Dunkle Träume. Inka Loreen Minden
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Nickend erhob er sich, wobei ihm das Hemd vom Schoß rutschte. Für einen Augenblick erkannte Jenna den Ansatz seines Schambereichs. Er war rasiert. Doch was sie am meisten faszinierte, war ein geschwungenes Tattoo: schwarze und rote Linien schlängelten sich flammenartig bis in die Leistenregion. So verschlossen konnte er demnach nicht sein, wenn er sich an solch einer intimen Stelle tätowieren ließ. Ob das Muster auch auf seinem Geschlecht war?
Meine Güte, schon wieder hatte sie Gedanken, die in ihrem Kopf nichts zu suchen hatten. Kyrian war ihr Patient. Außerdem hatte sie den Männern ja erst einmal abgeschworen. Anstatt den Raum zu verlassen, blieb sie wie festgewurzelt stehen, als er sich umdrehte und zum Schrank ging. Er schämte sich seiner Nacktheit kein bisschen. Warum war er sonst so verschlossen? Kyrian war ein sehr interessanter Mann und trug irgendein düsteres Geheimnis mit sich herum, das spürte sie instinktiv und machte sie neugierig. Jenna wollte plötzlich alles über ihn wissen. Er war bestimmt nicht so langweilig und normal wie Ben. Sie hatte ihr langweiliges Leben satt und wollte endlich daraus ausbrechen.
Kapitel 4 – In Jamies Kopf
Mehrmals war Nick in den letzten Tagen Jamie heimlich in die Unterwelt gefolgt, wo er früher mit Ash gewohnt hatte. Jamie hatte ihm von ihrem Wohnloch erzählt, einer kleinen Höhle, in der zwei Pritschen standen, nur durch einen schmalen Gang getrennt. Auf einer stapelten sich Wasserflaschen und Nahrungsmittel, die Jamie hier wohl hortete, weil er öfter herkam, auf der anderen lag er, starrte die Höhlendecke an und weinte lautlos. Es zerriss Nick das Herz, nicht zu ihm zu können, um ihn zu umarmen. Aber weder Jamie noch Zorell sollten erfahren, dass er von ihrer Rückzugsmöglichkeit wusste. Also stand Nick im Dunkeln verborgen und passte auf, dass sich sein Kleiner nichts antat.
Leider hatte Jamie ihm immer noch nicht erzählt, was ihn zu dem Selbstmordversuch getrieben hatte. Nick hatte ihm lediglich hoch und heilig versprechen müssen, Noir nicht zu erzählen, was passiert war. Sie machte sich schon genug Gedanken wegen des Babys und durfte nicht zaubern oder sich aufregen, weil sie zwischendurch leichte Wehen hatte. Jamie wollte nicht, dass sie das Kind verlor, wo sie sich so darauf freute. Ihre Schwangerschaft war ohnehin ein Wunder, denn die Ärzte hatten ihr einmal versichert, sie könne nie Kinder bekommen.
Nick beobachtete, wie Jamie die Decke vom anderen Bett holte und sich darin einkuschelte. Ob sie Ash gehört hatte?
Es war seltsam, einem erwachsenen Mann, der dazu noch einen bösen Dämon in sich trug, beim Weinen zuzusehen. Jamie war groß und besaß Zauberkräfte und doch war er verletzlich. Er hatte viel durchgemacht. Nicks Beschützerinstinkt war niemals stärker gewesen als bei ihm.
Er verharrte eine Zeit, die ihm wie die Ewigkeit vorkam, bis Jamie eingeschlafen war. Langsam näherte er sich ihm. Nick sah seine Chance gekommen, endlich die Wahrheit herauszufinden. Wozu war er ein Inkubus? Wenn die Menschen schliefen, konnte er besonders tief in ihren Geist eindringen. Vorsichtig strich Nick ihm über die Stirn und murmelte einen Zauber, damit er nicht erwachte. Dann hob er ihn mitsamt der Decke auf die Arme. Nick spürte die Rippen durch das Shirt. Der Kleine aß zu wenig. Wollte er Zorell etwa aushungern? Daran würde er scheitern, denn der Dämon ernährte sich von Seelenfetzen, die Jamie ihm beschaffte. Der Zash würde seinen Wirtskörper immer wieder heilen und ihn am Leben erhalten.
Nick wollte nicht hier unten in seinem Kopf herumsuchen, wenn er abgelenkt und Angriffen ausgeliefert war. In diesem Teil der Unterwelt war ihm zwar noch nie jemand begegnet, doch sicher war sicher. Er würde Jamie in seine Wohnung bringen und später hierher zurück, solange er noch schlief. So würde der Kleine niemals erfahren, was geschehen war.
Nick tat etwas hinter seinem Rücken. Wie sollte Jamie da Vertrauen fassen? Hoffentlich bekam er niemals mit, was er gerade tat.
Es zog in seinem Magen, als er ein Portal erschuf, das sich an der einzigen Stelle auf der Dachterrasse des Hochhauses öffnete, an der das möglich war. Über die Terrassentür gelangte er in seine Wohnung und legte Jamie auf dem Bett ab. Obwohl er ein sehr großer Mann war, wirkte er in Nicks Bett verloren. Seine Möbel waren größer als die Norm, ebenso die sanitären Einrichtungen. Noir hatte an alles gedacht. Sie und Vincent hatten ihnen allen ein neues Heim gegeben und sie in eine Gemeinschaft aufgenommen. Das Mindeste, wie er sich revanchieren konnte, war, sich um Noirs Bruder zu kümmern.
Nicolas legte sich neben ihn und zog ihn an sich, sodass sie sich berührten, Stirn an Stirn. Sanft stieß Jamies Atem gegen seinen Mund. Nick seufzte und es kribbelte in seinem Magen. Wie gern wollte er erneut von den sündhaften Lippen kosten. Als Inkubus kannte er keine Scheu, sich von Schlafenden zu nehmen, was er wollte, doch bei Jamie fühlte sich das nicht richtig an. Außerdem wollte er seinen Körper nicht noch mehr schwächen. Wenn Nick sämtliche Energien aus ihm saugte, immer und immer wieder, könnte ihn das töten.
Mit der Hand fuhr er in Jamies braunes Haar, um seinen Kopf in Position zu halten. Dann legte Nick noch eine seiner Schwingen um ihn wie eine Zudecke und schloss die Augen. Es wurde Zeit, Zorell einen Besuch abzustatten.
Als Nick die Augen aufschlug, befand er sich in einem Raum, den er nicht kannte. Es war ein Jugendzimmer unter dem Dach, eingerichtet mit Bett, Schreibtisch, Stereoanlage und einem dieser älteren Computermodelle, die einen dicken Monitor besaßen. An den Wänden hingen gerahmte Poster von Leuten, die Nick nicht kannte, und in dem Bett schlief … ein Junge?
Nick eilte zu ihm. Das war eindeutig Jamie, doch er war nicht älter als dreizehn, obwohl er schon so groß war wie ein ausgewachsener Mann. Keine Narben zeichneten seine Wange. Wie friedlich er aussah. Nick streichelte durch sein kurzes Haar und küsste ihn auf die Stirn. Dann schlich er zur Zimmertür, öffnete sie einen Spalt und lugte in den Flur. Niemand war zu sehen, allerdings hörte er Stimmen, die aus der unteren Etage zu kommen schienen.
Hastig schaute er sich im oberen Stockwerk um und fand ein weiteres Jugendzimmer, das eine weiblichere Note besaß, und ein Elternschlafzimmer. Beide Räume waren verwüstet. Auf dem Boden lag ein Foto, das offensichtlich die Familie zeigte, die in dem Haus wohnte. Es war Jamies Familie. Nick erkannte Noir, die auf dem Bild nicht älter als fünfzehn war und hellblondes Haar hatte, genau wie ihr Vater. Nick hatte das braune Haar von der Mutter geerbt.
Jamies Rückzugsort war also das Haus, in dem er aufgewachsen war. Nick schlich die schmalen Treppen nach unten, von wo er Stimmen hörte, und landete im Chaos. Als wäre ein Wirbelwind durch die Räume gefegt. Sämtliche Schubladen und Schränke standen offen und der Inhalt lag überall verstreut. Ein klobiges Telefon mit einem dicken Akku lag zerschmettert neben der Wand, dazwischen überall Glasscheiben, Holzstücke und zerrissene Fotos der zerschlagenen Bilderrahmen.
Nick versteckte sich neben der Tür und lugte in den Wohnraum. Zwischen all den Sachen saß ein seltsames, nacktes Wesen vor der Wohnzimmercouch auf dem Boden. Die Kreatur sah wie Gollum aus Herr der Ringe aus. Zorell! Er war ein hageres graues Etwas mit spinnenartigen Fingern, trug unverkennbar Jamies Gesichtszüge und starrte in den Fernseher, ein älteres Modell mit Bildröhre. Zorell drehte ihm den Rücken zu, daher konnte Nicolas erkennen, was er sich ansah. Im Moment rauschte das Bild und der Zash wühlte einen Haufen Videokassetten durch, die vor dem TV-Rack auf dem Boden lagen. Sie waren mit schiefen Buchstaben beschriftet. Der Dämon zog eine hervor, auf der Noir stand, und schob sie in den Videorekorder. Ein Film begann zu laufen. Zu Nicks Entsetzen zeigte er die Hexe, wie sie lachend auf die Kamera zurannte. Das Bild wackelte, dann hörte er ihre Stimme und blickte auf ein Schwarz-Weiß-Bild, auf dem er nur helle und dunkle Flecken erkannte.
»Sieh