Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon
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»Ich kapier das ja«, behauptete Jonathan altklug, »als Sie sauer waren über den Kinderlärm, da kannten Sie uns noch nicht. Da wußten Sie noch nicht, wie nett wir sind. Wirklich, wir sind eine richtig nette Familie.«
Tränen sprangen in seine Augen. »Uns fehlen nur die beiden wichtigsten Personen. Aber zum Glück haben wir ja Susanne.«
Einträchtig bastelten sie eine Unterkunft für die Möwe. Sie fanden in dem Schuppen, der voll Gerümpel war, eine Kiste, sie polsterten sie mit Sand und Gras aus.
Als Lea herangestürzt kam und sie an die Zeit erinnerte, sahen sich die beiden Arbeiter betreten an.
»So spät ist es schon!« Johann sah betreten auf seine Uhr.
»Da soll jemand an die Zeit denken, wenn man so wichtige Arbeiten zu erledigen hat«, verteidigte er sich. »Susanne hatte doch keine Angst? Oder ärgert sie sich?« wollte er ängstlich wissen.
»Nee«, beruhigte die kleine Schwester den großen Bruder. Lea trug einen bunten Badeanzug und rote Sandalen an den nackten Füßen. Jonathan musterte das Kind mit einer Zärtlichkeit, die ihm gar nicht bewußt war. Kein Gramm Fett war an dem Kind zu viel, wie süß das Gesicht war, die Haare hatte sie zu Zöpfen geflochten, die ihr fröhlich auf der Schulter wippten.
»Zeig mal«, forderte sie den Bruder eifrig auf, als der ihr von der Möwe erzählte. »Du Arme«, bemitleidete sie das Tier und strich zärtlich über das Köpfchen.
»Au, sie hat mich gehackt«, beschwerte sie sich entrüstet.
»Sie kennt dich eben nicht. Mich hat sie schon akzeptiert. Sie ist verdammt schlau, sag ich dir. Sie weiß genau, daß ich ihr das Leben gerettet habe. Jonathan und ich werden sie füttern. Immer abwechselnd.«
»Wieso nennst du ihn Jonathan?« Lea musterte den Bruder eifersüchtig. Eigentlich war sie der Meinung, daß der Mann ihre Errungenschaft war.
»Weil er mir gesagt hat, daß ich ihn so nennen soll«, trumpfte Johann auf. »Er und ich sind Freunde. Du, er ist einfach umwerfend, einfach toll«, vertraute er dem Mädchen leise an. Johann war ins Haus gegangen und kam mit einer dickbauchigen Flasche zurück.
»Ein Mitbringsel«, nickte Lea und tat, als wäre sie mit den Gepflogenheiten der Gesellschaft bestens bertraut. »Hoffentlich kein Rotwein, den trinkt Susanne nicht gern, dabei hat Papa ihr immer gepredigt, daß Rotwein gesunder und bekömmlicher ist. Aber manchmal kann Susanne schrecklich stur sein«, setzte sie seufzend hinzu.
»Laß sie man, wie sie ist. Sie ist in Ordnung, und ob sie Rot- oder Weißwein trinkt, das ist doch ihr Bier.«
Lea warf beleidigt den Zopf in den Nacken und musterte ihren Bruder ärgerlich. »Gehen wir, oder willst du Susanne noch länger warten lassen? Schließlich ist es kein Vergnügen, bei dieser Hitze auf dem Minikocher Reibekuchen zu backen. Und Thomas ist so quengelig wie Fridolin, wenn er sich langweilt. Der hat Susannes Nerven heute morgen ganz schön strapaziert.«
»Ich werde mich heute nachmittag mit ihm beschäftigen«, versprach Jonathan. »Mir wird schon etwas einfallen, womit ich ihn unterhalte. Er ist doch nicht krank, oder?«
»Nee. Das ist typisch Thomas«, nörgelte Lea, sie ging dicht neben Jonathan und überlegte, ob sie einfach ihre Finger in seine Hand schieben sollte. Aber auf keinen Fall wollte sie bei ihm wie ein Kind erscheinen. »Er macht oft Theater, er schiebt sich in den Vordergrund. Wenn er bei Mama die erste Geige spielen wollte, dann hat er sogar über Bauch- oder Kopfschmerzen geklagt. Mama ist immer darauf hereingefallen. Manchmal hat sie sich dann auf sein Bett gesetzt und ist bei ihm geblieben, bis er eingeschlafen ist. So ein Angeber. Bei Susanne versuchte er das heute auch. Wenn er stöhnt oder jammert, rennt sie schon zu ihm. Er liegt im Liegestuhl, nicht mal Charlie hält es bei ihm aus, der hat auch schon die Kurve gekratzt. Würde mich nicht wundern, wenn Susanne durch die Rennerei heute ein paar Pfund abgenommen hat.«
Schon bekam Johann ein flaues Gefühl in den Magen, sein Gewissen zwickte ihn.
»Statt mich um ihn zu kümmern, bin ich durch die Dünen gestrolcht«, seufzte er betreten.
»Laß man, so hast du wenigstens die Möwe gefunden. Jonathan«, natürlich nannte sie ihn ab jetzt auch bei seinem Vornamen. Gleiches Recht für alle! »Kann die Möwe sich nicht verletzen? Bestimmt wird sie doch versuchen, davonzufliegen.«
»Sie wird leider die Kiste als Gefängnis empfinden. Aber vielleicht spürt sie auch, daß es zu ihrem Besten ist.«
»Aber es ist ein komfortables Gefängnis«, tröstete Hannes sich selbst. »Sie kriegt ihr Fressen, und keine Möwe klaut es ihr. Ich möchte so wahnsinnig gern, daß wir sie gesund pflegen.«
Er drehte den Kopf zur Seite und murmelte wie zu sich selbst:
»Ich finde sterben einfach grauenhaft.«
*
So heiter, so unbeschwert hatte Jonathan das Mädchen Susanne noch nie erlebt. Ihre Beine wirkten durch die knappen weißen Shorts noch länger, die bunte Bluse war unter der Brust zusammengeknotet, das Haar trug sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, er wippte bei jedem Schritt auf ihrem Rücken.
Jonathan mußte sich zwingen, sie nicht ständig anzusehen. Das Mädchen war einfach bezaubernd. Voll gewachsener Natürlichkeit, und sie besaß viele Gesichter.
»Schmecken Ihnen die Reibekuchen nicht?« Lea musterte ihn besorgt. »Ich finde, Susanne hat sie toll hingekriegt. Manchmal versalzt sie sie, aber heute sind sie genau richtig.«
Sie saßen auf der alten wurmstichigen Hausbank. Der arg mitgenommene Tisch, den auch die stärkste Bürste nicht mehr sauber kriegen konnte, war mit einer rotkarierten Decke geschmückt. Das Geschirr war zusammengesucht, und hier und da war ein Teller angeschlagen.
Aber das störte niemanden, schon gar nicht Jonathan. Blitzschnell fielen ihm einige seiner Freundinnen ein, mit denen er in den besten Restaurants zu speisen pflegte. Aber noch nie hatte er beim Essen solche Freude empfunden wie jetzt. Er fühlte sich wundervoll entspannt, so heiter, als wären alle Sorgen von ihm abgefallen.
»Natürlich schmeckt es mir«, beeilte er sich zu versichern. »Vielleicht ißt er nur so langsam, weil er Angst hat, wir haben nicht genug«, überlegte Thomas. Er saß neben dem Mann, dem er verdankte, daß er die Reibekuchen essen konnte. Den Platz ließ er sich von niemandem streitig machen.
Fridolin lenkte zum Glück die Aufmerksamkeit auf sich. Er saß auf Susannes Schoß und protestierte energisch. Sein Teller war leer und er hatte noch Hunger. Er beugte sich weit über den Tisch, aber an den gefüllten Teller kam er nicht heran, nur stieß er leider bei dem Versuch, Nachschub zu bekommen, Thomas’s Saftglas um. Der Saft landete auf Jonathans Hose, auch Thomas bekam einen Schuß ab.
»Ferkel«, rief Lea entrüstet. »Soll ich einen Lappen holen und Ihre Hose säubern?« bot sie sich eifrig an.
Bevor Jonathan die Kinder beruhigen konnte, erklärte Susanne heiter:
»Das hat wenig Sinn, Liebes. Himbeerwasser ist sehr hartnäckig. Ich schlage vor, daß Herr Nolde uns später die Hose gibt und ich werde sie waschen.«
In ihren blauen Augen spiegelte sich der Himmel. Sie hatte den Mund reuevoll verzogen. Jonathan konnte sich nicht helfen, er mochte dieses Wesen, mehr noch, er war vernarrt in sie. Er mußte sich sehr bemühen, ihr seine