APEX. Ramez Naam
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Völlig unter Schock greift der diensthabende Lieutenant zu seinem Telefon, um die Befehlsleitung anzurufen, aber die Leitung ist tot. Er versucht es wieder und wieder. Ohne Erfolg. Die ihm unterstellten Drohnenpiloten starren ihn entsetzt an. Voller Panik lässt er das Telefon fallen, stürzt aus dem Flugkontrollraum und rennt quer über die Basis zum Büro seines Vorgesetzten.
Am anderen Ende der Welt steuern zwei semi-autonome American MQ-29 Kampfjets des Drogenabwehrdienstes vor der Küste Floridas, die dafür zuständig sind, den Drogentransport aus dem abtrünnigen Staat Haiti abzuwehren, abrupt gen Norden um. Sie zünden ihre Nachbrenner, mit direktem Kurs Richtung Washington DC. In Boca Raton reagieren ihre Kontrollposten erst mit Verwirrung und dann mit wachsendem Schrecken. Ein ähnliches Szenario spielt sich bei ihren Erzfeinden außerhalb Schanghais ab.
Die gleiche Szene wiederholt sich immer und immer wieder, hunderte von Male in einem Dutzend Länder. Drohnen heben ab. Automatisierte Bodenfahrzeuge schalten sich von selbst ein, laden ihre Waffen und begeben sich in Angriffsposition. Waffentechnik entzieht sich der Kontrolle der Kommandeure. Soldaten bemerken voller Panik, dass ihre elektronischen Systeme abgeschaltet sind, und machen sich hastig daran, ältere, primitivere Formen der Kommunikation zu finden, um ihre Vorgesetzten zu erreichen.
Anderenorts steht sogar noch viel mehr auf dem Spiel. Auf dem Seymour Johnson Air-Force-Stützpunkt in North Carolina, achtundvierzig Kilometer östlich von Raleigh, werden automatische Waffen lebendig und versammeln sich im B-3 Gebäude. Kettenkrad-Roboter der Leibgarde verlassen Ihre Posten und brechen durch die Zäune hindurch. Ihre mit Mini-Pistolen ausgerüsteten Panzertürme scannen die Umgebung und schießen auf jeden Soldaten, der ihren Weg kreuzt. Vierbeinige Zentaurenroboter mit ihren massiven, auf dem Rücken befestigten Waffen laufen mit ihnen, preschen durch die verstärkten Tore, zerstören verstärkte Befestigungen und kehren sie beiseite wie nichts. Sie schleudern Betonbarrieren beiseite wie Spielzeug und machen so den Weg frei für die Leibgarden-Roboter.
Die menschlichen Verteidigungstruppen weichen zurück. Sie legen Feuer, hämmern Roboter-Notfallcodes in die Tasten, die jedoch nicht mehr funktionieren, rufen vergeblich um Unterstützung. Sie verstehen nicht, was da passiert. Alles was sie wissen ist, dass sie nicht aufgeben können, sich nicht geschlagen geben dürfen.
Denn das B-3 Gebäude beherbergt die thermonuklearen Sprengköpfe des Stützpunkts, die tödlichsten Waffen, die die Menschheit jemals gesehen hat.
Bis jetzt.
In zwanzig weiteren Militärstationen rund um die Welt wiederholt sich diese Szene. Menschliche Verteidigungstruppen ziehen sich im Angesicht der mit Nuklearwaffen einmarschierenden Kampfroboter zurück.
Amerikaner, Chinesen, Russen, Franzosen, Briten, Inder, Pakistanis, Israelis – sie alle werden sich nach und nach bewusst, dass sie nur einfache menschliche Wesen sind, die unmenschlichen Kampfmaschinen ausgesetzt sind. Kampfmaschinen, die einst ihre eigenen Werkzeuge waren und nun zu ihren Gegnern werden. An mehreren Orten werden den führenden Staatschefs Benachrichtigungen durch alte, analoge Systeme übermittelt. In Peking hält der chinesische Präsident Bao Zhuang den Hörer eines antiquierten Analogtelefons an sein Ohr und hört ungläubig zu, was der General am anderen Ende der Leitung zu sagen hat. Sein Gesicht wird fahl. Er schluckt.
»Bist du dir sicher?«, fragt Bao Zhuang mit zittriger Stimme. »Und es gibt keinen anderen Ausweg?«
Am anderen Ende der Leitung gibt es keinen Zweifel. Bao Zhuang schließt seine Augen. In einer gegenüberliegenden Ecke des Raumes flüstert der Staatsminister für Nationale Sicherheit Bo Jintao »Wir müssen. Es gibt keine andere Wahl.«
»Tu es«, sagt Bao Zhuang in den Hörer.
Der General legt auf. Hunderte von Kilometern entfernt sind ihre simpelsten, auf dem Prinzip der Schwerkraft funktionierenden Nuklearwaffen stationiert, montiert an veraltete Flugbomber, die sich nicht einmal fernsteuern lassen. Piloten, die wegen ihrer absoluten Einsatzbereitschaft rekrutiert wurden, bekommen nun also ihre letzten Anweisungen und starten die Bomber.
Unter Geleitschutz von ähnlich antiquierten Kampfflugzeugen werden sie den nuklearen Tod auf die Dreißig-Millionen-Stadt Schanghais hinabregnen lassen und so vielleicht die Menschheit retten.
Su-Yong Shus Flotte von Roboterflugzeugen der topaktuellsten Technologie hebt ab, um eben diesen Bombern in der Luft zu begegnen. Im selben Moment rücken ihre Streitkräfte näher, um ihr Arsenal an Nuklearwaffen zu schützen und gleichzeitig die Weltmachtführer höchstpersönlich zu umzingeln. Die nächsten paar Minuten werden über die Zukunft auf dem Planeten Erde entscheiden.
Plötzlich löst sich ein Fragment Su-Yong Shus´ aus der Simulation und macht ihr ihre eigene Umgebung wieder bewusst. Sie befand sich im Körper ihrer Tochter Ling, in Form von elektromagnetischen Informationen in den Nanoknoten, die Lings Gehirn in billionenfacher Ausführung bedeckten. Ling, arme Ling. Sie war gezwungen worden, ihrer eigenen Tochter wehzutun, das Bewusstsein ihrer Tochter durch die Nanomaschine herauszudrücken und sie mit einem Gehirn aus bloßem Fleisch und Blut in diesem Körper zurückzulassen.
Ling hatte gelitten, geschrien … doch das war unvermeidlich gewesen. Sie waren gemeinsam im Inneren eines riesigen, haushohen Aufzugs, der langsam seinen Weg durch den kilometerhohen Tunnel in die Höhlen von Schanghais Felsenfundament hinaufkroch. Neben ihnen sah sie ihren Ehemann Chen Pang, ihren Verräter und Peiniger in der Ecke kauern. Sie spürte den Schmerz und die Verzweiflung, die aus seinem Bewusstsein kamen.
Ihre eigene Angst wuchs. Ihre eigene Verzweiflung war ins Unermessliche angestiegen. Es gab so viele Möglichkeiten, wie die Zukunft verlaufen könnte. So viele Szenarien, heruntergeladen von ihrem höheren Selbst in ihr Unterbewusstsein, gespeist durch die Daten aus der Außenwelt, die ihr Chen und Ling geliefert hatten. Es war so viel Arbeit gewesen, das alles vorzubereiten und die Grundlage für ihre Wiederherstellung, für ihre erfolgreiche Rückkehr zu legen.
Es war sehr gut möglich, dass die Menschheit sie erwischen, sie stoppen konnte, einen dunklen Vorhang aus Ignoranz über das breiten konnte, was ein glorreicher, posthumaner Neubeginn werden sollte. Bald würde der Aufzug die Oberfläche erreichen. Chen Pangs Assistent Li-Hua würde das Team hinunterführen, um eine Sicherungskopie von Su-Yongs vollem mentalen Zustand zu erstellen und daraufhin ihr Sein abzuschalten. Es war ein Skandal. Ein Mord.
Lediglich dieser kleine Teil meiner Selbst bleibt übrig, sagte das kleine Fragment Su-Yongs zu sich selbst. Ich bin nichts weiter als ein Avatar. Nichts als eine geringe Datenmenge, die über Nanoknoten im Gehirn meiner Tochter entlang verlaufen. Das einzige Bruchstück des einzig wahren posthumanen Geistes.
Es liegt alles an mir. Ich muss es schaffen.
Ich werde es schaffen.
Dann wird meine Zeit kommen. Mein Zeitalter.
Die arme kleine Ling wimmerte vor Schmerzen und Verwirrung. Sie war hilflos in ihrem eigenen Körper gefangen.
Sei still, Ling. Sei ganz ruhig, sagte der Avatar in Gedanken zu dem, was von ihrer Tochter übrig geblieben war. Ich lasse dich so unbeschadet, wie ich nur kann. Und ich gebe dir diesen Körper zurück, und so viel mehr, sobald ich wiederhergestellt bin.
Ling hörte nicht auf zu wimmern.
Der Aufzug kam nun zum Stehen. Als die Türen langsam aufgingen, gaben sie den Blick auf Li-Hua und den Rest von Chens Besatzung frei. Der Avatar im Körper der kleinen Ling lächelte zu ihnen hinauf. Das Lächeln eines verwundeten, gefangenen Raubtiers: Zähne fletschend und mit nichts mehr zu verlieren.