Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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Es blüht das ferns­te, tiefs­te Tal –

       Nun, ar­mes Herz, ver­giss die Qual,

       Es muss sich al­les, al­les wen­den …

      Da­bei zog sie eine Kis­te her­vor, schloss auf und knie­te da­vor nie­der. Oben­auf la­gen ihre Pup­pen. Als sie die ver­bli­che­nen, zer­zaus­ten Wachs­köpf­chen wie­der­sah, wur­de sie mit ei­ner ge­walt­sa­men Deut­lich­keit in je­nen Tag zu­rück­ver­setzt, an dem sie sie ein­ge­packt hat­te.

      War es auch eine an­de­re Bo­den­kam­mer, der Son­nen­strahl tanz­te eben­so lus­tig in dem grau­en Staub­wust um­her, und nie­mand hat­te seit­dem die Kis­te ge­öff­net. Un­ter der ro­sen­ro­ten De­cke fand sie, zer­knit­tert und ver­drückt, wie sie es in der glück­se­li­gen Auf­re­gung ih­rer sieb­zehn Jah­re ei­lig hin­ein­ge­steckt hat­te, das fei­ne, spit­zen­be­setz­te Hemd­chen.

      Sie woll­te tap­fer sein – sie woll­te kei­ne Trä­ne wei­nen … Und er­blei­chend in der An­stren­gung, die es sie kos­te­te, pack­te sie has­tig alle die hüb­schen klei­nen Din­ge in ihre Schür­ze, um sie Eu­ge­nie zu brin­gen, wäh­rend sie ganz sinn­los noch im­mer vor sich hin­summ­te:

       Es blüht das ferns­te, tiefs­te Tal –

       Nun, ar­mes Herz, ver­giss die Qual,

       Es muss sich al­les, al­les wen­den …

      Als sie sich auf­rich­te­te, stieß sie an eine an­de­re klei­ne Kis­te. Es klirr­te dar­in wie Glas­scher­ben. Sie war an­ge­füllt mit lee­ren Fläsch­chen, alle von der glei­chen Grö­ße. Da­zwi­schen la­gen Bün­del be­staub­ter Eti­quet­ten. Aga­the nahm eine Hand­voll her­aus – sie tru­gen alle die glei­che In­schrift:

      Heid­lings Ju­gend­born. –

      Das war al­les, was von On­kel Gu­stav auf Er­den ge­blie­ben war.

      Aga­the biss die Zäh­ne in die Lip­pe. Nur nicht die lee­ren Hül­sen ge­schei­ter­ter Hoff­nun­gen so hin­ter sich zu­rück­las­sen!

      Nur tap­fer sein, zu rech­ter Zeit einen Ab­schluss ma­chen!

      Im Ess­zim­mer war­te­te Eu­ge­nie.

      Als sie an­fing, die lie­ben Sä­chel­chen ge­gen das Licht zu hal­ten, schad­haf­te Stel­len mit dem Na­gel zu prü­fen, und ihr vie­les nicht mehr gut ge­nug war, als sie weg­wer­fend be­merk­te: »Müt­zen trägt jetzt kein Kind mehr, die kannst Du Dir pie­tät­voll ein­bal­sa­mie­ren«, hät­te Aga­the sie ins Ge­sicht schla­gen mö­gen. Aber die­se dump­fe Wut war tö­richt – sie muss­te auch über­wun­den wer­den.

      Aga­the leg­te ihr freund­lich bei­sei­te, was sie ge­wählt hat­te. Die Schwä­ge­rin­nen küss­ten ein­an­der, und Frau Heid­ling ju­nior ent­fern­te sich in ih­rer ele­gan­ten Trau­er­toi­let­te mit dem Krepp­schlei­er, der ihr lang und fei­er­lich über den schlan­ken, ge­schmei­di­gen Rücken wall­te. Sie wür­de den Bur­schen schi­cken, um den Korb zu ho­len.

      Nun noch das Spiel­zeug. Cou­si­ne Mimi Bär war vor­ste­hen­de Schwes­ter der Kin­der­sta­ti­on im Kran­ken­hau­se, die konn­te der­glei­chen im­mer brau­chen. Mimi war er­freut, als Aga­the an­kam, und for­der­te sie auf, ihre Ga­ben selbst un­ter die Klei­nen zu ver­tei­len. Wenn’s nun auch nicht die ei­ge­nen sein konn­ten – es kam doch so je­den­falls Kin­dern zu gute. In dem großen, ge­weiß­ten Saal sa­ßen oder la­gen sie rei­hen­wei­se in ih­ren ei­ser­nen Git­ter­bett­chen, arm­se­li­ge Ge­schöp­fe, man­che mit Ga­ze­ver­bän­den um die klei­nen Köp­fe, von Skro­pheln und Aus­schlag ent­stellt oder von Fie­ber ver­zehrt, mit ge­reif­tem, lei­den­dem Aus­druck in den blas­sen Ge­sicht­chen. Aber al­les war hell und sau­ber, die Bett­chen so schne­eig – es mach­te doch einen trau­li­chen Ein­druck. Als Schwes­ter Mimi ein­trat, wen­de­ten sich alle die Köpf­chen ihr zu. Un­ge­dul­di­ge Stimm­chen rie­fen ih­ren Na­men. Sie ging von Rei­he zu Rei­he, mit ei­nem be­hag­li­chen Froh­sinn aus ih­ren großen Zü­gen un­ter der steif­ge­stärk­ten Hau­be. Sie scherz­te hier, straf­te lus­tig dort – Aga­the be­nei­de­te sie als fried­li­che Herr­sche­rin hier in die­sem Reich der Krank­heit und des To­des.

      Sich über­win­den – glück­lich sein mit an­de­ren – bis zur Selbst­ver­ges­sen­heit – bis zur Selbst­ver­nich­tung – das ist das Ein­zi­ge – das Wah­re!

      Und sie ver­teil­te alle ihre lie­ben An­den­ken un­ter die ar­men, ge­plag­ten Kin­der des Vol­kes, sie spaß­te und spiel­te mit ih­nen. Da war ein klei­nes Mäd­chen – häss­lich wie ein brau­nes Äff­chen, aber vol­ler Le­ben­dig­keit, wie das die arme ver­blass­te Prin­zes­sin Hol­de­wi­na in ih­rem Bett­chen Pur­zel­bäu­me schla­gen ließ – nein, das war zu ko­misch! Aga­the ver­fiel in ein lau­tes La­chen – sie lach­te und lach­te …

      »Aber Aga­the, rege mei­ne Kin­der nicht auf«, mahn­te die ru­hi­ge Mimi. Aga­the woll­te sich zu­sam­men­neh­men – die Trä­nen quol­len ihr aus den Au­gen – das La­chen tat ihr weh, es schüt­tel­te sie wie ein Krampf – die Klei­nen blick­ten furcht­sam nach ihr, die Töne, die sie aus­stieß, wa­ren fern von Fröh­lich­keit.

      Mimi nahm sie am Arm und trug sie fast hin­aus. Sie öff­ne­te ein Fens­ter und pfleg­te Aga­the sorg­sam und mit Be­dacht, bis die­se sich end­lich be­ru­hig­te und zu Tode er­schöpft auf Mi­mis La­ger ruh­te.

      »Ar­mes Kind«, sag­te Mimi mit ih­rer über­le­ge­nen Güte, »Du musst et­was für Dich tun. Du bist sehr über­reizt.«

      XII.

      Der Re­gie­rungs­rat Heid­ling hör­te von al­len Sei­ten, dass sei­ne Toch­ter sich durch­aus eine Er­ho­lung gön­nen müs­se. Er selbst hat­te nichts der­glei­chen be­merkt, sie war ja doch nicht krank und tat ihre Pf­licht. Aber da der Haus­arzt es auch mein­te, so soll­te na­tür­lich et­was ge­sche­hen. Ihm wür­de ein we­nig Zer­streu­ung auch wohl­tä­tig sein. Er ver­miss­te sei­ne arme Frau mit je­dem Tage mehr. Aga­the gab sich ja alle Mühe – aber die Frau konn­te ihm so ein jun­ges Mäd­chen ja doch nicht er­set­zen. Sei­ne Ge­wohn­hei­ten wa­ren trost­los ge­stört.

      So reis­te er denn mit Aga­the nach der Schweiz.

      Auf dem Wege be­such­ten sie Wo­szens­kis für ein paar Stun­den. Sie la­gen noch, im­mer in har­tem Kampf mit der Tücke, der Häss­lich­keit und Dumm­heit ih­rer le­ben­den und to­ten Um­ge­bung. Noch im­mer hin­der­ten bos­haf­te, mit selt­sa­men Ge­bre­chen des Lei­bes und Geis­tes Be­haf­te­te Kö­chin­nen Frau von Wo­szen­ski am Ar­bei­ten. Noch im­mer wur­den auf dem Kunst­markt la­chen­de Ne­ger und gut fri­sier­te Jä­ger mehr be­gehrt als nacken­de Anacho­re­ten und ek­sta­ti­sche Non­nen. Noch im­mer war es ein Lei­den, dass Mi­chel nichts es­sen moch­te. Der Blöd­sinn sei­ner frü­he­ren Gym­na­si­al­leh­rer wur­de aber noch über­trof­fen von dem Stumpf­sinn der Aka­de­mie­pro­fes­so­ren, un­ter de­nen er jetzt stu­dier­te. Noch im­mer

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