Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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der Schif­fer, der sie über­ge­fah­ren, hat­te sie auch mit dem Blick ver­folgt. Er war ei­gent­lich ein schö­ner Kerl …

      Mein Gott, mein Gott – was er­griff sie denn?

      War sie so tief ge­sun­ken, sich mit ei­nem Schif­fer­knecht zu be­schäf­ti­gen?

      Straf­te Gott sie für ihr Ab­fal­len vom Glau­ben, in­dem er sie der Ge­walt des Teu­fels über­ließ? Wenn es nun doch eine Höl­le gab? Ewi­ge Ver­damm­nis – ewi­ge … Ewi­ges Be­wusst­sein sei­ner Qual … Schon fühl­te sie ihre Schre­cken in die­ser Ver­las­sen­heit – die­sem Ekel an sich selbst.

      Adri­an … Adri­an Lutz … Ja, den al­lein hat­te sie ge­liebt. O du Ein­zi­ger, Schö­ner – Sü­ßer …

      Nein – es war ja gar nicht Adri­an, an den sie eben dach­te – es war Rai­ken­dorf. Und Rai­ken­dorf auch nicht … Mar­tin – Mar­tin Gref­fin­ger! Da­mals in Bor­nau hat­te er sie doch lieb ge­habt! Hät­te sie ihm den Kuss ge­ge­ben, um den er sie bat … Sich dann mit ihm ver­lobt! So vie­le Mäd­chen ver­lo­ben sich mit Schü­lern … Mar­tin hät­te sie mit sich hin­aus­ge­nom­men in sein frem­des, aben­teu­er­li­ches Le­ben … Sie hät­ten für eine große Sa­che ge­kämpft, und sie wä­ren selbst groß und frei und stark da­bei ge­wor­den. O ja – sie hät­te schon eine ganz tüch­ti­ge So­zia­lis­tin ab­ge­ge­ben!

      Wie konn­te sie nur von sei­ner war­men, schö­nen jun­gen Lie­be da­mals so un­ge­rührt blei­ben?

      Wenn Adri­an sie ver­führt hät­te – wie die Da­niel?

      O mein Gott!

      Sie rich­te­te sich auf und zün­de­te Licht an. Die end­lo­se Nacht war nicht zu er­tra­gen! Mit blo­ßen Fü­ßen lief sie zum Fens­ter, lehn­te sich hin­aus und at­me­te die fri­sche, düf­te­ge­tränk­te Ber­g­luft.

      Wie müde – wie müde …

      In der Mor­gen­däm­me­rung schlief sie zu­wei­len noch ein.

      Un­glück­li­cher­wei­se hat­te Papa die Lei­den­schaft der frü­hen Aus­flü­ge. So wur­de sie oft nach ei­ner hal­b­en Stun­de schon wie­der ge­weckt. Und sie wag­te ihm nicht zu sa­gen, dass sie schlecht schlief. Es wür­de ihm die Som­mer­fri­sche ver­dor­ben ha­ben.

      Der Be­ginn des Ta­ges war ja auch köst­lich. Aber um zehn Uhr be­fand sich das Mäd­chen schon in ei­nem Zu­stand von Ab­span­nung und ner­vö­ser Un­ru­he, der nur durch eine krampf­haf­te An­stren­gung al­ler Selbst­be­herr­schung ver­bor­gen wer­den konn­te.

      Es war auch so schwül. Früh brann­te und stach die Son­ne in das wei­te, schat­ten­lo­se, von den ho­hen Fel­sen­ge­bir­gen um­schlos­se­ne Tal. Abends ent­lu­den sich schwe­re Ge­wit­ter. Sie kühl­ten die Luft kaum. Nur ein feuch­ter Dampf quoll von den Mat­ten, aus den Obst­gär­ten, schweb­te über dem wil­den rau­schen­den Berg­was­ser, das den Ort durch­ström­te, und der war­me Dunst senk­te sich er­mat­tend auf die nach Er­qui­ckung schmach­ten­den Men­schen nie­der.

      Da­bei ver­ging dem Re­gie­rungs­rat die Lust, wei­te­re Par­ti­en zu un­ter­neh­men. Man saß auf der Ve­ran­da oder un­ter ei­ner Edel­kas­ta­nie des Ho­tel­gärt­chens – Aga­the mit ih­rer Hand­ar­beit, Papa mit ei­ner Zi­gar­re und der Zei­tung – so ziem­lich, wie man da­heim im Har­mo­nie­gar­ten auch ge­ses­sen hat­te.

      War das Ge­wit­ter schon ge­gen Mit­tag ein­ge­tre­ten, so schlen­der­te man um die Zeit des Son­nen­un­ter­gan­ges zum See hin­aus.

      Sie hat­ten eine Ge­richts­rats­fa­mi­lie mit ei­ner ält­li­chen Toch­ter zum Um­gang ge­fun­den – so blieb man hübsch in dem ge­wohn­ten Ge­lei­se der Un­ter­hal­tung.

      Aga­the frag­te sich zu­wei­len, warum sie ei­gent­lich nach der Schweiz ge­reist wa­ren.

      Sie sah die Fel­sen­ber­ge an in ih­rer stum­men, ge­wal­ti­gen Grö­ße – sie starr­te in das ei­lig brau­sen­de Ge­wäs­ser – sie be­trach­te­te die Kas­ta­ni­en und Nuss­bäu­me, die thau­fun­keln­den Far­ne – die Gra­na­ten in den Gär­ten – die gan­ze schon süd­lich sie an­mu­ten­de Ve­ge­ta­ti­on – und an alle tat sie die glei­che Fra­ge. Die Fel­sen schwie­gen in stei­ner­ner Ruhe, das Was­ser braus­te hin­ab zum See – die Gra­na­ten blüh­ten, und die Bäu­me reif­ten ihre Früch­te. Sie ga­ben Aga­the kei­ne Ant­wort. Und die auf­dring­li­che Schön­heit, die üp­pi­ge Pracht die­ser Na­tur er­mü­de­te, be­lei­dig­te, em­pör­te sie.

      XIII.

      Papa spiel­te Do­mi­no mit ei­nem Herrn, der ihn kürz­lich an­ge­re­det hat­te, ei­nem viel­sei­tig ge­bil­de­ten Mann, Pro­fes­sor in Zü­rich. Heut war er von ei­ni­gen sei­ner Schü­ler im Vor­über­wan­dern auf­ge­sucht wor­den. Die jun­gen Män­ner tran­ken ih­ren Wein und aßen ih­ren Käse gleich­falls auf der Ve­ran­da.

      Die Tü­ren nach dem Ess­saal wa­ren ge­öff­net.

      Plötz­lich setz­te ei­ner der Stu­den­ten has­tig sei­nen Knei­fer auf und beug­te sich vor. Drin­nen ging ein Mann in ei­nem grau­en An­zug mit ei­nem Stroh­hut vor­über.

      »Herr Pro­fes­sor«, rief der Stu­dent eif­rig, »da ist er – ich hat­te doch recht! War­ten Sie – er wird gleich un­ten aus der Tür tre­ten.«

      Der Zü­ri­cher Pro­fes­sor warf sei­ne Do­mi­no­stei­ne um in der Hast, mit der er auf­sprang und sich über das ei­ser­ne Ge­län­der bog. Auch die jun­gen Män­ner sa­hen hin­aus. Dann wand­te der Pro­fes­sor sich zu­rück und setz­te sich wie­der nie­der.

      »So – so – also das war der Gref­fin­ger … Hat mich doch in­ter­es­siert, ihn ge­se­hen zu ha­ben!«

      »Wel­chen Na­men nann­ten Sie da?« frag­te der Re­gie­rungs­rat.

      »Gref­fin­ger!« sag­te der Pro­fes­sor, als ge­nü­ge das und es brau­che kei­ne wei­te­re Er­klä­rung hin­zu­ge­fügt zu wer­den.

      »Papa!« rief Aga­the mit der plötz­li­chen Leb­haf­tig­keit, die sie zu­wei­len er­fass­te, »ob es am Ende Mar­tin war?«

      »Ich habe einen Nef­fen die­ses Na­mens«, er­klär­te Re­gie­rungs­rat Heid­ling oben­hin.

      Die schwei­zer Stu­den­ten be­ob­ach­te­ten den al­ten Herrn und die Dame mit In­ter­es­se. Es schie­nen wahr­haf­tig Ver­wand­te von Mar­tin Gref­fin­ger zu sein – und da­bei wuss­ten sie es selbst nicht ein­mal ge­nau!

      Heid­ling spiel­te mit der Hand in dem wei­chen grau­en Bart.

      »Ich habe lan­ge nichts von dem jun­gen Man­ne ge­hört«, sag­te er, über­le­gend, wie viel er den Frem­den von sei­nen Be­zie­hun­gen zu Mar­tin mit­tei­len

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