Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter

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Gabriele Reuter – Gesammelte Werke - Gabriele Reuter Gesammelte Werke bei Null Papier

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      Bei dem schwan­ken­den Schein der Wind­lich­ter ver­leb­te man einen ver­gnüg­ten Abend un­ter der Edel­kas­ta­nie des Ho­tel­gar­tens.

      Gol­de­nen Asti im Gla­se, stieß Gref­fin­ger mit Aga­the an, auf ihr Wie­der­se­hen in der frei­en Schweiz.

      Eine Fül­le von Kind­heits­er­in­ne­run­gen über­ka­men den Hei­mat­lo­sen – ein Ge­den­ken an die ers­ten be­klem­men­den sü­ßen Ge­füh­le, an den ers­ten Sin­nen­rausch, den das Mäd­chen da ne­ben ihm ge­weckt … Was hat­te er emp­fun­den, als sie mit­ein­an­der den Her­wegh de­kla­mier­ten im som­mer­hei­ßen Par­ke von Bor­nau!

      Er fand plötz­lich wie­der In­ter­es­se für alle die Men­schen, an die er jah­re­lang nicht ge­dacht.

      »Wie geht es Eu­ge­nie?«

      »Drei Kin­der – und Wal­ter wird dem­nächst Haupt­mann.«

      »Mimi? – Dia­ko­nis­sin? Wenn es sie glück­lich macht. Der Ge­schmack ist ver­schie­den!«

      »Und Du, Aga­the, wie lebst Du?«

      »Wie’s so geht … On­kel Gu­stav war krank, ein hal­b­es Jahr, dann Mama ein Vier­tel­jahr.«

      »Du hast es schwer ge­habt.«

      Es ant­wor­te­te ihm kein Blick. Ihre Au­gen senk­ten sich, und ihr ver­blüh­tes Ant­litz wur­de noch dürf­ti­ger und spit­zer.

      »Aga­the, soll ich Dich mor­gen auf dem See ru­dern?«

      »Ach Mar­tin, willst Du wirk­lich?«

      *

      Sie fuh­ren auf dem Was­ser, oder sie sa­ßen in der Ve­ran­da der klei­nen Wirt­schaft un­ten am See und spra­chen man­cher­lei. Aga­the war dem Pro­fes­sor Bürkner un­end­lich dank­bar, dass er ih­ren Va­ter zu wei­ten Aus­flü­gen be­re­de­te, an wel­chen Da­men nicht teil­neh­men konn­ten. Auch Mar­tin hielt sich zu­rück. Er hat­te zu ar­bei­ten. Dann kam er spä­ter und hol­te Aga­the ab. Der Ge­richts­rä­tin ält­li­che Toch­ter sah ih­nen nei­disch nach.

      Gref­fin­ger be­han­del­te Aga­the wie eine alte Freun­din, der man Ver­trau­en schen­ken konn­te.

      Und sie war nicht ver­liebt in ihn – Gott sei Dank!

      Aber was er ihr von sei­nem Le­ben, sei­nem Stre­ben und Den­ken sag­te, in­ter­es­sier­te sie bren­nend und reg­te sie bei­na­he eben­so auf, als mach­te er ihr den Hof. Es war ihr al­les so neu, so über­ra­schend, so ganz ver­schie­den von dem, was sie sich vor­ge­stellt hat­te.

      Die Par­tei­ban­de der So­zi­al­de­mo­kra­tie hat­te er schon längst durch­bro­chen.

      »Das ist auch ein Wahn und eine Form der Ty­ran­nei, die die arme Mensch­heit erst gründ­lich durch­kos­ten und dann über­win­den muss …«

      Wa­rum er Aga­the so tief in sein ab­son­der­li­ches Grü­beln hin­ein­se­hen ließ? Das frag­te sie sich mit Ver­wun­de­rung. Sie konn­te ihm sel­ten ant­wor­ten, sie re­de­te nicht sei­ne Spra­che. Sie ver­stand sei­ne Aus­drücke oft nicht ein­mal und stell­te sich et­was an­de­res un­ter sei­nen Wor­ten vor, als er mein­te.

      Und doch er­füll­te sei­ne Freund­schaft sie mit tiefer, hei­ßer Be­frie­di­gung.

      … Nein, sie lieb­te Mar­tin nicht, Gott sei Dank.

      Da­rum konn­te sie ihm auch viel von dem sa­gen, was sie be­drück­te. Nicht al­les. Aber von dem Ver­hält­nis zu ih­rem Va­ter sprach sie, und er hör­te den an­ge­sam­mel­ten Zorn in ih­rer Stim­me klin­gen.

      »Der alte Mann wird Dich stets an al­lem hin­dern, wo­mit Du Dir hel­fen willst. Wenn er sei­nen Bü­cher­schrank vor Dir ab­schließt, und wenn er Dir das Le­ben ab­schließt … Du musst Dich von ihm frei ma­chen! Geh’ von ihm fort und su­che Dir Ar­beit und Freu­de, die Dich be­frie­digt.«

      »O Mar­tin! Das ist ganz un­mög­lich.«

      »Ja – Du fühlst Dich doch un­glück­lich bei ihm. Man sieht es Dir an. Dein Da­sein ist un­er­träg­lich. Gut – so än­dere es.«

      »Aber lie­ber Mar­tin, sei doch nur ver­nünf­tig. Wie soll ich denn plötz­lich mei­nen Va­ter al­lein las­sen – ohne Geld und ohne Kennt­nis­se in die wei­te Welt hin­ein­lau­fen? Er braucht mich. Wer soll ihn er­hei­tern und pfle­gen? Da drau­ßen in der Frem­de, da braucht mich nie­mand.«

      »Nein!« ant­wor­te­te Mar­tin sehr ernst, »da braucht Dich nie­mand, und Du wirst Zeit be­kom­men, Dich end­lich ein­mal auf Dich selbst zu be­sin­nen – Dich wie­der­zu­fin­den – die Du Dich ganz ver­lo­ren hast!«

      »Da­mit fän­d’ ich auch was Rech­tes!« klag­te Aga­the klein­laut.

      »Kannst Du noch gar nicht wis­sen! Glau­be mir, es ist sehr über­ra­schend, sich selbst ken­nen zu ler­nen.«

      Sie woll­te ihm doch zei­gen, dass es wert sei, sich um ihr Wohl zu sor­gen. Ging er, müde und ab­ge­ar­bei­tet, nur schwei­gend ne­ben ihr, so be­gann sie, ihm vor­zu­plau­dern. Die klei­nen Küns­te wen­de­te sie auf, mit de­nen sie ih­ren Va­ter un­ter­hielt. Das war nun ein Ge­biet, auf dem sie Übung be­saß. Sie konn­te mit harm­los-drol­li­gen Be­mer­kun­gen auch Mar­tin oft zum La­chen rei­zen und sei­ne düs­tern Stim­mun­gen ver­scheu­chen.

      Der Re­gie­rungs­rat sah den Um­gang sei­ner Toch­ter mit Mar­tin nicht un­gern. Es war ihm eine tie­fe Krän­kung ge­we­sen, dass der Sohn sei­ner ein­zi­gen Schwes­ter sich so ganz sei­nem Ein­fluss ent­zog. Vi­el­leicht war er jetzt durch die Toch­ter wie­der­zu­ge­win­nen.

      »Die­sen jun­gen Män­nern, die toll ins Le­ben stür­men, tut es am Ende doch wohl, ein­mal wie­der mit ge­bil­de­ten Frau­en zu ver­keh­ren«, setz­te er Aga­the aus­ein­an­der. »Du hast da eine schö­ne Auf­ga­be zu er­fül­len, mein Kind. Es wür­de mich freu­en, wenn es Dir ge­län­ge, Mar­tin wie­der mehr in un­se­re Krei­se zu zie­hen.«

      So ar­bei­te­ten in dem stil­len Ber­gasyl zwei Wel­ten dar­an, sich ge­gen­sei­tig zu ret­ten.

      Zu­wei­len woll­te es Aga­the schei­nen, als ver­fol­ge Mar­tin einen heim­li­chen Plan. Im Ge­spräch ver­sank er oft in Nach­den­ken oder blick­te sie lan­ge for­schend an.

      Man­ches an­de­re Mäd­chen wür­de sich auf sei­ne Freund­schaft viel ein­ge­bil­det ha­ben. Ging er nicht durch den Gar­ten, stieg über den Zaun und kam her­aus in den Wald, wo sie saß und las, wäh­rend der Pro­fes­sor aus Zü­rich vorn in der Ve­ran­da auf ihn war­te­te, um sich mit ihm zu un­ter­hal­ten?

      Nun – Gott sei Dank – sie war nicht ver­liebt in ihn. Sie sah gern auf sei­ne Hän­de, wenn er die Wor­te mit aus­drucks­vol­len Be­we­gun­gen

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