Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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woll­te auch, gar kein Ver­ständ­nis, kei­ne geis­ti­ge Ge­mein­schaft – nur das biss­chen Lie­be und Zärt­lich­keit nicht ver­lie­ren.

      Der glei­che Kampf, Tag und Nacht Aga­the war es oft, als rin­ge sie Kör­per an Kör­per mit dem Tode und als müs­se sie sie­gen, wenn sie alle Kräf­te bis aufs äu­ßers­te an­spann­te – kei­ne Se­kun­de nachließ – im­mer­fort auf der Wacht blieb …

      »Wie Aga­the das aus­hält, ist mir un­be­greif­lich«, sag­te Eu­ge­nie. »Ich hät­te dem Mäd­chen so viel Stär­ke gar nicht zu­ge­traut.«

      »In der Not sieht man erst, was in dem Men­schen steckt«, be­merk­te Wal­ter ach­tungs­voll.

      Sie soll­te eine Dia­ko­nis­sin zur Hil­fe neh­men.

      Ja – schon gut! Aber was wuss­te die Kran­ken­schwes­ter von dem heim­li­chen Kampf? Wür­de sie mit­ten in der To­des­angst sich das Hirn zer­mar­tern, wel­che Lis­ten nun an­ge­wen­det wer­den muss­ten, um das Furcht­ba­re zu ver­trei­ben, das da un­sicht­bar und war­tend im Zim­mer stand – dicht ne­ben Aga­the – sie fühl­te es – sie roch es – sie spür­te sei­ne Ge­gen­wart un­greif­bar in ih­rer Nähe – ent­setz­te sich mit kal­ten Schau­ern, die durchs in­ners­te Mark dran­gen … Und doch fand sie da­bei ein lie­bes und trös­ten­des Wort für die Kran­ke.

      Nein – das wür­de die frem­de Pfle­ge­rin nicht tun – das konn­te sie ein­fach nicht. Sie wuss­te ja doch nicht, was da­von ab­hing, dass die alte, müde, trau­ri­ge Frau nicht starb! Und dar­um half ihre Ge­gen­wart Aga­the auch nichts. Al­lein muss­te es durch­ge­schafft wer­den.

      In der letz­ten Zeit be­te­te Aga­the nicht mehr. Ihr Herz war ge­fühl­los ge­wor­den, wie in al­len Kri­sen ih­res Le­bens, sie glaub­te auch nicht, dass sie ihre Mut­ter wie­der­se­hen wer­de. Sie ver­moch­te sich das ge­dul­di­ge Ant­litz, den al­ten, schmer­zens­vol­len Leib, wel­chen sie mit tau­send Zärt­lich­kei­ten pfleg­te, nicht in ver­klär­ter Ge­stalt zu den­ken. Das wür­de ja doch nicht ihre Mut­ter mehr sein.

      Die Kran­ke sprach oft vom Him­mel und von ih­ren ge­stor­be­nen Kin­der­chen, die sie dort er­war­te­ten. Dann nah­men ihre Au­gen einen so sehn­süch­ti­gen Aus­druck an, dass man ah­nen konn­te, wie viel von ih­rem Her­zens­le­ben die Frau mit ih­nen ins Grab ge­legt hat­te. Sie war mit dem le­ben­den Sohn und der Toch­ter nicht ge­wach­sen – sie war im­mer die Mut­ter der klei­nen Kin­der ge­blie­ben. In lich­ten, schmerz­frei­en Au­gen­bli­cken er­zähl­te sie Aga­the Ge­schicht­chen aus de­ren Säug­lings­al­ter und flüs­ter­te ihr die Ko­sen­a­men zu, in de­nen sie einst mit dem un­be­wuss­ten, zap­peln­den klei­nen Tier­chen auf ih­rem Scho­ße ge­spielt hat­te.

      Un­zäh­li­ge Male muss­te Aga­the ihr ver­spre­chen, für den Papa zu sor­gen, dass er al­les ge­nau so be­käme, wie er es ge­wohnt sei, im­mer bei ihm zu blei­ben, ihn zu pfle­gen und lieb zu ha­ben. Und Aga­the ver­sprach al­les – wie soll­te sie auch nicht? Sie war ja nun mit ih­rem Va­ter ver­ei­nigt in ei­nem Kum­mer.

      Als Mama ge­stor­ben war, klam­mer­ten sie sich an­ein­an­der und wein­ten zu­sam­men, we­nigs­tens in den ers­ten Stun­den nach ih­rem Tode. Spä­ter fand Papa sei­ne ru­hi­ge, wür­di­ge Hal­tung wie­der, und Aga­the ver­barg ihre Trä­nen, um ihn nicht noch mehr zu be­trü­ben.

      Ihr gan­zes täg­li­ches Da­sein, ihre ge­rings­ten Hand­lun­gen wa­ren nun gleich­sam über­schat­tet von dem An­den­ken der To­ten. Un­sicht­ba­re Geis­ter­hän­de re­gier­ten im Hau­se und lei­te­ten nach wie vor al­les dem Wil­len und den Ei­gen­tüm­lich­kei­ten der Da­hin­ge­schie­de­nen ge­mäß.

      Wie zu ih­ren Leb­zei­ten bürs­te­te Aga­the je­den Abend den Tep­pich im Wohn­zim­mer ab und roll­te ihn zu­sam­men, und jetzt fie­len Trä­nen der Sehn­sucht nach der Ver­gan­gen­heit dar­aus nie­der.

      Sie hät­te nun den Haus­halt füh­ren kön­nen, wie sie woll­te. Aber sie fand kei­ne Freu­de mehr an die­sem Ge­dan­ken. Sie lei­te­te ihn auch nicht für sich, son­dern be­trach­te­te ihn als ein ehr­wür­di­ges Ver­mächt­nis der To­ten. Die Verant­wor­tung, wel­che sie über­nom­men hat­te, pei­nig­te sie, und sie hetz­te sich ab in ei­ner fie­ber­haf­ten Tä­tig­keit, da­mit nie­mand ihr vor­wer­fen kön­ne, sie zei­ge sich ih­rer hei­li­gen Auf­ga­be nicht ge­wach­sen.

      XI.

      Aga­the stieg auf den Bo­den. Sie hat­te be­gon­nen, eine In­ven­tur all der Din­ge auf­zu­neh­men, die nun ih­rer Ob­hut un­ter­stellt wa­ren. Zu dem Zweck soll­ten auch die Kis­ten und Kas­ten dort oben un­ter­sucht wer­den. Bei die­ser Ge­le­gen­heit bat Eu­ge­nie, die im Win­ter das von Wal­ter lan­ger­sehn­te Töch­ter­chen zu den zwei Jun­gen be­kom­men hat­te, ihr von den klei­nen Kin­der­sa­chen zu ge­ben, die Mama noch im­mer auf­be­wahr­te. Mama war so ei­gen­sin­nig ge­we­sen in der Be­zie­hung – sie gab nicht ein Stück­chen her­aus. Aber Aga­the nütz­ten die Sa­chen ja doch nichts mehr.

      In­dem Aga­the die letz­te stei­le Trep­pe er­klomm, fühl­te sie plötz­lich, das­sel­be Lei­den, von dem ihre Mut­ter lan­ge Jah­re hin­durch heim­ge­sucht war; thaler­große Stel­len an ih­rem Kör­per, in de­nen ein Schmerz tob­te, als habe ein wü­ten­des Tier sich dort mit sei­nen Zäh­nen fest­ge­bis­sen.

      Ihre Mut­ter wuss­te, warum sie die­se Qua­len litt. Sie – die zar­te Frau – hat­te sechs Kin­der ge­bo­ren, und vier von ih­nen hat­te sie ster­ben se­hen müs­sen. Da war es ja ver­ständ­lich, dass ihre Kräf­te er­schöpft wa­ren und die miss­han­del­te Na­tur sich, räch­te. In ge­wis­ser Wei­se war Mama im­mer stolz auf ihr Lei­den ge­we­sen. Sie trug es wie einen Teil ih­res Le­bens, als die Dor­nen­kro­ne des Wei­bes – ihr von Ewig­keit her vor­be­stimmt.

      Wie kam Aga­the als jun­ges Mäd­chen, das ge­schont und ge­hü­tet war und nie­mals für das Men­schen­ge­schlecht auch nur das Ge­rings­te ge­leis­tet hat­te, zu die­sem schreck­li­chen Erbe? Das war ja ge­ra­de­zu un­na­tür­lich, war wie ein bos­haf­ter Hohn des Schick­sals! Der Gram um ihre Mut­ter?

      War es nicht auch un­na­tür­lich, wenn sie der Tod ei­ner mü­den, al­ten Frau, die ihre Auf­ga­be er­füllt hat­te, mit ei­ner so maß­lo­sen Verzweif­lung er­griff, dass sie in je­dem Au­gen­blick des Al­lein­seins wein­te und wein­te und sich nicht zu fas­sen ver­moch­te?

      So ging es nicht wei­ter! – Sie rich­te­te sich ja zu Grun­de!

      Sie sah es ja – sie fühl­te es!

      Und sie fass­te plötz­lich den Ent­schluss, alle die Schmer­zen des Lei­bes und der See­le durch die Kraft ih­res Wil­lens zu be­zwin­gen. Sie sam­mel­te alle Ener­gie in sich und sta­chel­te sie zum Kampf, rich­te­te sie auf ein Ziel. –

      Sie be­gann zu lä­cheln und sich selbst ein­zu­bil­den, nichts tue ihr weh. Sie raff­te sich auf und ging mit leich­ten, elas­ti­schen Schrit­ten, wie ein glück­li­cher, von Ta­ten­lust über­strö­men­der Mensch an ihre Ar­beit.

      War­me,

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