Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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die dunklen Ra­die­run­gen an den Wän­den und die gel­ben Ein­bän­de fran­zö­si­scher Ro­ma­ne auf den ge­schnitz­ten Stüh­len glit­ten, als sie den schar­fen des Ter­pen­tin und der ägyp­ti­schen Zi­ga­ret­ten in der Woh­nung spür­te, war es ihr zu Mut, als keh­re sie aus ei­ner sehr lan­gen, öden und ge­halt­lo­sen Ver­ban­nungs­zeit in ihre Hei­mat zu­rück.

      Aber es war Tor­heit, sich dem hin­zu­ge­ben. Sie muss­te noch an dem­sel­ben Abend wie­der Ab­schied neh­men. Und sie konn­te so tie­fe Emp­fin­dun­gen, wie sie sie einst in die­sem Hau­se durch­lebt, jetzt kaum noch in der Erin­ne­rung ver­tra­gen.

      Sie hör­te, dass Adri­an Lutz sich ver­hei­ra­tet habe mit ih­rer al­ten Pen­si­ons­ge­fähr­tin Klo­til­de, der Toch­ter des Ber­li­ner Schrift­stel­lers. Die Ehe war nicht glück­lich, – man sprach be­reits von Schei­dung. In Aga­the reg­te sich Ver­ach­tung und Wi­der­wil­len der wohl­er­zo­ge­nen Bür­ger­s­toch­ter ge­gen das Un­si­che­re, Schwei­fen­de sol­cher Künst­ler­exis­ten­zen. Eine ge­schie­de­ne Frau – hät­te es so ge­en­det, wenn sie die Sei­ne ge­wor­den wäre?

      Als Ma­ler habe Lutz bei wei­tem nicht er­reicht, was er einst ver­spro­chen. Sei­ne Schü­le­rin, Fräu­lein von Hen­ning, habe ihn förm­lich über­holt. »Das heißt – von Geist und Gra­zie hat die Per­son ja kei­nen Schim­mer«, sag­te Frau von Wo­szen­ski. »Aber die Ener­gie! Da­mit macht sie mehr, als hät­te sie Ta­lent! Stellt in Pa­ris im Sa­lon aus …«

      »Nun, Ta­lent hat sie doch auch«, mein­te Wo­szen­ski gü­tig.

      »Ach, mein Mann nimm­t’s mit den Da­men nicht so ge­nau«, rief Ma­rie­chen und lach­te scharf und laut.

      Aga­the be­merk­te wohl, dass ih­rem Va­ter die Art von Wo­szens­kis nicht sym­pa­thisch war. Wie soll­te sie auch.

      Sie frag­te, was aus dem Bil­de ge­wor­den sei, an dem Herr von Wo­szen­ski da­mals ar­bei­te­te – die Ek­sta­se der No­vi­ze. Ob er es ver­kauft habe.

      »Ach, ver­kauft! Ich ar­bei­te noch dar­an.«

      Er blick­te über die Bril­le nach­denk­lich auf Aga­the.

      »Wa­rum habe ich Sie nur da­mals nicht als Mo­dell ge­nom­men?«

      Er brach­te eine Far­benskiz­ze zu dem neu­en Ent­wurf. Es war im Lau­fe der Zeit ein völ­lig an­de­res Bild ge­wor­den.

      Statt des himm­li­schen Son­nen­sturm­win­des, der die üp­pi­ge rot und gol­de­ne Pracht des Hochal­tars wir­belnd be­weg­te und in dem Tau­sen­de von En­gels­köp­fen die nie­der­ge­sun­ke­ne Got­tes­braut se­lig-toll um­flat­ter­ten, glitt nun ein lei­chen­haf­tes, blau­es Mond­licht durch den Säu­len­gang ei­nes Klos­ters. In dem stil­len Geis­ter­schein schweb­te ein blei­ches Kind mit ei­ner Dor­nen­kro­ne zu ihr her­nie­der. Die Non­ne war nicht mehr das ro­si­ge Ge­schöpf, wel­ches den klei­nen Er­lö­ser in ih­ren Ar­men emp­fing und mit un­schul­dig strah­len­dem Lä­cheln an ihr Herz drück­te. Im Starr­krampf lag sie am Bo­den, die Arme steif aus­ge­streckt, als sei sie ans Kreuz ge­schla­gen – die ro­ten Wun­den­ma­le an der blas­sen Stirn und den wäch­ser­nen Hän­den.

      »Man ver­sucht eben auf man­cher­lei Wei­se aus­zu­drücken, was man meint«, sag­te Wo­szen­ski lei­se: »Mit den Jah­ren ver­än­dern sich da­bei die Ide­e­en.«

      Er seufz­te tief und stell­te die Lein­wand, die Aga­the schwei­gend und lan­ge be­trach­tet hat­te, bei­sei­te.

      »Mein Freund Ham­let« nann­te Lutz ein­mal den grüb­le­ri­schen Künst­ler. Und der Tag, an dem sie Lutz zum ers­ten Male ge­se­hen, stand wie­der vor Aga­the. Zwi­schen da­mals und heu­te lag ihr Le­ben. Und nun nichts mehr? Ein lang­sa­mes Er­star­ren in Käl­te und Ent­sa­gung?

      Sie blick­te nie­der auf ihre wäch­ser­nen Hän­de, und fast mein­te sie, das blu­ti­ge Stig­ma müs­se dort sicht­bar wer­den …

      Was ihr für wun­der­li­che, sinn­lo­se Ge­dan­ken bis­wei­len ka­men …

      *

      Acht Tage spä­ter saß Aga­the auf der Ve­ran­da ei­ner Schwei­zer-Pen­si­on und sah über Gera­ni­en- und Nel­ken­töp­fe nach den ho­hen Ber­gen. Vom schwin­den­den Abend­licht wur­den sie in braun­vio­let­te Tin­ten ge­taucht und stan­den mit ih­ren ge­wal­ti­gen Li­ni­en ge­gen den süd­lich war­men blau­en Him­mel.

      Gott – war das schön! – Auf alle erns­ten, tie­fen Men­schen wirkt die große Na­tur be­ru­hi­gend, er­he­bend, hei­lend. Sol muss­te denn auch Aga­the be­ru­higt, er­ho­ben, ge­heilt wer­den. Es war das letz­te Mit­tel. Es muss­te hel­fen!

      War es um­sonst – dann – Ja dann? –

      Sie woll­te nicht dar­an den­ken, an die schreck­li­che Angst, die im­mer in ih­rer Nähe lau­er­te, be­reit, über sie her­zu­stür­zen …

      Nur die Näch­te …

      Durch die lan­ge Zeit des Wa­chens am Kran­ken­la­ger ih­rer Mut­ter hat­te sie das ru­hi­ge Schla­fen ver­lernt. Zwar nach den wei­ten Spa­zier­gän­gen mit Va­ter sank sie, trun­ken von der Ge­birgs­luft, über­mü­det in ihre Kis­sen und ver­lor so­fort das Be­wusst­sein. Doch nach kur­z­em fuhr sie mit jä­hem Schre­cken em­por – es war, als hät­te sie einen Schlag emp­fan­gen. – Et­was Furcht­ba­res war ge­sche­hen …! Sie konn­te sich nicht be­sin­nen, was es ge­we­sen … Der Schweiß rie­sel­te an ihr nie­der, das Herz klopf­te ihr … O Gott, was war es denn nur?

      Je­mand war im Zim­mer – dicht in ih­rer Nähe! – Es soll­te ihr et­was Bö­ses ge­sche­hen – sie fühl­te es deut­lich.

      Mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen starr­te sie in die Dun­kel­heit.

      Sie muss­te sich ge­wal­tig zu­sam­men­neh­men, dass sie nicht laut auf­schrie in Furcht und Grau­en.

      Dann re­de­te sie sich Ver­nunft ein. Ihr Va­ter war ja ne­ben­an. Sie horch­te, es drang kein Laut zu ihr. Papa schlief ganz fried­lich.

      Die­be …? In dem frem­den Ho­tel. Es konn­te ja sein – es war so­gar wahr­schein­lich.

      Wie­der horch­te sie an­ge­strengt.

      Aber vo­ri­ge Nacht hat­te sie das­sel­be durch­ge­macht und die vo­ri­ge auch. Ein­bil­dung – al­les war nur Ein­bil­dung.

      Kaum leg­te sie sich auf ih­rem La­ger zu­recht – da war es auch schon wie­der … Das Frem­de – Geis­ter­haf­te – Un­be­greif­li­che … Was konn­te es nur sein?

      »O Gott, lie­ber, lie­ber Gott, hilf mir doch«, be­te­te sie schau­dernd und kroch mit dem Kopf un­ter die De­cke. »O Gott, lie­ber Gott, lass mich end­lich wie­der ein­schla­fen!«

      Aber kein Ge­dan­ke an Schla­fen. Und sie

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