wirt­schaft große Op­fer kos­te­ten. Und Mama ver­fiel mit ih­rer Knau­se­rig­keit bei­na­he ins Krank­haf­te. Traf sie mit Frau Wu­trow zu­sam­men, so ließ sie sich von der im­mer neue Spar­sam­keits­re­zep­te mit­tei­len. Bei Wu­trows wur­de für die Nä­he­rin­nen Kar­tof­fel­brei un­ter die But­ter ge­mischt. Das woll­te die Rä­tin auch ein­füh­ren. Aga­the hat­te einen or­dent­li­chen Zank mit ihr, weil sie sich vor den frem­den Mäd­chen schäm­te. Neu­er­dings ver­lang­te Mama, dass der Tep­pich im Wohn­zim­mer, um sei­ne Far­ben län­ger frisch zu hal­ten, alle Abend mit ei­ner wei­chen Bürs­te ab­ge­kehrt und zu­sam­men­ge­rollt wer­de. Frau Heid­ling woll­te es selbst be­sor­gen, um ih­rer Toch­ter ein gu­tes Bei­spiel der De­mut zu ge­ben. Das konn­te Aga­the nicht mit an­se­hen. Un­glück­li­cher­wei­se kam Eu­ge­nie dazu, als sie mit den Kni­en auf der Erde her­um­rutsch­te, und mach­te mo­quan­te Be­mer­kun­gen.

      Sie brauch­te so et­was frei­lich nicht zu tun – – hat­te ihre Mut­ter der­glei­chen Ge­lüs­te, so war das ein Pri­vat-Ver­gnü­gen, das Eu­ge­nie wei­ter nicht stör­te. Die jun­gen Heid­lings hiel­ten einen Bur­schen, die Kö­chin, das Haus­mäd­chen und das Fräu­lein für den klei­nen Wolf. Der alte Wu­trow muss­te zah­len.

      »Weißt Du – ich, als Of­fi­ziers­frau …« sag­te Eu­ge­nie und be­kam auf die­se Wei­se al­les, was sie wünsch­te.

      Je­den Abend wein­te Aga­the ein paar heim­li­che Trä­nen auf den Tep­pich – sie fand es so mes­quin und völ­lig un­nö­tig und un­prak­tisch, ihn fort­wäh­rend zu­sam­men­zu­rol­len und wie­der aus­ein­an­der­zu­brei­ten.

      O war das Le­ben lang­wei­lig – lang­wei­lig – lang­wei­lig, in die­ser Fül­le von zweck­lo­ser Ar­beit!

      We­nigs­tens ver­schon­te man sie jetzt mit den Bäl­len. Es lud sie ein­fach nie­mand mehr ein. Aber die zwei oder drei Di­ners, zu de­nen sie noch ge­be­ten wur­de, wa­ren auch ge­ra­de kei­ne be­rau­schen­den Ver­gnü­gun­gen.

      Und der Ver­kehr mit den Freun­din­nen – de­nen, die gleich ihr un­ver­hei­ra­tet ge­blie­ben wa­ren? In dem Au­gen­blick, wo sie die­se oder jene Be­kann­te be­su­chen woll­te, er­griff sie oft ein sol­cher Wi­der­wil­le, dass sie sich nicht ent­schlie­ßen konn­te, hin­zu­ge­hen.

      Sie durf­te ja doch kein Wort von dem re­den, was sie dach­te. Sie hat­te be­stän­dig ein bö­ses Ge­wis­sen. Wenn je­mand ge­ahnt hät­te, was das fei­ne, erns­te, ge­setz­te Fräu­lein Heid­ling für Stun­den durch­mach­te! Ein­mal sich aus­spre­chen – ja, das muss­te eine Er­leich­te­rung sein. Hö­ren, wie es den an­de­ren er­ging, wie sie sich durch­hal­fen, ob sie re­si­gniert wa­ren oder trau­rig – ob sie ihr Los tap­fer oder ver­zagt tru­gen …

      Son­der­bar – als klei­ne Schul­mä­del hat­ten die Freun­din­nen sich in die Ohren ge­tu­schelt, was sie von den Ge­heim­nis­sen des Le­bens, die man vor ih­nen ver­barg, nur her­aus­krie­gen konn­ten. – Als na­se­wei­se

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